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Jan und Griet. i. Wenn an des Kaffeetisches Runde redselige Stricke rinnen das wichtige Kapitel der Tugenden und Fehler des Gesindes behandeln, dann rühmt Frau Hütten director Biedermayer stets das grofse Geschick und die frische Anmuth eines ihrer früheren Küchenmädchen. Mittelgrofs, drallen Wuchses, dicke blonde Flechten um den niedlichen Kopf gewunden, schaute aus der Dirne klugen Augen der frohe, lachende Schalk. Es war eine Lust, an Markttagen den schmucken Wicht in sauberem Kleid und heller Latzenschürze, auf hoch hackigen Schühlein, in den Hüften leicht sich wiegend, emsig daher trippeln zu sehen, gleich einer flinken Bach stelze, die mit dem zierlichen Schwänzlein wippt. Grete — plattdeutsch Griet geheifsen — galt mit Recht als ein gewitztes Mädel, das für Alles rasches Ver- ständnifs bewies. Der Verfasser erinnert sich mit Vergnü gen eines kleinen Abendfestes in des Fachgenossen gast lichem Hause, wo nur Herren anwesend und es sehr munter herging. Zu später Stunde führte Herr Inge nieur von Süfsmund, »der schöne Oscar« oder auch »der Baron« benamset, einige seiner gewohnten derben Scherze auf. Für einen derselben benöthigte er weib licher Hülfe und erkor dazu Grete, die bereitwillig an dem Spafs theilnahm. Frau Julchen hatte von der Küche aus die leckere leibliche Verpflegung geleitet, sich nun aber bereits zurückgezogen, sonst würde sie wohl ein Verbot erlassen haben. Die beiden erschie nen vermummt, Grete stellte eine Orgelsfrau, der Baron den Bänkelsänger dar. Das Mädchen hielt unter dem linken Arme einen Fufsschemel , über den ein Tuch gebreitet, und drehte an diesem Leierkasten, während der junge Herr ein närrisches Lied sang, in dessen Endreime seine Begleiterin einfiel. Schliefslich gab’s noch einen drolligen Tanz. Rauschender Beifall belohnte die gelungene Darstellung. Am andern Morgen erzählte das schwatzhafte Kindermädchen Babette der Herrin den Verlauf des Festes und schlofs seinen Bericht über die Orgelei: „Ja wohl, Frau Director, nachdem Herr von Süfsmund und Grete herauskamen und die Verkleidung abge worfen, da gab er ihr einen harten Thaler als Trink geld und zwei tüchtige Küsse, man konnte es deutlich hören, gesträubt hat sie sich gar nicht. Das sollte ihr Schatz Jan wissen, der würde sie hauen; aber sie denkt, der ist mit seinem Kriegsschiff am andern Ende der Welt.“ Jan und Grete sind Nachbarskinder, die Familien einander verwandt. Beide Väter führten Kohlenfahr zeuge für ein bekanntes grofses Geschäftshaus der Stadt. Im Vororte, seitab der Hauptstrafse, stehen, unter Bäumen versteckt, die Häuslein, durch einen Zaun getrennt. Unmittelbar aus den wohlgepflegten Gärt chen tritt man in die sauberen Küchen. Blitz und blank glänzen an den Wänden Geschirr und Geräthe. Ueberall findet der Besucher musterhafte Ordnung und Rein lichkeit, die vielfach an holländische Verhältnisse er innern und ein Erbtheil der Schifferfamilien sind. An Geist und Körper gesund, von strammem Nachwuchs umringt, liegt im ganzen Stande etwas Derbes, Ur wüchsiges, das manchmal ein wenig an Roheit streift. Uebertünchte Höflichkeit kennen die Leute nicht, wohl aber Treue und Redlichkeit. Leider droht dem Ge werbe stellenweise der Untergang, die übermächtige Es hat mir so wollen behagen, Mit Lachen die Wahrheit zu sagen. Simplicius Simplicissimus. Industrie löst langsam Alles in einen Urbrei von Fabrik bevölkerung auf, nicht zum Nutzen und Frommen von Staat und Gemeinde. Die Kinder waren arge Wildfänge gewesen und verübten zusammen manchen losen Streich. Die jün gere Grete folgte dem unbändigen Buben überall, stiftete sogar oft gemeinschaftliche Schelmenstücke an. Dann fielen zu Hause gleichzeitig empfindliche Schläge, denn bezüglich der Kinderzucht huldigten die Eltern alter strenger Sitte. Eines Sonntagnachmittags schickte die Mutter Jan zum Bäcker, ein paar Buttersemmel für das Vesper brot des gerade anwesenden Vaters zu holen. Wie Kinder selten unterlassen können, bröckelte der Knabe an den Wecken herum, bohrte mit den Fingern die Rosinen heraus und würde wohl die Verstümmelung noch weiter getrieben haben, wenn nicht ernstliche Bedenken wegen der Folgen über ihn gekommen wären. Um jeder weiteren Versuchung zu entgehen, steckte er die Semmel in die zugeknöpfte Jacke. Unglück licherweise mufste ihm Grete begegnen. Sie bemerkte die Wecken und bat, einmal hineinbeifsen zu dürfen. „Ich werde mich wohl hüten, meinst du, ich wollte mich durchwichsen lassen,“ wehrte er ab. „Bah, was macht ein so grofser Bengel sich aus einigen Hieben, schäme dich, das thu’ ich kleines Ding ja selbst nicht,“ entgegnete Grete verächtlich. Jan beschnüffelte das Ge bäck, warmer Duft zog ihm in die Nase, sicherlich würde es noch besser schmecken als riechen. Liebkosend fuhr er mit der Hand über den gefährdeten Körpertheil und frug diesen schmeichelnd: „Sollen wir’s mal riskiren ?“ Die Antwort schien bejahend auszufallen. Rasch bifs der Junge in eine Semmel und hielt die andere Grete vors Mäulchen, die mit ihren weifsen Zähnlein wacker danach schnappte. In wenigen Augenblicken war das Gebäck verspeist. Zwar wurde eine Fabel von in den Bach fallen u. s. w. geplant, einstweilen bot aber die elterliche Wohnung wenig Anziehendes, im Gegentheil dünkte Jan en gewisses Fernbleiben räthlich, später konnte man vielleicht unbemerkt heimschlüpfen. Jan und Grete liefen zwischen Hecken und Zäunen umher, griffen und neckten sich nach Kinderart. „O, gieb acht, ich habe ein neues Kleid an, heute ist mein Geburtstag, Mutter empfahl mir die gröfste Sorgfalt. Doch, sieh da die schönen Kirschen. Lafs uns einige pflücken 1“ lockte die kleine Eva den zögernden Adam. Ueber eine niedrige Gartenmauer streckte ein mit reifen Früchten beladener Baum seine Zweige. Die Versuchung war zu grofs. Ohne Zögern sprang Jan empor, fafste mit ausgestreckten Händen die Mauer krone, Grete schob nach, der Knabe safs bald oben und half der Gespielin ebenfalls hinauf. Nun ging’s in die Aeste hinein, tapfer wurde geschmaust, dabei aber die nöthige Vorsicht vergessen. Plötzlich ertönte eine rauhe Stimme von unten: „Wartet, ihr Diebe, ich will euch stehlen lehren!“ Erschreckt sprangen die Kinder herab, Grete blieb an einem tückischen Ast hängen, der eine gewaltige Wunde ins Kleid rifs, und wurde erwischt, während der flinke Jan eiligst Fersen geld gab. Nach Feststellung von Namen und Woh nung der Frevler entliefs der gutherzige Garteneigen- thümer seine Gefangene, hielt aber eine Anzeige bei den betreffenden Eltern für nützlich. Am folgenden Morgen, gleich nach der Schule,