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Wage M Weißech - Mang. Nr. 115. Sonnabend, den 28. September 1912. 78. Jahrgang. Ein Jahr italienisch-türkischer Krieg. An diesem Sonntag ist ein Jahr vergangen, seit der italienisch-türkische Krieg dauert, denn am 29. September 191 l erfolgte die Kriegserklärung Italiens an di« Türkei. Was hat nun Italien bislang durch seinen vom Zaune gebrochenen Feldzug gegen die Türkei militärisch erreicht? Kann sich das Apenninenkönigreich jetzt, an, Ausgange des ersten Kriegsjahres, wirklich den Herrn der von ihm begehrten türkischen Provinzen Tripolis und Cyrenaika nennen? Selbst der wohlwollendste Freund Italiens ver möchte letztere Frage gewiß nicht zu bejahen, wenn auch Lie Italiener die Lage zur See Dank ihrer der kläglichen türkischen Seemacht gewaltig überlegenen Flotte beherrschen, so sind sie dasür zu Lande, in Tripolitanien, im seit- Herlgen Verlaufe des Krieges bei allen ihren unleugbaren Einzelerfolgen doch noch immer nur in sehr bescheidenem Matze vorwärts gekommen. Selbst heute, elf Monate nach der Landung der ersten italienischen Truppen auf tripolitanischem Boden, haben die Italiener eigentlich nur den Küstensaum von Tripolis und der Cyrenaika in Ihrer Gewalt; die Oase von Zansur, in deren Besitz sich dle italienischen Truppen erst kürzlich nach erbittertem Kampf mit den Türken und Arabern setzten, liegt höchstens 20 Kilometer landeinwärts von der Stadt Tripolis. Und in der Cyrenaika sind sie auch noch nicht groß über die Küstenzone hinausgekommen, auch dort machen Türken und Araber, wie in Tripolitanien, den Italienern bei jedem neuen Vorstotz den Boden immer wieder hartnäckig strittig. Wenn aber die Italiener in einem Jahre erst das Küstengebiet Lybiens, wie die Bezeichnung für Tripolitanien und die Cyrenaika zusammen lautet, zu er obern vermocht haben, so fragt man sich unwillkürlich, wie lange es wohl währen wird, bis die italienische Trikolore auch in dem ausgedehnten Hinterlande Lybiens wehen wird, in diesem tansende von Quadratmeilen großen Wüstenlande, und hierauf dürste man in den militärischen Kreisen von Rom selber keine Antwort wissen. Allerdings heißt es ja, daß die Italiener im Oktober ernst lich mit ihrem Vorstöße in das lydische Hinterland be ginnen wollen und schon eifrig mit den Vorbereitungen hierzu beschäftigt seien. Die Enthebung des zaudernden Generals Caneva, des bisherigen Oberbefehlshaber der italienischen Erpeditionsiruppen in Tripolitanien, von seinem Posten spricht scheinbar auch für diesen Plan, aber in Nom dürfte man selber die außerordentlichen Schwierig keiten eines solchen Unternehmens und besonders seine finanzielle Seite zu würdigen wissen, und es bleibt daher recht fraglich, ob der signalisierte italienische Kriegszug in das Hinterland von Tripolitanien und der Cyrenaika wirklich noch ins Werk gesetzt werden wird. Unterdessen haben ja auch die italienisch-türkischen Friedensverhand lungen auf dem neutralen Boden der Schweiz eingesetzt und es darf vielleicht erwartet werden, daß sie trotz mancher noch zu überwindender Schwierigkeiten und hiermit zusammenhängender zeitweiliger Stockungen nächstens zu einem günstigen Ausgange führen werden. Denn am Tiberstrande, wie am Goldenen Horn ist man des sich jetzt schon ein Jahr hinziehenden Kriegszustandes im stillen zweifellos herzlich überdrüssig geworden, unge achtet aller gegenteiliger Versicherungen in der Oesfent- lichkeit. Speziell die Türkei befindet sich unter dem drucke ihrer zunehmenden Verlegenheiten an ihren Grenzen gegen Montenegro, Bulgarien, Serbien und Griechenland hin, es wi d für sie immer schwieriger, daneben noch den Krieg gegen die Großmacht Italien weiter zuführen. In den Konstantinopeler Regierungskreisen hat denn auch in jüngster Zelt die Ansicht stetig mehr Platz gegriffen, datz Tripolis und die Cyrenaika für die Türkei als verloren zu betrachten sind, es kann sich für die Türkei nur noch darum handeln, das zu erreichende Günstigste für sich von ihrem Gegner zugestanden zu bekommen, und diesem Zweck gelten offenbar die jetzigen Friedensverhandlungen. SÜHstsches. — Lehrermangel in Sachsen? Während'noch im Vorjahre von Lehrer-Uebe»fluß geschrieben wurde, sind schon jetzt, im September, sämtliche Schulamtskandidaten in Sachsen als Hilfslehrer oder Vikare beschäftigt. Voraus sichtlich wird deshalb, so schreibt das „L. T." im kommen den Winter eine größere Anzahl erledigter Stellen un besetzt bleiben oder leider wieder durch Seminaristen ver- waltet werden müssen. Die Kandidaten des Oschatzer Seminars waren schon im Juli ausnahmslos einer Schule zugewiesen. — Der Mietstaler als Versührer. Leichtsinnige Mädchen und Burschen machen sich den Brauch, datz der Arbeitgeber zum Zeichen des Abschlusses des Dienstvertrags dem zukünftigen Gesinde einen kleinen Geldbetrag, den Mietstaler, gibt, in gleicher Weise zunutze. Sie ver sprechen, den Dienst recht bald anzutreten, und froh über die neue Hilsskrast greift der Bauer in die Tasche. Aber der Termin, an dem das Dienstverhältnis beginnen soll, vergeht, ohne daß sich der Knecht oder die Magd ein fände. Erwischt man den Mietsgeldschwindler, so wird er wegen Betrug» bestraft. Dabei ist künftig der neue 8 264a St.-G.-B. zu beachten. Der setzt einen Straf antrag de» Geschädigten voraus und sieht eine besonders milde Strafe vor, wenn der Fall so liegt, daß sich der Betrüger den Mietstaler, der ja ein geringwertiger Gegen stand ist, aus Not verschafft hat. Aber auch durch das vortresslichste Strafgesetz bekommt der Landwirt kein Geld wieder, das längst vertan ist, und manches leichtfertige junge Menschenkind, das sonst nie gegen das Strafgesetz buch verstoßen hätte, erhält dadurch den Makel des Vor bestrastseins aufgebrannt. Darum ist es eine dankbare Aufgabe, gegen jenen zur Unsitte gewordenen Brauch zu kämpfen. In dem Augenblick, wo die Landwirte er kennen, daß der Mietstaler keineswegs zum Abschlusse des Vertrags gehört, und davon absehen, ihn trotzdem frei willig zu geben, da verschwindet die Möglichkeit, sie darum zu betrügen. Ist aber die Auffassung, daß es töricht Ist, jenes nutzlose Opfer zu bringen, erst Gemeingut geworden, dann wird man einmal dazu kommen können, die Hingabe überhaupt zu verbieten. Damit wäre einem alten Brauche der Garaus gemacht, der über zahlreiche junge Leute schweres Unglück und der Landwirtschaft nicht ganz unbeträchtlichen Vermögensschaden gebracht hat- — Die Erdsenkungen am sogenannten Kuckuck bei Tharandt haben die Straße nach Fördergersdorf un passierbar gemacht. Die in Frage kommenden Gemeinden sahen sich daher genötigt, eine neue Berkehrsstraße her zustellen. Die Gemeinde Fördergcrsdorf hat zu diesem Zwecke 150000 Mark, die Gemeinde Hinlergersdorf 10 000 Mark, die Stadt Tharandt 5000 Mark und der Staat 30000 Mark bewilligt, so daß der Ausbau der Straße erfolgen kann. — Die Einführung des Acht-Uhr-Ladenfchlusses findet in Limbach nicht statt, da die erforderliche Zweidrittel- . Mehrheit bei der Abstimmung nicht erzielt wurde. Für die Einführung stimmten 185, dagegen 104 Geschäfts inhaber. — Bayerische Cheoaurlegers hatten beim Kaiser manöver die große Muldenbrücke bei Grimma besetzt. Sie baten den Gendarmen, der in der Nähe wohnt, um etwas zum Trinken. Bereitwillig versprach die Hausfrau, ihnen einen wärmenden „Gaffe" zu bereiten. Darob ent setzte Gesichter bei den Bayern. Sie wünschten „a Moaß Bier". Es wurde herbeigeholt, aber sie machten noch ent setztere Gesichter, als „die Moaß" sich als ein Dreizehntel- Liter-Glas erwies und ihnen dafür 25 Pf. abgeknöpft wurden. — Als Kronprinz Georg von Sachsen die Front eines Militärvereins in Wurzen abritt, fragte er ein wohlbeleibtes, wettergebräuntes Mitglied, was er sei. Die Antwort in echt Berliner Dialekt lautete: „Jutsbelitzer, Königliche Hoheit." „Wieviel Acker besitzen Sie denn?" „53." „Was machen denn die Kartosfeln bei dem Regen?" „Die sind man alle schwarz." „Haben Sie auch noch Hafer draußen liegen?" „Ja, reiten Sie man die Kartosfeln und den Hafer recht kaput, daß mer se recht jut bezahlt kriejen." Der Kronprinz ritt herzlich lachend weiter. Freiberg. Im Grundstücke des Schuhmachermeisters Stenzel hier, Thieleslraße, wurde beim Grundgraben für einen Schuppen in 1 Meter Tiefe ein Tongefäß 'mit 323 noch sehr gut erhaltenen Talerftücken mit den Jahres zahlen 1823, 1847, 1848 gefunden. Die Taler find an scheinend garnicht in Umlauf gewesen. Freiberg. Die Erzgebirgische Ausstellung wurde Montag abend mit einem Abschiedskommers geschlossen, bei dem mitgeteilt wurde, daß insgesamt 605 000 Personen das Unternehmen besucht haben. Der eigentliche Zweck der Ausstellung, das gewerbliche und industrielle Leben des Erzgebirges zu fördern und damit einen Ersatz für den eingehenden Bergbau zu haben, ist als durchaus ge- lungen anzusehen. — Drei hiesige Firmen und eine auswärtige erklären im „Freiberger Anzeiger" in einem zum Teil recht ge harnischten Tone, daß sie die ihnen vom Preisgericht der Erzgeb. Ausstellung Freiberg zugedachien Preise nicht anzunehmen geneigt sind, offenbar, weil sie ihrer Ansicht nach als Anerkennung nicht genügen. Schade, daß die Jury nicht nur Staatspreise und allenfalls goldene Medaillen zu verteilen hat. Pirna. Am 19. November kommt die Köttewitzer Papierfabrik zur Zwangsversteigerung. Sie ist einschließ lich des auf 727331 Mark bewerteten Inventars auf I 147861 Mark geschätzt. Radeberg. Für die Errichtung eines Stadtbades bewilligten die städtischen Kollegien in gemeinsamer Sitzung 37000 Mark. Pulsnitz. Die städtische Sparkasse führt vom 1. Ok- ober ab die tägliche Verzinsung ein. Der Zinsfuß beträgt 31/2 Prozent. Leipzig. Wie der Börsenverein der deutschen Buch händler milteilt, errichtet der Verein unter dem Minen Deutsche Bücherei zu Leipzig ein Archiv des deutschen Schrifttums und des deutschen Buchhandels, eine öffent liche unentgeltlich an Ort und Stelle zur Benützung frei stehende Bibliothek. — Der zehnte deutsche Samaritertag, der gegen wärtig in Hamburg tagt, hat beschlossen, seine Tagung im Jahre 1913 in Leipzig abzuhalten. Wilkau. Um das erledigte Schuldirektoriat hier haben sich 94 Bewerber gefunden. Reichenbach i. V. Der 27. sächsische Gastwirts- verbandstag wird in der Zeit vom 7. bis 16. Juri 1913 , hier abgehalten werden. Es ist damit eine Ausstellung I fachgewerblicher Erzeugnisse und Bedarfsartikel der heimischen Industrie verbunden. Plauen, 25. September. Als gestern gegen Abend rin 12jährigss Schulmädchen, welches das einjährige Kind der verehel. Gerber auf dem Arme trug, in die Wohnung der Mutter des Kindes zurückkehren wollte, stürzte es über einen im Hausflur stehenden Aschekasten. Infolge de» Sturzes schlug das einjährige Kind so hart auf den Fuß boden auf, daß es einen Schädelbruch erlitt und bald darauf starb. Bad Elster. Der Schmuggel wird trotz der hohen Geld- und Freiheitsstrafen und ungeachtet der umfassenden Bewachung der Grenzen nie völlig aufhören. Ist auch die Viehpascherel etwas zurückgegangen, so blüht der Waren schmuggel um so mehr, und in dieser Hinsicht werden neuerdings die Zündhölzchen, sowie der kostbare Süßstoff Saccharin bevorzugt. In der Donnerstagsnacht voriger Woche wurde an der nahen Grenze von österreichischen Grenzern ein Ehepaar, der Maurer Konrad und seine au» Grün stammende Ehefrau, konterband gemacht. Im Ruck sacke des Mannes, der vorläufig die Flucht ergriff, befanden sich 25 Kilogramm Saccharin, die Frau hatte eine große Menge Tee- und Tabakpakete bei sich. Oelsnitz. Die Motorpostverbindung Oelsnitz— Hof ist soeben vom bayerischen Verkehrsministerium ab gelehnt worden, weil Bayern auf die Vertragsbedingungen der Kreishauplmannschast Zwickau nicht eingehen wollte. Beiersdorf. Unter dem Verdacht, seines Vaters Haus und die Strohfeime in Brand gesteckt zu haben, wurde der 28 jährige Bäcker Oswald Lehmann verhaftet. Bautzen. Ein Deserteur hat sich der hiesigen Polizei freiwillig gestellt. Es ist dies ein 31 Jahre alter Fleischer aus Radeberg, der 1903 bei einem bayerischen Regiment in München gedient und bei diesem Fahnen flucht begangen hat. In den verflossenen neun Jahren hat sich der Deserteur Herumgetrieben, auch bei der fran zösischen Fremdenlegion war er eingetreten. Bautzen. Einen Honigmarkt wird der Bienen- züchterverein im unteren Spreetal auch in diesem Jahre, und zwar in der Zeit vom 5. bis 7. Oktober, veranstalten. Mit der Ausstellung soll auch wieder eins Honigverlosung verbunden werden. Zittau. Die Tertllarbeiterlchast von Zittau und Um gegend ist in eine Lohnbewegung getreten. Die Ar beiter verlangen 20 Prozent Lohnerhöhung und die Bildung von Arbeiterausschüssen in den Fabriken; sie wollen bis 10. Oktober von den Fabrikanten Bescheid haben. Neugersdorf. Der hiesige Obst- und Garlenbauverein hält am 6 und 7. Oktober in den Sälen der Wachtschenke hier eine große Obstausstellung ab. Großschönau. Der Bau einer Turnhalle zum Preise von 57 900 Mark ist vom hiesigen Turnverein in einer außerordentlichen Hauptversammlung beschlossen worden. Tagesgeschichte. Jena. Aufgrund des Staatsvertrages vom 15. De zember 1910 über die Errichtung eines gemeinschaftlichen obersten Vsrwaltungsgerichles haben die Regierungen des Großherzogtums Sachsen, der Herzogtümer Sachsen-Koburg und Gotha, sowie die der Fürstentümer Schwarzburg- Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt vereinbart, daß das oberste Verwaltungsgericht seine Tätigkeit am I. Oktober 1912 beginnt. Der Sitz des Gerichtes ist Jena. Karlsruhe. In Sachen der Fleischteuerung tagte hier im Ministeriäm des Innern eine Konferenz, zu der alle Interessentenkreise Einladungen erhalten hatten. Der Minister des Innern äußerte sich über den Standpunkt der badischen Regierung dahin, daß die Einfuhr von Vieh aus Schweden und Dänemark in den Bereich der Mög lichkeit gezogen werden könne, desgleichen eine Ermäßigung der Fleischübergangssteuer. Dagegen sprach sich der Minister gegen die Einfuhr von holländischem und fran zösischem Vieh und argentinischem Gefrierfleisch aus Gmunden. Der Herzog von Cumberland leitet bek der englischen Regierung Schritte ein, um die in der Sankt Georgen-Kapelle bei Windsor ruhenden Gebeine seines Vaters, des Königs Georg V. nach Gmunden über» zusühren und in der Weifengruft an der Seite der Königin Marie und des unlängst verstorbenen Prinzen Georg Wilhelm beizusetzen. China. Aus Schanghai sind jetzt nähere Meldungen über den Taifun eingetroffen, der am 9. September dort wütete. Aufgrund dieser brieflichen Nachrichten, die nun mehr, nachdem der Telegraph unterbrochen ist, au« der Provinz Tscheklang vorliegen, hat die Sturmflut dort mehrere Dörfer und Städte völlig verschlungen. Die Zahl der Toten wird auf 40000 angegeben. Fortgesetzt treibt das Meer im Süden von Tschekiang Hunderte von Leichen an Land. Mitunter gelingt es auch, einzelne Personen, die sich auf treibende Gegenstände gerettet halten, an Lank» zu bringen. Die aus den vom Taifun betroffenen Orten kommenden Meldungen geben ein erschreckendes Bild von dem gewaltigen Drama, das sich namentlich in der Gegend der Stadt Wendfchou abgespielt hat.