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Wenn man weiß, daß Georg Friedrich Händel sich tüchtig in Italien umgesehen hat, wird man sich nicht darüber wundern, daß er sich auch von der Gattung des concerto grosso zu eigenen Arbeiten anregen ließ. Er wurde damit der Schüler und Nachahmer eines Corelli, eines Torelli, eines Vivaldi und Geminiani, deren Ausdrucksweise er ins Deutsche übersetzte. Bach tat es in seinen „Brandenburgischen Konzerten“, Händel in einer Reihe von Orchesterkonzert-Sammlungen, von denen die als Opus 6 geltende zwölf solcher Concerti grossi enthält. Das letzte, in h-moll, steht auf unserm Programm. Als echtes Mitglied seiner Sippe ist es auf dem Prinzip des Konzertierens, d. h. des Wett streitens zwischen dem „concerto grosso“, dem vollen Orchester, und dem „concertino“, dem kleinen, solistisch besetzten Orchester aufgebaut. Wir haben es mit dem Vorläufer des uns geläufig gewordenen Solistenkonzertes zu tun, wo dem Orchester ein einziger Solist gegenübersteht. Während die Concerti grossi des Opus 3 neben Streichern auch die Oboe verwenden, sind die des Opus 6 nur für Streicher gedacht. Das Concertino besteht aus Violine I, II und Violoncello. (Selbstverständlich darf das grundierende Cembalo nicht fehlen.) In der Form ist Händel sehr frei. Er liebt die Abwechslung. Das Ur-Prinzip ist die Gegenüberstellung von einander kontrastierenden Sätzen. So beginnt das h-moll- Konzert mit einem ernsten Largo, dem ein reich figuriertes, geistvoll diskutierendes Allegro folgt. Dann wieder langsamer Satz, von dem aus es über ein kleines Largo ins Finale geht; in ihm klingt der Tanzcharakter der Suitenform, die dem Concerto grosso oft zugrunde liegt, an, fugierte Stellen erinnern an den überlegenen Beherrscher des Kontrapunkts, und der Schluß voll Ernst und Kraft läßt uns erst recht in die uns vertrauten Züge des großen Oratorienmeisters blicken. Johannes Brahms" Violinkonzert entstand in Pörtschach am Wörther See, wo er zu dreien seiner schönsten Werke angeregt wurde. Das Glück dieser Tage, der Glanz dieser Landschaft liegt über der zweiten, der D-dur-Sinfonie, über dem Violinkonzert und der G-dur-Violinsonate. Das spürt man im ersten Satz mit seiner Dreiklang-Thematik (daß es die Tonart D-dur ist, die Brahms für diese Stimmung wählt, ist natürlich auch kein Zufall), in den nur das energisch dreinfahrende d-moll-Seitenthema einen kräftigeren Ton bringt. Aber auch dasist nureine Episode, deren Eindruck verwischt wird, wenn der Solist mit einer Improvisation über das Hauptthema einsetzt. Auch nach der Kadenz, die ganz im Sinne des alten Konzerts eingeführt und dem Solisten überlassen wird, hat es wieder die versonnene Stimmung zu bestätigen. Ursprünglich war das Konzert auf vier Sätze berechnet. Da er aber „über Adagio und Scherzo“ gestolpert war, schrieb Brahms einen neuen langsamen Satz, ein F-dur-Adagio, das aber nichts von einem gedankentiefen stimmungsschweren Sinfonie- Adagio an sich hat. Es ist vielmehr ein freundliches Tonbild, bestimmt durch das von der Oboe vorgetragene Hauptthema, das im weiteren Verlauf von der Sologeige kommentiert wird. Der dritte Satz endlich ist, wie oft bei Brahms, ungarisch gefärbt und bildet mit seiner federnden Rhythmik, seiner exotischen Harmonik ein gutes Gegengewicht zu der Idyllik der voraufgegangenen Sätze. Als ein Liebender ging Franz Schubert durch die Natur. Er durchwandert die Wiener Landschaft, er macht Fahrten nach Oberösterreich, nach Salzburg und in die Steiermark. Sein tiefes Naturgefühl spricht uns in seinen Werken an, auch in der C-dur-Sinfonie, die als siebente bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber Schuberts neunte ist. Schumann, der sie lange nach Schuberts Tod (!) bei dessen Bruder Ferdinand entdeckt hat, hat die musi kalische Welt auch auf die vielen Schönheiten aufmerksam gemacht, die mit dem Horn- solo der dem ersten Satz vorangestellten Einleitung beginnen, mit dem sich bald ins Tän zerische wendenden Hauptthema und dem keinen eigentlichen Gegensatz bildenden Seiten thema fortgesetzt werden — das Ganze ein keckes Hineinstürmen in eine Welt voll Sonnen schein. Zum Schluß ein Aufschwung ins Heroische, das Thema der Einleitung erscheint im vollen Glanz des Orchesters. Um so größer ist der Gegensatz, der nur mit dem Andante auftritt. Es ist ein wehmütiges Lied, das Schubert hier singt, es ist der Schubert, der ein Jahr zuvor die „Winterreise“ geschrieben hatte, der Schubert, der kurz danach die Straße gehen mußte, „die noch keiner ging zurück“ . . . Die Oboe singt das Lied, später zusammen mit der Klarinette, die Streicher pochen einen schier unheimlichen Rhythmus dazu. Atem raubende Steigerung. Schmerzhafter Aufschrei der Streicher. Zurücksinken in verhaltene Resignation. Scherzo und Finale sind dann wieder ganz dem Leben zugewandt. Das Scherzo, das unwirsch wie manchmal bei Beethoven beginnt, besinnt sich schnell auf freundlichere Töne, in die sich sogar Wiener Walzerseligkcit mischt. Dr. Karl Laux.