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378 Nr. 6. STAHL UND EISEN.“ Juni 1886. fahren hinterbleibenden Rückstandes); 8. dafs ein gleiches Verhalten des Mangans gegen Phos phor nicht obwalte (bei Zerlegung einer vor der Entphosphorung der Thomasbirne entnommenen Probe mit 0,15 % Kohlenstoff, 1,28 % Phosphor, 0,91 % Mangan nach Weyls Verfahren enthielt der Rückstand 21,6 % Phosphor ohne Mangan;* und dafs 8. auch das Schweifseisen eine als Bindemittel zwischen den einzelnen Zellen dienende Zellenhülle besitze, jedoch weniger ausgebildet als im Flufseisen, weil der Kohlenstoffgehalt ge ringer ist und Silicium wie Mangan fast voll ständig fehlen. Ein zweites Bindemittel im Schweifseisen bildet die als hauptsächlichste Eigenthümlichkeit desselben auftretende, mecha nisch eingelagerte Schlacke. Auf allen diesen Beobachtungen wird nun folgende Theorie aufgebaut. Der langsam er kaltete Stahl enthält den gröfsten Theil seines Kohlenstoffes im chemisch gebundenen Zustande, d. i. als Carbid. Beim Erhitzen wird diese Ver bindung dissociirt; findet plötzliche Erkaltung des glühenden Stahles statt, so wird — ebenso wie bei dem Hindurchleiten dissociirter Gase durch ein kaltes Rohr — die Wiedervereinigung verhindert, der Kohlenstoff verharrt im nicht chemisch gebundenen Zustande, er bleibt im Eisen gelöst, es tritt Härtung ein; ist aber unter gewissen Verhältnissen die Löslichkeit des Koh lenstoffes im Eisen geringer, als dafs aller durch die Dissociation frei werdende Kohlenstoff aufge nommen werden könnte, so entsteht der im Eisen ungelöste, selbständig ausgeschiedene Graphit, eine Erscheinung, die nicht nur beim grauen Roh eisen, sondern mitunter auch beim Stahl sich beobachten läfst. Beim Erstarren geschmolzenen Stahls scheiden sich aus der flüssigen Masse zu nächst Eisenglobuliten aus, an den kälteren Thei len sich absetzend, zwischen denen die Mutter lauge eingeschlossen bleibt; alsdann erstarren Phosphide und Silicide und zuletzt eine aus ver schiedenen Körpern, vorwiegend aber aus Eisen carbid bestehende Masse, welche in den Zwischen räumen zwischen den Eisenglobuliten sich ab setzt, sie als Zellenhülle umschliefst und gegen seitig verbindet. Die Globuliten, welche den Kern der Zelle bilden, sind jedoch gegenseitig nicht vollständig voneinander unabhängig; sie treten zu bestimmten Anhäufungen zusammen, welche als dendritische Formen auf der Aetz- fläche erscheinen, und bilden solcherart die zu sammengesetzten Zellen. Jede solche dendritische Anhäufung strebt sich nach drei rechtwinkeligen * Ob hier der Probe absichtlich Mangan zuge setzt wurde, ist in der Abhandlung nicht gesagt; war dieses nicht der Fall, so würde die Vermuthung eines Analysenfehlers nahe liegen , da sich nicht an nehmen läfst, dafs das Metall noch 0,91 % Mn ent halten habe, nachdem der Kohlenstoffgehalt bis auf 0,15 % weggebrannt war. Achsen auszudehnen und folgt diesem Bestreben so lange als die benachbarte Anhäufung nicht der weiteren Ausdehnung ein Ziel setzt. Beim Eingiefsen flüssigen Stahls in eine kalte Gufsform aber wird an den Wänden derselben sofort die Erstarrung beginnen; dadurch ist die Ausdeh nung der Zellen in der Richtung der Seiten wände behindert, während sie in der Richtung rechtwinkelig gegen die Wände unbeschränkt ist; so entstehen die prismatischen Formen des ge gossenen Stahls in der Nähe der Gufsformwände, deren Hauptachse rechtwinkelig gegen die letz teren gerichtet ist. Im Innern des Blockes aber bleibt das Metall, wie jede von aufsen her er starrende Flüssigkeit, zunächst in lebhafter Be wegung; die sich bildenden Zellenkerne können nach jeder Richtung sich ausdehnen, und so entsteht das polyedrische Gefüge der inneren Theile. Hält man diese Gesichtspunkte fest, so läfst sich die Härtungstemperatur des Stahls als diejenige Temperatur bezeichnen, wo die Disso ciation der Carbide eine genügende Ausdehnung gewonnen hat, um physikalische Wirkungen her vorzubringen. Unterhalb dieser Temperatur er trägt der Stahl nicht, ohne hart zu werden, blei bende Formveränderungen ; über diese Temperatur hinaus wird der Zellenkern bildsamer und die Zellenhülle nimmt eine teigartige Beschaffenheit an. Kühlt man jetzt den Stahl plötzlich ab, so findet der freie Kohlenstoff nicht mehr Zeit, sich wieder mit dem Eisen zu vereinigen, und hinterbleibt als Härtungskohle; das Eisen des Zellenkerns geht in den ß - Zustand über. Beim Ausglühen findet Wiedervereinigung statt, und der Kern nimmt die &- wieder an. Anders jedoch ist die Wirkung des Ausglühens von gegossenem unbearbeitetem Stahl. Hier sind die Vorgänge rein physikalischer Natur. Die zusammengesetzten Zellen werden zerstört, indem der freie Kohlen stoff sich langsam ausbreitet; während der Ab kühlung bildet sich das Eisencarbid um jeden Globulit und solcherart entsteht das Bindemittel, welches vorher fehlte. Trotzdem läfst sich wegen der Langsamkeit dieses Vorganges eine grofse Gleichmäfsigkeit nicht erreichen; die mechanische Bearbeitung mufs hinzutreten, um das Binde mittel gleichmäfsig zu vertheilen. Oberhalb Kirschrothgluth aber ist die Zellenhülle vollstän dig flüssig geworden; die Zellenkerne gleiten übereinander und haben ihren Zusammenhang verloren. Mit Vorsicht ist noch Bearbeitung möglich; läfst man jedoch den Globuliten Zeit, ihrer molecularen Anziehungskraft zu folgen, so bilden sie gröfsere polyedrische Gruppen und es entsteht der sogenannte verbrannte Stahl. Die Eigenschaften des kalten Stahls hängen theils von der Geschmeidigkeit des Zellenkerns, theils von dem Widerstande ab, welchen die Zellenhülle der Form Veränderung des Kerns entgegenstellt. Man vergegenwärtige sich den Vorgang, wenn