Volltext Seite (XML)
Joseph Haas wurde am 19. März fünfundsiebzig Jahre alt. Er ist 1879 in Maihingen in Bayern geboren und war zunächst Volksschullehrer. Von dorther ist seine Neigung zu einer klargeformten, verständlichen und zu Herzen gehenden Musik abzuleiten. Er studierte bei Max Reger in München und Leipzig Komposition, wurde dessen Famulus und nach Beendigung des Studiums selbst Lehrer für Komposition (1911) an der Stuttgarter Musik hochschule, wo er 1916 den Professorentitel erhielt. Seit 1921 ist er an der Münchner Akademie der Tonkunst tätig, wo er Leiter der Abteilung Kirchen musik war, die Komponistenklasse führte und zuletzt Präsident des Instituts wurde. 1929 erhielt er den Beethovenpreis, 1930 wurde er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Die Parallelen zu Schubert, dessen volks tümliche Kompositionsart er auf seine persönliche Weise verarbeitet, aber auch zu Heinrich Schütz sind stark, da Haas, wie Schütz, für uns heute ein Vater der deutschen Musik ist. Zahllos sind seine Werke. Er schrieb wahr hafte Volksopern, nämlich „Tobias Wunderlich“ (Kassel 1937) und „Die Hochzeit des Jobs“ (Dresden 1944). Neben dem Volksoratorium „Die heilige Elisabeth“ stehen das Oratorium „Das Lebensbueh Gottes“, das bayrisch- tiroler Weihnachtsliederspiel „Christnacht“, eine Deutsche Singmesse, das Deutsche Gloria, das Lied von der Mutter, die Münchner Liebfrauenmesse, die Speyrer Domfestmesse, die Deutsche Vesper usw. Für Orchester schrieb er die Heitere Serenade op. 41, die Variationen und Rondo über ein alt deutsches Volkslied op. 45, die Rokokosuite op. 64, die Ouvertüre zu einem frohen Spiel op. 95 usw. Die Zahl der Lieder ist riesengroß, und auch die Kammermusik nimmt in seinem Schaffen einen breiten Raum ein. Haas ist der „Komponistenmacher“ unsrer Zeit, denn Bresgen, Gebhard, Höher, Jochum, Philipp Möhler, Heinz Schubert, Hermann Unger und viele andere sind seine Schüler gewesen. Haas ist ein Meister der kleinen Form und Meister der wahrhaft volkstüm lichen Musik. Das ist seine große Bedeutung für unsere Zeit, in der er unbe irrt von Modeströmungen und Experimentierlust aufrecht und zielbewußt seinen Weg schreitet. Die Symphonische Suite für eine hohe Singstimme mit Orchester „Tag und Nacht“, die Joseph Haas als sein Opus 58 herausgab, ist 1922 im Druck erschienen. Das Werk gliedert sich in vier Sätze, die jeweils den Inhalt eines Gedichtes von Ernst Ludwig Schellenberg wiedergeben. Die Singstimme ist der Hauptträger des musikalischen Geschehens — mit großem melodischem Atem wird die Dichtung vorgetragen, das Orchester unterstreicht die Stimmungswerte und unterstützt die lyrischen Aufschwünge. Haas hält sich genau an den Text und vermag dank seiner kompositorischen Meisterschaft die Bildkraft der Sprache durch die Musik zu erhöhen, so daß der Versuch, in Worten eine Beschreibung der Musik abzufassen, hier (wie überall!) scheitern muß.