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Beilage zu ^7292 des Dresdner Jouvnüls. Sonnabend, den 16. December 1882. 28. Plenarsitzung des Keichslags. * Berlin, 14. December. Präsident v. Levetzow erösinet die Sitzung kurz vor Hl Uhr. Lor der Ta gesordnung girvt Bundesbedollmächtigter königl. bayerjchek Gesandter Gras v- Lerchcnseld Kösering solgende Erklürung ab: Der «bg Dr. Windthorst hat gestern bemängelt, daß die Vertreter Bayern« im BundeSralhe da« Votum Bayern« über die «vent. Aushebung des Gesetze« vom 4. Mai >874 nicht dem Reich« tage mitgetheilt hätten, und daran die Bemerkung geknüpft, daß e« zu einer derartigen Mittheilung an Muth zu fehlen schiene Der gestrigen Sitzung beizuwohnen, war ich verhin dert; ich erkläre heute: Die bayerschr Regierung ist niemal» den Beweis schuldig geblieben, daß sie den Muth hat, jeder Zeit und überall ihre Ansicht zu vertreten. E» wird die« von ihr auch hier im Reichstage in jedem ihr geeignet erscheinenden Falle geschehen Sie hat das Recht dazu, aber nicht die Ver pflichtung, und sie wird sich die freie Entscheidung im Einzel- falle durch keinerlei Provocation entziehen lassen. Der Adg Windthorst scheint von der Voraussetzung au-zugehen, daß da» bayerfche Volum ein zustimmendes war; ich habe daraus nur zu bemerken, daß die dayersche Vertretung nicht den Auftrag hat, das Votum Bayern« oder dessen Begründung dem Reichs tage mitzutheilen Adg. vr. Windthorst (gleichsall« vor der Tagesordnung): Ich stelle mit Besriedigung eine Quittung darüber aus, daß meine gestrige AuSsührung da vernommen worden ist, wo sie vernommen werden sollte. Ich habe keinen Zweisel darüber erhoben, daß die bayerschr Regierung allein ermessen kann, wa« sie sagen will und wa» nicht; sie hat ermessen, daß sie nichts sagen will, und dabei muß ich mich beruhigen. Da» aber war der Gegenstand meiner Beschwerde, daß sie weder gestern noch heute etwa« gesagt hat. Abg. Hänel ist schon darüber befriedigt daß der bayerschr Gesandle überhaupt geantwortet; durch solche- Eingreifen in die Verhandlungen der verbündeten Regierungen werde immer hin die Situation etwa« geklärt. Abg. Frhr. v. Minnigerodr bemerkt, daß die einheit liche Vertretung des BundeSrathS vor dem Reichstage doch wohl als Regel wünjchenswerlh erscheine. Abg. Windthorst giebt daS zu; aber wo notorisch ab weichende Voten abgegeben, wäre doch eine Darlegung vordem Reichstage am Platze. Damit ist dieser Gegenstand erledigt. Bei der Fortsetzung der Berathung der Denk» schrift über die Ausführung des Socialisten- gesetzes erhält zunächst das Wort Abg. 1>r. Hänel. Derselbe führt au«, daß der Minister v Puttkamer gestern allerdings die Nolhwendigkeit de« Socia- listengesetzes überhaupt darzuthun gesucht, aber nicht die Denk- schrist begründet habe. Der scharfen Berurtheilung des Zu sammengehen« der liberalen Parteien mit den «socialdemokraten bei den Wahlen hält er daS Verhalten der Regierung selbst gegenüber Ohne die liberalen Ideen könnten oir Social- demokraten nie besiegt werden Da» Socialistengeietz habe sich als eine stumpse Waffe erwiesen und den Kern der Socialdemo kratie nicht getroffen. Habe die Regierung denn dir Absicht, den Belagerungszustand so lange sortdanern zu lassen, bi« der letzte Demokrat aus dem deutschen Reiche verschwunden? BunbeScommifjar königl. preußischer Minister v Putt kamer: Die Rede des Hrn Abg. Hänel bietet so viele interes sante AnknüpsungSpunkte, daß ich e» mir nicht verjagen kann, einige der Hauplmomente, durch dir rr seine Ansicht begründet, hervorzuheben. Zunächst bemerke ich. daß ich keine Aeußerung vernommen habe, au« welcher der Standpunkt, welchen der Abg Hänel und seine Freunde dem Anträge der jocialdemokra- tijchen Abgeordneten gegenübcr einnehmen, mit Sicherheit sest- zustellen ist Ich besürchte fast, daß er und seine Freunde dem Anträge zultimmen werden. (Jawohl! link« ) Da» erfüllt mich mit sehr großen» Bedauern; denn e» liegt in meinen Bugen kein Fortschritt darin, sich jeder Maßregel, welche da» Wohl de» Landes und seiner Bewohner fördert, zu widersetzen (Ohol links. Sehr richtig! rechts) Am Schluffe seiner Autsührungen sagte der Abg. Hänel, e« sei durch die Handhabung de» vor liegenden Socialistengesetzes keineSweg« der innere Lern der jocialdemokratischen Bewegung getroffen und zweiten- habe da» Gesetz vom 28. October 1878 auch nicht die Socialdemokratie vom Erdboden verschwinden lassen. Ich erwidere darauf, daß die verbündeten Regierungen von der Selbstüberhebung, dem Gesetze diese Wirkung beizumeffen, weit entfernt waren. LS ist uns nicht gelungen, die revolutionäre Socialdemokratie zu ver nichten, wohl aber dieselbe eiriHudämmen, und jo, scheint es mir, hat sich der prophylaktische Lharakter des Gejetze» durchaus bewährt Wie denk« sich wohl der Hr. Bor- redner die Entwicklung der Dinge ohne da« Gesetz vom 28. October >878? Nach meiner Ansicht wären wir ein gut Stück weiter gekommen aus der schiesen Ebene. Wahr scheinlich würde eine koloffale Ausbreitung der socialdemokra- tischen Bewegung, namentlich unter der ländlichen Bevölkerung, eingelreten sein, und daß da« Gesetz dieses verhindert hat, können wir nicht hoch genug anjchlagen. Der Abg. Hänei sagt: „Wir sind auch entschiedene Gegner der Irrlehren der Socialdimokratie, aber wir erwarten, daß aus dem Boden de« gemeinen Rechts und der Entwicklung liberaler Anschauungen die Socialdrmokratie ihre Gefahren für die bürgerliche Gesell schaft verliert." Jcy holte da« für einen verhängnißvollen Irr» thum. Der Abg. Hänel selbst hat den vergeblichen Versuch gemacht, durch Strafnormen die Ausschreitungen der Social demokratie gegen die fundamentalen Satzungen der bürgerlichen Gesellschaft zu hindern. So hat e« sich erwiesen, daß der Re gierung außerordentliche Vollmachten nöthig sind Ob die Dauer des Socialiftengesetze« a's ewig verbürgt anzusehen sei. liegt im Schooße der Zukunft, ich habe hier nur zu constatiren, daß, so lange dieses Gesetz und der 8 28 desselben besteht, die Regierungen im gegebenen Falle prüfen müssen, ob zwingende Gründe da sind, es anzuwenden. Ohne solche dieses Gesetz an- zuwenöen, wäre allerdings Frevel Der Abg. Hänel meint, wenn man aus so allgemein hingestellten Motiven, wie sie in der Denkschrift angegeben sind, von der Befugniß de« 8 28 Gebrauch machen wolle, thäte man besj-r, diese Maß nahmen sogleich aus da« stanze Gebiet de» deutschen Reiches auszudehnen: daS ist ern Jrrthum! Es giebt einige Punkte im deutschen Reiche, wo die socialdemokra ¬ tische Bewegung bezüglich der Ausschreitungen ganz be sondere Nahrung gesunden hat, und an diesen Orten müßten nach der Ueberzeugung der Regierung außerordentliche Maß- nahmen versügt werden Wenn der Abg. Hänel weiter dir ver bündeten Regierungen aussordert, im eigenen Interesse sür mil dere Uebergangsbestimmungen zu sorgen, da ja doch dar So- cialistrngesetz nicht ewig währen könne, so muß ich erwidern, daß die verbündeten Regierungen mit Freuden mildere Saiten ausspannen würden, wenn nicht da« Auftreten der jocialdemo- kratischcn Partei die» unmöglich machte. Die Regierung «st weit davon entfernt, da« Demokratische in der Bewegung zu verfolgen und das Socialistijche anzurrlrnnen. Die Lompro- miffe mit den Socialdemokraten liegen der Regierung fern, das einzige actenmäßige Vorkommniß ist ein Lompromiß der Fort schrittspartei mit den Socialdemokraten; e« ist da» Hanauer Manifest. (Ohol link«) Wenn der Abgeordnete die Bestrebungen der Regierung und der Socialdrmokratie idrntificirt, so ist da» ein Jrrthum. Fordert der Hr. Abgeordnete durckiau» andere Gründe sür die Verhängung des BclagcrungSzustande«, so kann die Regierung immer nur von Beobachtungen allgemeiner Natur ,umgehen. Line Furcht besteht bei den verbündeten Regierun gen nicht, sie fühlen sich stark genug, um im soeialdemokratischen Sinne geplante revolutionäre Versuche zurackzuweisen. Wenn aber durch die Druckschriften ein Geist verbreitet wird, welcher für die öffentliche Sicherheit fürchten läßt, wenn Vorkommnisse, wir die auf dem anhalter Bahnhof zu verzrichnen sind, fo sind doch unsere Maßregeln gerechtfertigt. Ich möchte bitten, daß das Hau« sich nicht den Autsührungen de« Abg. Hänel anschließ», sondern den Antrag einstimmig ablehnt, Abg. vr. Wendt (Hamburg) erklärt, daß die Fartschritt«- partei ausnahmslos sür den Antrag der kocialdemokralen stimmen werde, ebenso eventuell aber mn» Verschärfung dr» gemeinen Recht» ablehnen würde. Der Hamburster Senat habe sich nur schwer dazu verstanden, au« Lourtoisie gegen den großen Nachbarstaat auch aus Hamburg den Belagerung««»' ftand mit au»dehnen zu lasten Die AuSsührung de« Socia- liftengesetze» in Hamburg sei allerdings eine durchaus loyale gewesen; gleichwohl seien etwa «oo Familien aus Hamburg «»»gewiesen. Der Redner jucht eingehend darzuthun, daß daS Soclalistengesetz selbst zur Stärkung und Einigung der social- demotrattschen Elemente am meisten beitragt. Er wendet sich dann an da» Lenlrum, welches die Worte: Wahrheit, Freiheit und Recht imm-r im Munde führe; auch hier handle e» sich um ein ExpatriirungSgesetz; die Socialdemolraten verdienten doch dieselbe Rücksicht, wie die katholischen Priester (Oho! im Lenlrum) Schließlich protestirt der Hamburger Abgeordnete dagegen, daß man im deutschen Föderativstaate die monar chische Besinnung zum Prüsstein de» Patriotismus mache StaatSsecretär v Bötticher: Dem Hrn. Vorredner wird ja wohl, soweit er sich an Parteien gewendet hat, von diesen dar Nölhige gesagt, auch namentlich der Unterschied zwischen einem Geistlichen und einem revolutionären Social demokraten nicht vorenthalten werden. Seine Ausführungen bezüglich der Thäiigkeit des Hamburg«! Senats und der Ham burger Polizei nöthigen mich aber zu einer directen Entgeg nung E» ist mir ia unklar geblieben, wa« den Hrn . Vor redner bewogen hat, einen Unterschied in der Behandlung deS Socialistengejetze» feiten der Hamburger und der anderen Polizeibehörden zu statuiren. Vielleicht hat ihn die Stellung eine» Hamburger Staatsbeamten dazu bestimmt (Oho! link» ) Sosrrn darin einBorwurs liegen soll, al» habe der Hamburger Magistrat nicht im Sinne de» Gesetzes da« Gesetz angewendet, jo habe ich zunächst zu constatiren, daß die allerdings im preußischen Ministerium des Innern au»gearbeitete Denkschrift dem Hamburger Senat vorgelegen hat und derselbe un« sein volle- Einverständniß mit den Ausführungen derselben kund gegeben hat. Bezüglich der Ausweisungen stehen mir seiner einige Daten zu Gebote, welche nicht gerade eine laxere Hand habung des Gesetzes in Hamburg erkennen lassen: Bi« zum 2S. November 1882 sind au-gewiesen durch den Polizeipräsi denten von Berlin >88, durch den Regierungspräsidenten von Potsdam 14, zusammen 202; durch den Regierungspräsidenten von Schleswig 144 und durch die Polizeibehörden von Ham burg 871 Vergleichen Sie die Bevölkerungszahlen, so steht sest, daß man in Hamburg ebenso energisch das Gesetz auSge- sührt hat, wie anderswo. Im Uebrigen taun ich Sie namen« der RrchSregierung nur bitten, den Antrag Blo« abzulehnen Abg. v. LzarlinSki bemerkt, daß die socialdemokratischen Agitatoren bei dem polnischen Volke wenig Glück hätten Die Regierung möge darselbe nur durch Maßnahmen unterstützen, welche geeignet sind, den socialdemokratischen Agitatoren den Boden zu entziehen. Abg. Grillenberger sucht darzulegen, daß die Wahlen keinen Rückgang der Socialdemokratie bedeuten Die Arbeiter seien wohl bereit sociale Resormvorschläge von der Regierung anzunehmen, wenn sie nur wirklich gut und wenn die Locial- demokraien aus den ehrlichen Willen der Regierung vertrauen könnten. Daran hindere sie aber das Fortbestehen de» Aus nahmegesetze» Was das Wydener Fest betrifft, bemerkt der Redner, so ist der ganze Bericht darüber erlogen. Allerdings habe ich eine Rede gehalten über „die alten und neuen Raub ritter' und gesagt, daß das Bibelwort einmal wahr werden könnte: .Auge um Auge, Zahn um Zahn!' Alles Andere ist mir von einem Manne in den Mund gelegt, der als Spitzbube und Betrüger im Gesängniß ist; und dessen Beußerungen scheut sich die Regierung nicht, hier dem Reichstage auszulijchen! Wenn jene Aeußerungen über mich wahr wären, jo müßte mir dir Regierung josort einen HochvcrrathSproceß machen Wenn man meint die schweizer Bauern verständen nichts von der Sache, jo kann ich sagen, daß sie mehr von socialen Dingen wissen, al« hiesige Rationalökonomen und sogar Staatsjrcretäre. Unter den angeblichen Bauern befand sich auch ein preußischer Laudrath, der nachher noch mit uns zusammen gekneipt hat, weil ihm unsere kräftige Sprache gefiel. Der .Bürgermeister Tjchech' ist gar nicht gesungen worden Die »elder sür den Agitator Schmidt hat man aus dem Fond sür die Hinter bliebenen verdienter Polizeibeamter entnommen BundeScommis jar königl preußischer Minister v Putt kamer (nach dem Referat der.Post'): Der Vorredner behauptet, daß in dem Processe gegen die Gxcedenten aus dem anhalter Bahnhof constatirt worden sei, daß die Polizei den Austritt provocirt habe. Die B.hauptung ist absolut unwahr, wi« ich im Interesse der öffentlichen Ordnung und Rechtspflege hiermit constaiire. Auch die Mißhandlung de« abjpiednehmenben Ulbrich aus dem Bahnhose ist amtlich ganz unbekannt Der mir vorliegende Bericht über die Wydener Feste ist durchaus zuverlässig, eS handelte sich ja um ein öffentliches Fest, der Be richterstatter eine durchaus glaubwürdige Persönlichkeit (Ruse der den Socialdemokraten: Schmidt!), von Schmidt ist gar nicht die Rede Hätte ich übrigens die Schlußerklärung deS Hrn. v Vollmar in persönlicher Bemerkung noch gehört, daß er revolutionär sei rubra et erctru muros, so würde ich dre Festrede des Hrn. Grillenberger zi rcproduciren gar nicht nöthig gehabt haben (Sehr richtig! rechts.) Bundesbevollmächtigter königl. sächsischer Ltaats- minister deS Innern v. Nostitz-Wallwitz (nach dem Referat der .Rordd. Allg. Ztg "): Ich constatire nur dir Thatsache, daß der vielgenannte Schmidt den Bericht über das Wydener Fest nicht erstattet hat, ooer daß er wenigstens so irrelevant war, daß er nicht zur Kenntniß der vorgesetzten Behörden ge- kommen ist. Dieser Schmidt hat auch kein Material geltesert, aus das hin Ausweisungen erfolgt wären. Es ist ferner nicht wahr, daß derselbe au« einem Fond bezahlt worden sei, der zur Unterstützung von Hinterbliebenen der Polizei bestimmt ist. Ich könnte noch einige Bemerkungen machen; nachdem wir aber gestern und heute von den Herren gehört haben, daß iie Revo lutionäre sind und als nicht« Andere« angesehen werden wollen, so halte ich mich zu weiteren Bemerkungen nicht sür verpflichtet, denn mit Revolutionären diScutire ich nicht. (Beisall! rechts.) Abg vr. Windthorst: Die Gegensätze unter den Klassen der menschlichen Gesellschaft, wie sie in den Reden des Hrn. Vorredners sich zeigten, müssen wir mit dem größten Ernste betrachten. Was das Socialistengesetz angeh», so glaube ich, dah der 8 28 seinen Zweck nicht erfüllt und zu großen Unzu träglichkeiten führt; da er aber einmal vorhanden ist, fo darf er nur mit der allergrößten Vorsicht gehandhabt werden Die Regierung sollte jedoch bemüht sein, etwas Dauerndes zu schaffen: denn dieses Gesetz kann nun und nimmer lange be stehen. In Bezug aus die verschiedenen angesührten Beschwer« den ist an keine derselben ein bestimmter Antrag geknüpft So lange da» aber nicht geschehen, und so lange keine Beweise beigebracht sind, kann ich keine Stellung dazu nehmen. In unsern socialen und wirthschaftlichen Verhältnissen liegt Man ches, wa« die Socialdemokratie sich zum Borwurs machen kann, und jo lange die Socialdemokratie auf gesetzlichem Wege auf Abhilfe sinnt, bin ich geneigt, ihr den weitesten Spielraum zu gewähren. Allein, wenn sie sagt, .wir sind revolutionär', wenn sie im Wege der Revolution etwas erreichen will, dann wendet sich jeder Wohlgesinnte ab. So haben die Socialdemo kralen also mit ihren gestrigen und heutigen Reden den Ar beitern, welchen sie Helsen wollen und die so dringend der Hilse bedürsen, viel mehr geschadet, als genützt Positive Berbefle- rung-versuche sind nun bereit« gemacht worden und wir vom Lentrum sind die Ersten dazu gewesen. Ich würde e« sehr beklagen, wenn der Reichstag jetzt nicht die beiden socialen Gesetze zu Stande brächte! Fürst BiSmarck wird un» dabei, so weit e« irgend möglich, aus seiner Seite finden Damit allein ist « nicht gethan, auch in mancher andern Beziehung stehen unsere socialen Verhältnisse nicht aus dcn richtigen Basen, und eine saure Arbeit wird » werden, aber mit gutem Willen läßt sich Viele» erreichen. Ernsthaft sreilich kann die Regie rung die Eocialdemokratie nur hrkämpsen mit Hilse der Kirche, der sreien Kirche! Darum heben S,e gejälligst die Maigesetze aus! (Große Heiterkeit ) In den Distrikten, wo der religiöse Sinn herrscht, findet die Socialdrmokratie keinen Boden! DaS Au»nahmegejetz wird keinen dauernden Erfolg erzielen; äußere, mechanische Arbeit kann hier nicht« wirken Da» Berech'igtr in ihren Forderungen muß anerkannt werden, damit da» Un berechtigte und die Revolution-drohung um so schärfer und entschiedener bekämpft werden kann! (Lebhafter Beifall im Lentrum.) Abg. Stöcker: Hr. Abg. vr. Hänel behauplet, die christ lich-sociale Partei habe die socialdemokratischen Laadidatureu patronisirt. Ich habe allerding» mit den Führern die Unter- Handlungen geführt und au» denselben Zweierlei gelernt, ersten», daß di» Berliner Socialdemokraten lange nicht so tief im Banne der Führer stecken, al» die Herren e» un» hier glauben machen wollen, und zweiten», daß die Berliner Socialdemo- kraten vielmehr Sympathie mit der Resormpolitik der Regie, rung hegen, al» die Herren hier zugestehen Bon den Berliner Soclaldemokraten haben wir Dreierlei gefordert: 1) gebt die Revolution aus, 2) erkennt die ardeitersreundlichen Bestrebungen der Regierung an, und ») such» die Resormen in Flieden durch- zusührenl Wenn ein Socialdemokrat diese Bedingungen unter schreibt, so ist er mir viel lieber al« ein Fortschrittler Wir können mit Maßregeln doch nicht erst warten, bi» Barricadell gebaut werden Et liegt in den Händen der Socialdemokraten, beruhigende Erklärungen abzugeben, welche da» Aufheben de» Gesetze« ermöglichen Ich erblicke im Erlaß diese» Gesetze« ge rade einen großen Muth, daß die Regierung »« wagte, das selbe gegen die öffentliche Meinung zu erlassen. Die Regie rung muß sich gegen die Revolutionäre schützen und ohne Er folg ist ihre Maßregel nicht gewesen: Der Ansteckungsherd ist isolirt. Den parlamentarischen Einfluß der Socialdemokraten schlage ich nicht hoch an Wenn das Gesetz eine verbrecherische Thorheit von Revolutionären genannt wird, so ist da« rin gute- Zeichen Wenn hier Sympathien sür den russischen Nihilismus geäußert werden, so sind die schärssten Maßregeln gerechlsertigt. Kommen Sie in unsere Versammlungen und diScutlren Sie ordnungsmäßig, so können Sie Ihre Ansichten wohl darlegen Gegenüber der socialdemokratischen Gefahr Helsen Humanität-Phrasen und Toleranzreden gar nicht». In Hamburg kann man gut von Republik spreche», da man die deutschen Monarchien hinter sich hat. Möchte man denn auch in Hamburg etwa d'e Zustände anderer Republiken, etwa wie die in Frankreich? Wenn die Fortschrittspartei da« Vertrauen gegen die Regierung immer wieder erschüttert, so hat die So cialdemokratie gewissermaßen Recht, wenn sie sagt: .wir sind e» ja nicht allem, die da» Volk gegen die Regierung auswie geln ' Für jede Partei, die den Umsturz nicht will, giit e» ieyt die sittlich religiöse Basi» sür unser Volk wieder zu ge winnen. Christliche Weltanschauung oder nicht, ist jetzt die Losung! Die Socialdemokraten haben kein Recht zu jagen, daß die Regierung dem Arbeiter nicht entgegenkommt, nachdem die kaiserl. Botschaft ergangen ist Die Krankenversicherung ist obligatorisch gemacht, weil durch die bisherigen Maßregeln den Arbeitern nicht genug Sicherheit geboten wurde Den Bor wurs der Polizeiwillkür dürfen Sie den Entwürfen nicht machen. Ihre Sympathie mit RegierungSentwürsen wird absolut werth- loS, wenn hinterher die Drohung mit der Revolution doch nicht ausbleibt. Die Anfänge einer bessern Zeit zeigen sich aber bereit», wie die Berliner Gewerkschaftsbewegung beweist. Wir haben dieselbe Liebe zum Brbeiterstande wie Sie. und wir werden in unseren Bestrebungen sortsahren, aus einem Wege, auf dem Ziele zu erreichen, aber nicht Revolutionen zu machen sind. (Beisall rechts.) Abg. Schröder (Wittenberg): E» ist also eineThatsache, daß der Führer der Antiliberalen in einer so schweren Zeit mit den Socialdemokraten unterhandelt hat! Wie er von den selben die Erfüllung feiner Bedingungen hat erwarten können, bleibt mir in seinem ganzen politischen Verfahren ein Räthsel, nur die Unklarheit de« Vorredners in seinem ganzen politischen Verfahren scheint mir hier Aufklärung geben zu können. Im Ganzen muß bedauert werden, daß über einen so überau» schwer wiegenden Gegenstand hier nur Reden gehalten werden können Jedenfalls dürfen wir uns bei der Allgemeinheit der Bemerkungen der Denkschrift zu einem directen Votum über den jocialdemokratischen Antrag nicht drängen lassen, wir können ihn zur Zeit weder annehmen, noch adlehnen um uns sür die Ablehnung oder Verlängerung nicht zu präjudiciren. Abg. Richter (Hagen): Ter Abg vr. Wendt hat nicht im Namen der Fortschritt»partei gesprochen Die Stellung der Partei ergiebl sich au» ihrem Programm. (Redner ver liest dasselbe ) Die Annahme de» Antrages Blos präjudicirt der Stellung zum Gesetze selbst in keiner Weffe DieMitthei- lungen de« Hrn Stöcker über seine Verhandlungen vor der Stichwahl sind un« äußerst interessant, namentlich da er die Herren Bebel und Hasenclever mit den Führern in Gegensatz dringt. Hr. Ewald ist ja allerdings nicht ausgewiesen, weil er, wie Körner und Finn, die Ausgabe hat, Hrn. Stöcker die Socialisten zuzusühren. Hr Stöcker muß sür das Ausnahme gesetz eintreten, weil die freie Bewegung der Socialdemokratie die schärfste Loncurrenz sür ihn selbst wäre. (Zustimmung links.) Den SocialiSmuS bekämpfen wir viel wirksamer als durch Annahme von Strafgesetzen durch Ablehnung von neuen Steuervorlagen. Die kaiserl. Botschaft enthält außer dem Tabakmonopol eine ganze Reihe von mehr oder minder un klaren Ausdrücken, die Jeder unterschreiben kann! Die Diskussion wird geschlossen. Der »m Laufe der gestrigen Sitzung von den Socialdemokraten ein gebrachte, Blos und Genossen unterzeichnete Antrag, der Reichstag wolle erklären: „daß der Reichstag die angeführten Motive zu der vom BundeSrathe be schlossenen Verhängung deS sogenannten kleinen Be lagerungszustandes über Berlin, Leipzig und Himburg- Altona nebst dazu gehörigen Gebieten als eine aus reichende Begründung der erwähnten Maßregel nicht erkennen kann" — wurde gegen die Stimmen der So cialdemokraten, Vo ksparteiler und Fortschrittler abgc- lehnt. Die übrigen Anträge namentlich auch derjenige deS Abg. v. Wedell-Malchow über Einführung einer procentualen Börsensteuer kommen in diesem Jahre nicht mehr zur Verhandlung. DaS HauS vertagt sich bis Dienstag, den 9. Januar 1883 1 Uhr. Tages- ordnung: Zweite Berathung des ReichshoushaltSetatS sür 1883/84 und 1884,85. Auf Antrag deS Abg. Richter (Hagen) wird die Interpellation, betreffend daS Verbot der Einfuhr amerikanischen Schweinefleisches, als erster Gegenstand auf die Tagesordnung gesetzt. Schluß 5 Uhr. — Die Rede, welche in der Plenarsitzung des Reichstags vom 13. December bei der Berathung der Darlegungen über die Anordnungen, welche von der königl. preußischen Regierung auf Grund des tz 28 deS Gesetzes vom 21. October 1878 gegen die ge meingefährlichen Bestrebungen der Social demokratie unter dem 21. Juni, 25. October und 25. November 1882 mit Genehmigung des BundeS- rathS getroffen worden sind, der Bevollmächtigt- zum BundeSrath, königl. sächsische StaaiSminister der Innern v. Nostitz-Wallwitz hielt, hat nach dem „Reichsanz." nachstehenden Wortlaut: Ich will mir nur einige Bemerkungen erlauben gegenüber den Aeußerungen des Hrn. Abg. v. Voll- mar, die sich speciell auf sächsische Verhältnisse be- ziehen. Der Hr. Abgeordnete bat mit besonderer Betonung Beziehungen erwähnt, die zwischen einem sächsischen Polizeibeamten und einem Hrn. Schmidt in Zürich bestanden haben. Er hat im Eingänge seiner Rede gesagt, daß er, abweichend von der bei früheren DiS- cusfionen befolgten Taktik, heute davon absehen wolle, eine Menge von Einzelfällen anzusühren, weil dieselben bei früheren Diskussionen hiec einen erdrückenden Ein druck gemacht hätten. Nun, mir ist nicht erinnerlich aus der DiScussion des vorigen JahreS, daß der Reichstag sowohl als die Vmtreter der verbündeten Regierungen erdrückt worden seien an der Schwere der vorgebrachten Beweise. Wenn mein Gedächtnih mich nicht täuscht, so erinnere ich mich nur, daß die Vertreter der Regierungen in der Lage waren, viele der vorgeführten Einzelheiten als thaisächlich unbe gründet oder doch als in hohem Grade übertrieben nachzuweifen. Ich finde eS sehr wohlgrthan, daß Hr. Abg. v. Vollmar für zweckmäßig gefunden hat, heute eine andere Taktik zu befolgen; aber eS ist ihm nicht gelungen, ganz diejenigen Klippen zu umschiffen, die er hat vermeiden wollen. Er hat in Bezug auf jene Beziehungen und Eorrespon- denzen angeführt, daß ein hinter den Hrn. Schmidt erlassener Steckbrief zurückgezogen worden sei, um jene Eorrespondenz mit den sächsischen Polizeibeamten zu ermöglichen, ja daß ihm sogar von Letzteren eine Legitimation zugestellt worden sei. Meine Herren! DaS Eine und daS Andere ist unwahr: weder hat der Genannte eine Legitimation zugestellt erhalten seiten der sächsische» Polizeibeamten, noch ist der hinter ihn erlassene Steckbrief zu irgend einer Zeit zurückgezogen worden. Infolge des von dem Unter- suchungSgericht erlassene» Steckbriefs ist der Betreffende verhaftet worden, sobald man ihn auf deutschem Boden betroffen hat, und wenn ich recht unterrichtet bin, be findet er sich bereits heute wieder im Gewahrsam de» betreffenden Untersuchungsgerichts. UebrigenS scheint mir die Wichtigkeit, welche der Hr. Abg. v. Vollmar und die ihm befreundete Preffe den fraglichen Vorgängen beimißt, doch dafür zu sprechen, baß DaS, was seine Freunde in der Schweiz treiben, nicht so ganz unschuldiger Natur sein kann als er annimmt, denn sonst würde man über die angeb lichen Enthüllungen nicht dar Triumphgeschrei erhoben Haden, welches tue socialdemokratische Presse über diese Vorgänge erhebt. Meine Herren, ich glaube nicht daß eS sür die sächsischen und deutschen Polizeibe amten ein besonders angenehmes Geschäft ist, zu Sub jekten, wie der Genannte, in Beziehung zu treten, aber so lange geheime Anschläge gegen die bestehende Rechtsordnung geschmiedet werden, so lange, wie wir heute gehört haben, die deutschen Socialdemokraten offen ihre Sympathie bekennen für Diejenigen, welche den Fürstenmord als ihr Dogma auf ihre Fahne ge schrieben haben, so lange ist auch die Polizei ver pflichtet, sich auf bestmöglichem Wege Auskunft zu verschaffen über jene Pläne, und sie kann, wenn ihr Mittheilungen angeboten werden, vorbehältlich der Verpflichtung, ihre Zuverlässigkeit zu prüfen, daS Ohr nichr zuhalten. Wenn der Hr. Abg. v. Vollmar Bezug genommen hat darauf, daß der betreffende Beamte nicht mit be- sonderm Geschick verfahren sei bei dieser Angelegen heit, so will ich dem nicht unbedingt widersprechen, aber ich möchte «hm daraus keinen Voiwurf machen. Zu allen Dingen gehört Hebung, und die haben wir in Sachsen in Angelegenheiten dieser Ar« nicht. Wir sind in der glücklichen Lage gewesen, Jahrzehnte lang von politischer geheimer Polizei gar nichts zu wissen, und erst die socialftemokratische Bewegung hat unS ge- nöthigt, dem Auskunftswesen eine größere Aufmerk samkeit zuzuwenden; wie haben keine besondere Freude daran, auch unsere Polizeibeamten nicht, eS kann ihnen nichts Angen-hmereS geschehen, als wenn Sie sie dieser Nolhwendigkeit entheben würden, Aber diese ange ln hme Lage herbeizuführen, ist nicht die königl säch- sische Regierung in der Lage, wohl aber der Hr. Abg. v. Vollmar und seine Parteigenossen, wenn sie DaS unterlassen, was sie bisher getrieben haben. Dann hat der Hr. Abgeordnete angeführt, daß 2 Anhänger der Socialbemokratie in Leipzig in Unter suchung gekommen seien, weil sie Sammlungen sür socialdemokrausche Zwecke veranstaltet haben, daß sie später in der zweiten Instanz freigesprochen seien, und trotzdem ihre Ausweisung aus Leipzig erfolgt sei. Meine Herren, daS ist Alles wahr, aber ich weiß nicht recht, was daS im vorliegenden Falle beweisen soll. Sie sind in Untersuchung gewesen, weil sie unter frem der Firma, wie das jetzt immer geschieht, Sammlungen für sociaidemokralijche Zwecke veranstaltet hatten. DaS Gericht hat in der höher» Instanz den Schuldbeweis nicht als genügend anerkannt, aber die Leipziger Re gierungsbehörde hat nicht bloS aus dielen, sondern auch auS anderen Wahrnehmungen die Ueberzeugung gewonnen, daß die Betreffenden Persönlichkeiten sind, welche unter die Bestimmungen deS Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokratie fallen, und hat sie deshalb, wie eS ihre Pflicht war, auS Leipzig ausgewiesen. Es heißt in tz 28, daß Per sonen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist, der Aufent halt in den Bezirken oder Ortschaften, für welche der so- genannte kleine Belagerungszustand proclami.t ist, versagt werden kann. ES steht durchaus nichts davon da, daß die be treffenden Personen erst wegen bestimmter Delikte ver« urtheilt sein mußte». Wenn weiter aber von dem Hrn. Abg v. Vollmar angeführt worden ist, daß die in Rede stehenden Personen auch aus anderen Orten Sachsens, obgleich keine Bestrafung vorausgegangen sei, ausgewiesen worden seien, so ist das unseren Ge- sitzen gegenüber nicht möglich; sie konnten nur aus gewiesen werden, wenn eine Strafe vorausgegangen war, oder wenn der betreffende Ort im Bannbezirke der, § 28 der Gesetzes erwähnten Auünahmemaßrrgel lag; die letztere greift aber zur Zeit nur für Leipzig und Umgegend Platz. (Adg. v. Vollmar: ES ist trotzdem geschehen!) Dann hätten sie sich beschweren müssen bei der vorgesetzten Behörde, die vermuthlich Abhilfe hätte eintreten lassen. Mrr ist von einer solchen Beschwerde oder dem Vorgänge überhaupt absolut etwa- nicht bekannt Außerdem hat der Hr. Abgeordnete wiederholt einen Fall erwähnt, der sich vor Jahr und Tag in Dresden ereigne» haben soll, demzufolge ein UiUersuchungSgefangener, der, wie an» zunehmen, den politischen Freunden deS Hrn. Redner» angehörte, in Fcss ln zu seiner kranken Frau geführt worden sein soll. Meine Herren, die Polizei, gegen dre die Angriffe deS Redner» zunächst gerichtet waren, hat mit diesem Falle absolut nicht- zu thun; der Wann rst in Untersuchung-Hast gewesen, und e» de- stehen da ganz bestimmte Borjchriften, in welcher Weise Individuen, welche wegen eine- Vergehen» oder verbrechen» von gew«sser Schwere in Untersuchung»-