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sondern besteht meist aus einem oder mehreren »Gentlemen«, d. i. den Besitzern, die anfangs als eine bescheidene Company von Schlossergehülfen begonnen und es nun zu Herren gebracht haben; sie halten sich jetzt die Buchhalter, Werkführer und Arbeiter und nur, wenn es hoch kommt, einen (meist deutschen) »Zeichnenmann«, und wo dieser fehlt, fehlen auch meist die Zeich nungen, denn die Gentlemen bauen die Specialität fort, mit der sie sich aufgeschwungen haben, und ändern nur selten ihren Stil.“ — Selbst verständlich giebt es auch rühmliche Ausnahmen, namentlich die ganz grofsen Fabriken nähern sich den europäischen Einrichtungen, halten aber an der eingeführten Specialität selbst während schlechter Zeit mit grundsätzlicher Zähigkeit fest. Unstreitig ist Mr. George Gorliss in Providence R. J. der bedeutendste unter den lebenden Ma schineningenieuren, man verdankt ihm die bahn brechende Erfindung der sogenannten Präcisions- Steuerungen, welche den heutigen Dampfmaschinen bau beherrschen. Seine grofse, 1400 pferdige Dampfmaschine auf der Centennial-Ausstellung in Philadelphia war ein technisches Wunderwerk, namentlich erregte das riesige Zahnrad, welches die ganze Kraft absolut stofs- und geräuschlos auf eine raschlaufende, unterirdische Transmissi onswelle übertrug, gerechtes Erstaunen. Die Zahnformen spielen in der Maschinenlehre eine wichtige Rolle und benöthigen zum theoretischen Verständnifs Vertrautheit mit den Abwickelungs- curven des Kreises, wie Cycloiden, Epicycloiden, Evolventen u. s. w. Diese Dinge kümmern je doch den berühmten Amerikaner wenig, denn Prof. Radinger erzählt: „Nun war es eine glück liche Stunde, in der ich Mr. Gorliss traf und ihn bei der Maschine über diese Zahnformen, von der ich früher einen Abdruck nahm, befragte. Ueber die Cycloiden - Gonstruction erging er sich dabei wohl eben nicht, aber er theilte mir mit, was ich später in seiner Fabrik bestätigt fand, dafs er einen alten Arbeiter hat, welcher die Zähne dadurch formt, dafs er früher die Kopf form nach dem Gefühle nimmt, und nun an Blechschablonen in natürlicher Gröfse die Wurzel form dazu aufsucht. Dazu benöthigt er die Zeit einiger Tage, aber dann sind die Zahnformen gut und drei oder vier Zähne dauernd im gleich zeitigen Eingriff. “ Im weiteren berichtet Professor Radinger über die höchst sorgfältige Bearbeitung des Rades, worin der Schwerpunkt des Erfolges liegt, was jedoch mit der Theorie gar nichts zu thun hat. In unmittelbarer Nähe des Rades bohrte ganz ungestört ein Uhrmacher und ein Nadelfabricant mittelst Diamanten Stahl und die harten Steine für die Nadelöhre und Uhrlager, während dicht nebenan ein Mechaniker Muster von vorgelegten Zeichnungen mit vergröfsernden Fühlhebeln übertragend in kupferne Druckwalzen schnitt, wobei selbst unter dem Mikroskop keine Vibration der feinstgeschnittenen Linien zu be merken war. „Hiernach wird die Behauptung wohl nur ge recht sein, dafs dies das beste Grofszahnrad war, welches je von Menschen gemacht wurde.“ Eine derartige überlegene Routine fordert zur strengsten Prüfung unserer deutschen Verhält nisse heraus; es wäre jedoch falsch, sie als allein gültig in Amerika darzustellen, denn „die Industrie entbehrt trotzdem nicht der wissenschaftlichen Durchgeistung und Führung, und wenn auch deren Principien nicht so zum Gemeingut wurden, und die gebildeten Ingenieure dünner gesäet sind als bei uns, so haben sich leztere dafür ebenso hoch vollendet specialisirt, wie dies mit jedem Zweig menschlichen Könnens in Amerika ge schieht, und sehen einer ebenso lohnenden Arbeit entgegen, wie irgend ein Fabricant. Die Vor berechnungen und der Entwurf der Pläne oder die nachträgliche Untersuchung wichtiger Ma schinen, chemische Analysen, Festigkeitsproben, Tabellen - Ausrechnungen u. s. w. werden von »Consulting Engineers« oder von Fachprofessoren in einer Gründlichkeit vorgenommen, welche den Europäer beinahe beschämt.“ Uebrigens sind dort Staat und reiche Bürger unausgesetzt beflissen, durch Gründung von höhe ren Schulen dem gefühlten Mangel an theoretischer Bildung abzuhelfen, wobei jedoch zu bemerken ist, dafs manche der dort bestehenden Colleges Institutes und selbst Universities in Mathematik und Naturwissenschaften kaum mehr lehren als Sie, meine Herren, auf Ihren oberen Klassen. Derartige technische Anstalten gehen selten über die Aufgabe einer besseren deutschen Gewerb- oder Fachschule hinaus. Absichtlich habe ich die technischen Zustände Nordamerikas besonders hervorgehoben, weil kein anderes Land der Erde eine gleich grofsartige industrielle Entwicklung gegenwärtig zeigt und es deshalb von gröfster Wichtigkeit ist, die Ver hältnisse zu kennen, unter denen sich der Auf schwung vollzieht. Die Vereinigten Staaten und Deutschland sind wahrscheinlich berufen, Englands industrielle Allmacht zu brechen. Beide Völker müssen voneinander lernen, denn es führen da wohl kaum zwei verschiedene Wege zum selben Ziele. Amerika bedarf der wissenschaftlichen Er gänzung, Deutschland der praktischen und wirth- schaftlichen. Unsere technischen Lehrstühle sind jedoch theilweise anderer Ansicht, man hofft den lawinen- haft wachsenden, in einer Sündfluth von Vervoll kommnungen und Erfindungen hereinbrechenden Unterrichtsstoff durch neue Lehrmethoden be wältigen und ihm die Merkmale einer reinen Wissenschaft verleihen zu können. Gelegentlich der Besprechung einer, von hervorragenden Do centen empfohlenen streng wissenschaftlichen Be-