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Aetlixr M Weißen? MMg Nr. 10 Mittwoch den 14. Januar 1914 80. Jahrgang !l»'' um -s-i-. i- - "II Griechenlands Standpunkt in der Inselfrage. Der Nachdruck, mit dem die Pforte den Besitz der Aegäischen Inseln verteidigt, deren hellenischer Charakter angesichts der nur fünf Prozent betragenden muselmani schen Bevölkerung außer allem Zweifel steht, verursacht in politischen Kreisen einiges Erstaunen. Die Behauptung, daß Chios und Mylilene infolge ihrer Nähe am asiatischen Ufer zu gefährlichen Herden der griechischen Propaganda werden könnten, er scheint wenig überzeugend; denn nirgend in Kleinasien haben die Hellenen, obgleich sie sehr zahlreich sind, das numerische Uebergewicht, das ihnen gestatten könnte, die politische Unabhängigkeit oder den Anschluß an Griechen land anzustreben. Was die Gesamtheit der Privilegien der griechischen Nation betrifft, die Graf Berchtold in den Begriff der ethnologischen Autonomie zusammengefaßt hat, so werden die asiatischen Griechen ohne Frage dieser Pri vilegien unter der Kollektivgarantie der Mächte teilhaftig werden, und eine Demonstration der griechischen Flotte würde genügen, um die Türken an den Respekt vor den kaiserlichen Firmans und den internationalen Verein barungen zu erinnern. Das andere Argument, nämlich daß die Besetzung von Jmbros, Tenedos und Thasos die Dardanellen an Griechenland auf Gnade und Ungnade ausliefern würden, hat nur relativen Wert; denn selbst wenn Europa eines Tages die Entfestigung der Meerenge fordern sollte, so würde ein solches Ansinnen nicht an die Türkei gestellt werden, ohne daß gleichzeitig Griechenland gezwungen würde, gewisse Inseln als neutral zu er klären. Bleiben aber die Dinge wie sie sind, so beweist das Beispiel des letzten Krieges, daß die Inseln, ohne auch nur im geringsten die Meer enge zu beherrschen, umgekehrt fortgesetzt einem Angriff von selten der feindlichen Flotte ausgesetzt sind, die unter dem Schutz der Forts zu ähnlichen Aktionen schreiten i könnten, wie es das ottomanische Geschwader am 22. De zember 1912 gegen Tenedos tatsächlich unternommen hat. Was den ethnologischen Anspruch Griechenlands auf die Inseln betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß die Aegäischen Inseln seit dem ersten Tage ihrer Geschichte griechisch gewesen und griechisch geblieben sind, vom Falle Konstantinopels an bis in die heutige Zeit. Gegenwärtig existieren auf den Aegäischen Inseln 469 775 Griechen bei einer Gesamtbevölkerung von 498 585, die überdies 4158 Juden und Fremde einschließt, und kaum 25 000 Musel manen aufweist. Die Bewohner der Inseln sprechen das reinste Griechisch, und der intellektuelle und moralische Einfluß Griechenlands kommt in 494 griechischen Schulen zur Geltung, mit einem Lehrpersonal von 699 Lehrern und 373 Lehrerinnen und einem Besuch von 46 757 Schülern beiderlei Geschlechts. Die ottomanische Regierung trägt zum Unterhalt dieser Schulen nicht einen einzigen Pfennig bei. Die Gefühle der Bevölkerung waren immer auf feiten Griechenlands, ihre Religion ist griechisch, was ja auch die vielen Kirchen mit orthodoxem Kultus be weisen, die sich auf die sieben Aegäischen Diözesen ver teilen. Aus allen diesen Gründen, und auch' auf Grund des Nationalitätenprinzips, das von den Berliner Kongressen im Jahre 1878 anerkannt worden ist, muß der Archipel, der griechisch ist, wie selbst die Italiener anerkannt haben, zu vollem Besitz an Griechenland zurückfallen, und zwar ohne jede Einschränkung in bezug auf Souveränität oder Suzeränität; denn, wenn nach dem Türkisch-Italienischen Kriege noch von Autonomie und von Privilegien die Rede sein könnte, so würde heute, nach einem siegreichen Kriege und nach tatsächlich erfolgter Besetzung der meisten der Inseln durch Griechenland, jede andere Lösung als die absolute Annexion ein Anachronismus, der ungezählten Gefahren sowohl für das Schicksal der Inselbewohner wie auch für den Frieden Europas in sich schließen. Deutsches Reich. Hof und Gesellschaft. Der Kaiser kehrte am Montagabend aus Berlin, wo er mehrere Tage im Schloß wohnte, wieder nach dem Neuen Palais in Potsdam zu rück. Die Vereidigung der Wilhelmshavener Rekruten in Anwesenheit- des Monarchen wurde auf den Beginn der zweiten Hälfte des Februar festgesetzt. Der Friede zwischen Aerzten und Krankenkassen gefährdet. Wegen der Entfernung der in Stettin und Breslau an den Kassen noch angestellten sogenannten dienstwilligen Aerzte, die bekanntlich Voraussetzung für die Annahme des Abkommens und den Abschluß von gültigen Verträgen im ganzen Reiche ist, kam es zu neuen Diffe renzen, deren Regelung zurzeit Gegenstand von Be sprechungen im Reichsamte des Innern ist. Für vie Reichstags-Ersatzwahl im Wahlkreise Hanau-Gelnhausen stellte eine Vertrauensmännerversamm lung der Fortschrittlichen Volkspartei als Kandidaten den Professor Hillmann-Frankfurt a. M. auf. Nach den Stratzburger kriegsgerichtsverhand- luagen. Dem Kommandeur des Zaberner Jnfanterie- I regiments Nr. 99, Oberst von Reuter, der sich zurzeit zu Oberkirch im Schwarzwald auf Urlaub befindet, sind mehr als fünfzehntausend Telegramme, Briefe und Karten zu gegangen, die ihn zu feiner Freisprechung beglückwünschen und ihm die Sympathien der Absender aussprechen. So sympathisch aber auch das Urteil im Reuterprozeß aus genommen wurde, ebenso befremdend wirkte in weiten, auch nationalen, Kreisen die vor dem Berulunasaericht erfolgte Freisprechung des Leutnants Frhrn. von Forstner, da man nicht begreift, wie man dessen Säbelangriff auf den lahmen Schuster in Dettweiler als Akt der Notwehr ansehen konnte. , Zwist im Polenlagec. Bei der Reichstagsersatzwahl im Wahlkreise Rosenberg-Löbau ist eine polnische Stimmen zersplitterung nicht ausgeschlossen, weil der polnische Kan didat Raszkowski den Uebergang eines polnischen Gutes in deutsche Hand mitoerschuldet haben soll. Ominöse Glückwunschtelegramme? Am Tage der Kriegsgerichts-Verhandlungen gegen die Zaberner Offiziere waren, wie die „Straßburger Neue Ztg." zu melden weiß, auf dem dortigen Hauptpostamt zwei Telegramme aufge geben worden mit folgendem Wortlaut: „Freispruch, B-ste Ost äße. Pelet." Die Telegramme seien an die Adressen „Iagow Berlin" und „Oldenburg-Ianuschau, Westpreußen" gesandt worden. Daraus folgert nun das Blatt, zumal der Vorsitzende des Militärgerichtes von Pelet- Narbonne heiße, und die Telegramme durch einen Offiziers burschen aufgegeben worden seien, daß der Gerichtsvor sitzende und der Absender der Telegramme identisch seien. Außerdem seien diese von dem Offiziersburschen bereits zu einer Zeit aufgegeben, wo die ersten Prefsevertreter trotz Benutzung von Autos noch nicht auf dem Telegraphenamt angelangt waren, sie müssen also bereits vor der öffent lichen Verkündigung des Urteils niedergeschrieben worden sein. — Selbst wenn diese Schilderung den Tatsachen ent sprechen sollte, so kann man daraus doch wohl kaum neues Hetzkapital schlagen; denn die Absendung eines der artigen oder ähnlichen Telegramms wäre lediglich Privat sache des Absenders, und sie ist wahrscheinlich nur erfolgt, weil der Absender von den Adressaten, seinen guten Be kannten, darum gebeten worden war. Ausland. Frankreich. Die Lasten der dreijährigen Dienstzeit. Nach einem vom Kriegsminister erstatteten Bericht über die Ausgaben, welche der dreijährige Dienst und die Verbesserung der Bewaffnung erheischen, betragen die nicht wiederkehrcnden Ausgaben für das Dreijahresgesetz 650 Millionen Frank, die auf drei Jahre verteilt werden und hauptsächlich für den Bau von Kasernen bestimmt sind. Die Verbesserung der Bewaffnung wird 1400 Mil lionen kosten, von welchen 220 Millionen nicht dringend sind, da ihre Verwendung nicht vor dem Jahre 1919 vor gesehen ist. Das übrige Programm von 1200 Millionen Frank soll in sieben Jähren durchgeführt werden, und zwar sollen 400 Millionen im Wege des normalen Budgets, die übrigen 800 Millionen durch besondere Hilfsquellen aufgebracht werden. Südafrika. Verschlimmerung der Lage. Mit den aus den südafrikanischen Kolonien Englands über die gegenwärtige Ausstandsbewegung eintreffenden Nachrichten geht es allem Anschein nach genau so wie mit der Berichterstattung über die letzten Balkankriege: ein Tag desavouiert den andern. So wird jetzt gemeldet, daß der Streik der Eisenbahner am Montag bedenkliche Fort schritte gemacht habe, indem auch die Setzer, Drucker und Bcrgleute mit großer Mehrheit sich für diese Kraftprobe entschieden hätten. In einigen Städten hätten die Arbeiter die Abstimmung, ob Generalstreik oder nicht, gar nicht erst abgewartet, sondern ohne weiteres den Sympathiestreik erklärt. China. Auflösung des Parlaments. Ein Erlaß des Präsidenten Iuanschikai ordnete die Auflösung des Parlaments an, weil es unmöglich fei, eine Beschlußfähigkeit zu erreichen. Ein weiterer Erlaß wies die Notwendigkeit nach, die das Parlament und die Wahlen betreffenden Gesetze umzuarbeiten. Die Wieder einberufung des Parlaments nach Abänderung dieser Ge setze wird feierlich versprochen. Gleichzeitig wird der Ver waltungsrat beauftragt, das Ergebnis seiner Erwägungen über die Organisation einer Kommission zur Abänderung der Verfassung vorzulegen. Mexiko. Eine schwere Niederlage der Truppen Huertas. Mit siebentausend Insurgenten stand seit einigen Tagen der miederaufgetauchte Nebellen-General Villa in heftigem Kampfe mit den Regierungstruppen bei der Stadt Ojinaga, der mit einer völligen Niederlage der letzteren endete. Die Stadt wurde eingenommen, nachdem fast die ganze aus viertausend Mann bestehende Garnison noch Zeit gefunden hatte, sich über den Rio Grande auf amerikanisches Gebiet zu retten, wo die flüchtigen Sol daten von der amerikanischen Grenzwache entwaffnet wurden. Infolge dieses Sieges hat Villa die unbe strittene Herrschaft über einen großen Teil Nordmexikos. Deutscher Reichstag. 189. Sitzung. 8 Berlin, 13. Januar 1914. Tie heutige erste Reichstagssitzung nach der vier wöchigen Weihnachtspause zeigte ein spärlich besetztes Haus. Es standen freilich nur Petitionen zur Be ratung, aber einige doch von so weittragender allge meiner Bedeutung, daß sie größere Arbeitsfreudig- keit verdient hätten. Die Anhänger des politi schen Frauenstimmrechts sind im Reichstage noch arg in der Minderheit. Immerhin war die Kommission gegenüber den Damen, die das aktive und passive Reichstags- Wahlrecht für sich fordern, höflich genug, nicht den ein fachen Uebergang zur Tagesordnung zu beantragen, sondern für diese Bittschrift den ganz ungewöhnlichen Weg derUeberweisung zur Kenntnisnah in e vorzuschlagen. — Nicht mit Unrecht sehen viele in der Leichtigkeit, post lagernde Sendungen auszu geben, eine gewisse Gefahr für die Sittlichkeit. Eine Bittschrift, die für alle postlagernde Sendungen die volle Adresse des Empfängers verlangt, wurde daher zur Berücksichtigung überwiesen. — Schließ lich entspann sich noch eine Aussprache hinsichtlich des Militärboykotts über Lokale. Dabei gab der Vertreter des Kriegsministeriums die bemerkenswerte Erklärung ab, daß ein Militärboykott nur verhängt wird, wenn durch den Besuch eines Lokals sich disziplinschädi gende Wirkungen für das Militär ergeben können. Die politische Gesinnung des Wirtes komme nicht in Betracht. Die Sozialdemokraten behaupteten freilich, daß es in der Praxis anders aussehe. — Morgen stehen wieder Petitionen auf der Tagesordnung. preußischer Landtag. Abgeordnetenhaus. 3. Sitzung. x Berlin, 13. Januar 1914. Zu Beginn der Sitzung erfolgte die Wahl des Prä sidiums ; es wurde auf Vorschlag des Abgeordneten Frei herrn von Zedlitz das bisherige Präsidium: Dr. Graf von Schwerin-Löwitz als Präsident, Dr. Porsch als Erster Vize präsident und Dr. von Krause als Zweiter Vizepräsident durch Zuruf wiedergewählt. Dann trat man in die erste Lesung des Etats. Als ersten Redner schickten die Konser vativen nicht wie sonst Herrn von Pappenheim vor, son dern Herrn Winckler, dessen Ausführungen deutlich eine Spitze gegen die Regierung enthielten, die es anläßlich der letzten Reichsfinanzgesetze und auch in anderen Fragen der jüngsten Zeit an der nötigen Energie hätte fehlen lassen. Bedenklich müsse auch stimmen, daß bei Behandlung der reichs gesetzlichen Gestaltung der Frage der Ärbeitslosenfürsorge die regierungsseitigen Erklärungen nicht eine glatte Ab lehnung bedeutet hätten. — Herr von Velhmann Holl weg, der sofort nach Herrn Winckler das Wort ergriff, hatte heute ganz entschieden einen guten Tag. Es mußte allgemein sympathisch berühren, in welch ruhiger und dock? entschiedener Weise er die Angriffe aus dem konservativen Lager zurückwies, besonders die Angriffe, die erhoben seien, ohne daß dabei auch nur der Versuch gemacht wurde, einen Beweis zu erbringen. Besonders glücklich war der Ministerpräsident, als er mit Nachdruck darauf hinwies, daß es gerade die Ablehnung der Erb schaftssteuer gewesen sei, die den Drang nach Reichs besitzsteuern verstärkt habe. Erst diese Ablehnung habe die außerordentliche Erbitterung in das Volk getragen. Der Kanzler sprach geradezu der konservativen Partei die Be rechtigung ab, der Regierung einen Mangel an Festigkeit vorzuwerfen. Seien es doch gerade die Konservativen ge wesen, die im kritischen Moment versagt hätten. Das Interesse des Hauses ebbte ganz erheblich ab, als der Kanzler geendet, um dem Redner des Zentrums, Herrn Herold, Platz zu machen. Die ^Darlegungen des Zentrumsredners, die in einem Sehnsuchtsschrei nach den Jesuiten ausklangen, brachten nicht viel Neues. — Leb hafter wurde es erst wieder bei den Ausführungen des Abg. Röchling, der diesmal an Stelle des Herrn" Friedberg von den Nationalliberalen vorgeschickt war. Seine Stellung zum preußischen Wahlrecht besonders, sowie seine Stellung nahme zu den Vorgängen in Zabern konnten keinewegs den Beifall derFreisinnigen undSozialdemokraten erwecken. Am wenigsten konnte sich HerrLiebknecht mit dem Redner befreun den, da ersich durchaus zum Fürsprecher derMilitärverwaltung machte. Aber auch Herr Bethmann Hollweg sah sich ge nötigt, gegen einige Darlegungen des Redners sein Veto einzulegen im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in Zabern. Im Anschluß daran äußerte sich der Minister präsident noch über die Reform des Wahlrechts in Preußen, um zum Schluß zu der braunschweigischen Frage, die Aspirationen der welfischen Partei als nicht ernst zu nehmende Träumereien zu stigmatisieren. Nach reichlich b'/L stündiger Sitzung vertagte sich dann das Haus. Letzte Nachrichten. Ein Pistolenduell, das glücklicherweise unblutig ver lief, fand im Walde bei Ankensen (Kreis Peine) zwischen dem Gutsbesitzer Legationsrat a. D. von Floeckher und dem Gutspächter Köhne statt. Die Duellursache soll iw einem Streit um eine Urkunde liegen. Dynamitexplosion. Dienstag mittag explodierte das Dynamitlager der Firma Grümer in Querenburg bei Langendreer. Drei Personen wurden getütet. Die Ursache der Explosion ist noch unbekannt. Durch den Vulkan-Ausbruch auf der Insel Sakur»- fchima sind das gleichnamige japanische Dorf und noch andere Dörfer zerstört worden. Die Verbindung ist unter brochen. Die Lage ist ernst; zwei Marinegeschwader haben sich in aller Eile dorthin begeben. Vor dem Ausbruch des Vulkans fanden mehrere Tage hindurch Erdbeben statt. Ein Aschenregen verhüllte die Jnfel und fiel bis in die zwei Meilen entfernte Stadt Kagoschima. Das Schicksal der 20 000 Bewohner der Insel und von acht Dörfern ist noch unbekannt, da der Telegraph unterbrochen ist. Der letzte vulkanische Ausbruch auf der Insel hat 1780 stattge funden. Die neue Auszeichnung. Der Vorsitzende des Deut schen Patriotenbundcs Geheimer Hofrat Klemens Thieme in Leipzig hat an Stelle des ihm anläßlich der Weihe des Völkerschlachtdenkmals verliehenen, von ihm aber abgelehnten Roten Adlerordens vierter Klaffe, den Roten Ädlerorden dritter Klasse mit der Krone erhalten, veheimrat Thieme hat diese Auszeichnuna angenommen. Kleine politische Rochlichten. Ins Preußische Herrenhaus wurde der Oberbürger meister von Kassel, Erich Koch, für die Dauer seiner AnUssiihrung berusen.