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Juni 1886. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 6. 445 schäften des Radreifen- und Achsen-Stahls oder über Normalbedingungen zu deren Besichtigung und Prüfung. Das Bedürfnifs zur Revision der ministeriellen technischen Bedingungen für Uebernahme und Liefe rung der Schienen wurde angeregt auf der früheren officiellen Versammlung zu Anfang des Jahres 1884, und zwar infolge des von Jahr zu Jahr sich häufen den Verseh!eifses von Stahlschienen wegen Bruch oder Abnutzung und zufolge der von verschiedenen Seiten lautbar gewordenen Klagen, dafs die russischen Fabriken durch die ministeriellen Vorschriften ge zwungen seien, ihre Stahlschienen aus allzu weichem Material herzustellen. Da die Ursachen dieser Klagen ohne weitläufige Untersuchungen des gebrauchten Eisenbahnmaterials und der Betriebsergebnisse nicht wohl zu beurtheilen waren, so unternahm es der kaiserlich russische techn. Verein, von sich aus die mechanische und chemische Untersuchung der gebrauchten Stahlschie nen und Bandagen auszuführen, wozu von den Eisen- balnverwaltungen das Material mit möglichst ausführ lichen Berichten über die an demselben gemachten Beobachtungen, die Dienstdauer und Verkehrslast geliefert werden sollte. Der Verein der Eisenbahnverwaltungen bewilligte, nach Zustimmung des Herrn Wegebauministors, die für diese Untersuchungen nöthigen (leidausgaben, und die obengenannte ministerielle Commission von 1884 beschlofs , die geplante Revision der technischen Lieferungsbedingungen bis zur Beendigung der er wähnten Untersuchungen zu vertagen. Der kaiserl. technische Verein erwählte eine Commission, bestehend aus den Ingenieuren Wer chowsky (Vorstand', Beck-Gergard, Belelubsky, Hübsch mann, Kirpitscheff, Jossa, Nicolai, Schulatschenko und Anitschkof (Schriftführer); auch andere Herren wur den zeitweise als Specialislen oder als Repräsentanten der Stahlwerke eingeladen. Diese Commission hat nun mit dem von den Eisenbahnen gelieferten Material folgende 3 Untersuchungen veranstaltet: a) Die ministeriellen Biege- und Schlagproben (mit Einfrieren im letzteren Fall), ausgeführt in der Putiloffschen Fabrik unter Leitung von Beck-Ger- gard und Anitschkof ; b) Zerreifs- und Torsions - Versuche, ausgeführt im mechanischen Laboratorium des Wegebau - Insti tuts, unter Leitung von N. Belelubsky, mit Be stimmung der Zugfestigkeit, Dehnung und Con- traction bei den Zerreifs- und der Arbeitsdiagramme hei den Torsionsversuchen ; erstere Bestimmungen wurden auf der Werderschen Maschine, letztere mit dem Torsionsapparate von Thurston er mittelt; c) chemische Analyse zur quantitativen Bestimmung des Gehalts an Kohlenstoff, Mangan, Silicium, Phosphor, auch Chrom und Kupfer, ausgeführt in dem Laboratorium des Finanzministeriums unter Leitung von Jossa. Im ganzen wurden 107 Schienen und 58 Rad reifen der Untersuchung unterzogen, die derart aus dem gesammten, von den Eisen bahn Verwaltungen ge lieferten Material ausgewählt waren, dafs von jedem Stück genaue Nachrichten über die Betriebseinflüsse bekannt waren, also für Schienen : die Verkehrslast, Ursache der Abnutzung, Lage in der Bahnstrecke, Dienstdauer u. s. w. ; für Radreifen : Verkehrslast und Gröfse der Abnutzung bis zum ersten Abdreben, sowie bis zur Aufserdienststellung, mit Angabe der Ursache der letzteren (Bruch oder Abnutzung bis zur Grenzdicke). Die Resultate der von der Commission ausgeführ ten Untersuchungen wurden zusammengestellt in be sonderen Tabellen für Schienen, und solchen für Radreifen; zur Uebersicht wurden auch noch graphi sche Darstellungen dieser Tabellen angefertigt, wobei VI.6 die Abscissenachse in ebensoviel „gleiche Theile ge- theilt wurde, als Probestücke vorhanden waren. Man ordnete dann die Schienen und Bandagen nach dem Grade je eines der zu untersuchenden Elemente, schrieb die ursprünglichen Nummern der Probestücke in den so gewonnenen Reihenfolgen an die Theil punkte der Abscissen an und trug die gefundenen Elemente als Ordinalen hierzu auf, wobei in verschie dene Gruppen getrennt wurde, um die Uebersichtlich- keil zu wahren. Zum. Beispiel wurden für Schienen folgende graphische Tabellen gezeichnet: a) Geordnet nach der Gröfse der über die Seidenen bewegten Verkehrslasten bis zur Aufserdienst- Stellung; b) nach der bleibenden Durchbiegung beim ersten Schlag des Rammbären; c) nach der Zugfestigkeit R (in kg pro m2) ; d) nach dem Product der Zugfestigkeit mit der rela tiven Dehnung i beim Bruche (R . i); e) nach der Summe aus Zugfestigkeit R und Quer- schnittscontraction c, also nach (R +.c); f) nach der Arbeitscapacität bei der Torsionsfestigkeit; g)nach dem Gehalt an Kohlenstoff C in %; h) »„ „ » Mangan Mn in % ; k) „ der Summe der Procentgehalte an Silicium und Phosphor (Si + P). Es war keine leichte Aufgabe, aus den so erhal tenen Versuchsresultaten sichere Schlüsse auf die Gröfse des Einflusses der betreffenden Elemente zu ziehen; es mulsten dabei alle diejenigen Probestücke ausgeschieden werden, welche offenbare Störungen zeigten. Eine bedeutende Arbeitslast lag hierbei auf dem Vorstand der Commission, Ingenieur Werchowsky, beim Sammeln des Materials und Ueberwachen der Ausführung der Beschlüsse. Aus den Versuchen ergeben sieh nun folgende Resultate als wahrscheinlich: 1. Die besten Schienen haben einen gewissen Härte grad, der denjenigen von untauglichen brüchigen Schienen übersteigt. Harte Schienen sind nicht nothwendig auch brüchig; 2. die besten Schienen geben kleinere Durchbiegun gen beim ersten Schlag des Fallbären (25 bis 29 mm), gröfsere Zugfestigkeit (im Mittel 65 kg pro Millimeter 2 ), kleinere Dehnung (ca. 19%) und kleinere Contraction (35 bis 40%); 3. beste Schienen enthalten mehr Kohlenstoff (0,28%), mehr Mangan (0,67%), als brüchige Schienen, und weniger Mangan als abgenutzte Schienen. Man bemerkt ferner, dafs ein gewisses Verhält- nifs zwischen Mangan und Kohlenstoff in obigen Schienensorten von Vortheil ist, ebenso ist das Ver- hältnifs zwischen Silicium und Phosphor bemerkens- werth. Dabei ist aber zu bedenken, dafs die Unter suchung des technischen Vereins mit Probestücken ausgeführt wurden, die von 40 verschiedenen Bahnen stammten und unter sehr verschiedenartigen Betriebs verhältnissen gestanden hatten; z. B. erstreckte sich die Dienstdauer von mehreren Monaten bis zu 10 Jahren, die über die Schienen bewegte Last von we nigen Tonnen bis zu 20 Millionen Tonnen. Die Schienen waren von einer grofsen Anzahl russischer und ausländischer (deutscher, englischer und fran zösischer) Walzwerke bezogen; nur in dem letzten Jahrzehnt wurden fast von allen Bahnen ausschliefs- lieh Schienen inländischer Fabrication bezogen und deshalb zeigten auch die Probestücke äufserst ver schiedenartige Herstellungsweise und chemische Be standtheile, während für die Zukunft durch die Fort schritte in der Stahlindustrie weit mehr Einheit lichkeit zu erwarten ist. Deshalb bemerkt man auch bei den Schienen und Radreifen sehr verschiedenen Gehalt an Silicium + Phosphor, sowohl bei den besten als den schlech- 10