Volltext Seite (XML)
78 Nr. 2. STAHL UND EISEN. “ Februar 1884. damit noch nicht die Unmöglichkeit behauptet werden. Die Metallurgie des Eisens bietet ja genug Erscheinungen, welche die Chemiker ge- nöthigt haben, ihre bisherigen Ansichten zu er weitern oder umzuändern. Wir müssen aus den Thatsachen lernen. Falls diese mit zwingender Nothwendigkeit zur Annahme einer Nachreaction führten, so existirte dieselbe, wenn auch vielleicht als ein Unicum in der ganzen Chemie. Es ist nun aber ein derartiger Zwang durch aus nicht vorhanden, da man doch die Er scheinungen beim Kohlenoxyd ebenso gut aus den Absorptionsverhältnissen erklären kann, wie bei den begleitenden Gasen Wasserstoff und Stick stoff. Der Umstand, dafs die Reactionstheorie einige Erscheinungen vielleicht etwas einfacher erklärt, giebt ihr nicht die mindeste Existenz berechtigung, denn es liegt ja in der Natur der Sache, dafs eine partielle Theorie diejenigen Er scheinungen, für welche sie erfunden, leichter erklärt als eine universelle. Ich weifs wohl, dafs solche kritische Er wägungen schwer imstande sind, ein falsches Dogma zu erschüttern, wenn es nicht möglich ist, die Wahrheit durch unleugbare Thatsachen zu erhärten. Deshalb ziehen wir zuerst unser obiges Experiment Ic heran. Setzt man zu oxydischem Thomasmetall Spiegeleisen oder Ferromangan, so tritt heftige Kohlenoxyd - Ent wicklung ein, und dies ist die Reaction. Der Stahl sinkt zurück, läfst aber noch unzählige, vorwiegend aus CO bestehende Gasbläschen em porsteigen. Dies soll von einer Nachreaction her rühren. Jetzt setzen wir zu derartigem sprühen den Schienenstahl noch mehr Spiegeleisen. Im Sinne der Nachreaction mufste die Gasentwicklung dadurch noch verstärkt wei’den, in Wirklichkeit tritt das Gegentheil ein und der Stahl wird als bald still. Mithin fand keine Nachreaction statt, sondern es entwichen gelöste Gase. Der im Spiegeleisen hinzugefügte Kohlenstoff und Mangan verhinderten die Ausscheidung aber durch Steige rung der Löslichkeit. Aufser diesem neuen existirt noch ein älteres, aber noch weit entscheidenderes Experiment, näm lich dasjenige von Sir Henry Bessemer. Da über dasselbe keine wissenschaftliche Abhandlung ge schrieben, ist es nur wenig bekannt geworden. Ich selber kannte bis vor kurzem auch weiter nichts als die mündliche Ueberlieferung, dafs nach Bessemer Kohlenoxyd aus unruhigem Stahl aufstiege. Nun hat Bessemer aber in der Discussion über einen Vortrag Parrys sein Experiment be schrieben und ist der Inhalt seiner Worte Journal of Iron and Steel Inst. 1881 1, pag. 198 nach zulesen. In einem Tiegel war durch Einblasen von Luft aus Roheisen schmiedbares Eisen hergestellt, welches unter gelindem Spratzen Gase entliefs. Der Tiegel wurde mit seinem noch sehr über hitzten Inhalt in eine kleine Kammer von Gufs- eisen luftdicht eingeschlossen und darauf die Kammer evacuirt. Durch eine mit Glasplatte versehene Schauöffnung zeigte sich, dafs das Metall schon bei gelinder Druckverminderung heftig zu kochen begann. Bei einem Versuche be fanden sich in einem Tiegel von 40 K Fassungsraum 12 ft Stahl. Als man rasch bis auf 1/s evacuirte, entwichen die Gase so heftig, dafs nur noch 2 66 Stahl in dem Tiegel blieben ! Wurde umgekehrt der Druck über den der Atmosphäre vergröfsert, so hörte das Spratzen auf, und dieses Resultat führte zu der Stahldichtungsmethode vermittelst Druck. ■— Das aufgefangene Gas bestand vor wiegend aus GO, hatte also die nämliche Zu sammensetzung wie bei kochendem Bessemer oder Thomasstahl. Es ist wohl unnöthig, darauf hinzuweisen, dafs ein Gas, welches infolge einer Luft verdünnung aus flüssigem Metall entweicht, ab- sorbirt gewesen ist und nimmermehr durch eine chemische Reaction im Momente des Aufwallens entstanden sein kann. Dieser Versuch ist so entscheidend, dafs meines Erachtens die Reactions- hypothese gar nicht aufgestellt wäre, wenn der selbe allgemein bekannt gewesen. Nachdem die Annahme einer Nachreaction sich nicht allein aus logischen Gründen als eine überflüssige und unwahrscheinliche Hypothese erwiesen, sondern auch durch Thatsachen auf das bestimmteste widerlegt ist, tritt nunmehr die Aufgabe an uns heran, die Thatsachen vom Gesichtspunkte der Absorptionstheorie aus zu verstehen. Den Zustand der Uebersättigung, in welchem sich spratzender Stahl befindet, können wir in einer entkorkten Flasche Selters wasser beobachten. Noch weit anschaulicher lassen sich alle in Rede stehenden Vorgänge in folgender Weise demon- striren: Man fülle ein Glas mit kalter Sodalösung und tröpfle etwas Säure hinzu. Durch die chemische Reaction entsteht Kohlensäuregas, welches sofort ein Aufbrausen' veranlafst. Nach dem ersten Aufbrausen findet dann innerhalb der Flüssigkeit noch viele Minuten lang ein Aufsteigen unzähliger Gasperlen statt, wodurch über dein Niveau ein feiner Sprühregen fortgeschleuderter Flüssigkeitstheilchen hervorgerufen wird. Rühren wir in unserm Glase, so entsteht eine stärkere Gasentwicklung. Setzen wir es unter eine Luft pumpenglocke, so entweicht das Gas schnell und heftig, setzen wir es aber einem stärkeren Druck aus, so hört die Bläschenbildung sofort auf. Falls unsere Lösung noch reactionsfähiges Carbonat enthält, wird sie bei weiterem Zusatz von neuem aufbrausen.