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zarten Ranken phrasieren. Und kurz vor der Code, eine überraschende anormale Wendung, ein Genieblitz, der den über legenen Kunstverstand Haydns und das eminent Artistische dieser scheinbar harm losen Improvisation zeigt. — Das Rondo des Finale läßt in göttlicher Beschwingtheit des Flusses die Zurüdeführung in das immer wiederkehrende Hauptthema auf leben, ganz besonders meisterhaft fortent wickelt in der wie aus dem Aermel ge schüttelten kunstvollen fugierten Umfor mung des Mittelteils, ohne dadurch auch • ir im geringsten den glatten und heiteren ;rlauf des Finales aufzuhalten. Wie glücklich muß eine Zeit gewesen sein, in der solche Musik entstehen konnte, wie beneidenswert die Menschen, deren Empfindungswelt sie umsdiloß! Noch kün den nur leise Trübungen von der Unzu länglichkeit alles Irdischen. Sie wird noch als etwas Natürliches, Unabänderliches hin genommen und kann die naive Lebens freude, den stilleren, behaglichen Genuß des Daseins nicht ernstlich gefährden. Aber wie immer ein Geschehen aus dem andern folgt, das Neue sich unaufhörlidi aus dem Alten gestaltet, so trug audi die Kunst der Haydnsdien Epoche schon die. Keime der späteren Entwicklung in sich, die wir sin fonisch in einer Linie (über Beethoven) auch im Schaffen Brahms’ feststellen können. ¥ Brahms „Erste“ in C-Moll Der geniale Hans v. Bülow bezeidinete ue als die „Zehnte BeetlioDensche“. Ihr ^runddiarakter ist allerdings Beethoven verwandt: kämpferisch, himmelstürmend, trotzig und — widerborstig-Brahmsisch. Es ist in hohem Grade bezeichnend für Brahms’ ganze Wesensart, daß er erst in reifem Mannesalter und nach heftigsten inneren Kämpfen sich endgültig entschloß, das Gebiet der Sinfonie zu betreten. Zu schwer und wuchtig lastete der gigantisdie Schatten Beethovens auf ihm, als daß es ihm bei seiner tiefen künstlerischen Gewis senhaftigkeit und seinem ernsten Verant wortlichkeitsgefühl leicht geworden wäre, den Mut zur Tat auf diesem durch Beethoven — auch nach der Meinung maß gebender Kritiker der damaligen Zeit (viel leicht haben diese auch heute noch recht) — scheinbar ein für allemal abgeschlosse nen musikalischen Betätigungsfelde zu fin den. Letzten Endes aber waren es doch der unwiderstehliche innere Drang, die zwin gende Kraft seines „Dämons“ gewesen, die Brahms den entscheidenden Schritt wagen ließen. * Brahms stand im 44. Lebensjahre, als er mit seiner ersten Sinfonie hervortrat. Im gleichen Alter erlebte Beethoven bereits die Uraufführung seiner 7. und 8. Sin fonie, und seine „Fünfte“, die Brahms am nachhaltigsten beeinflußt hat, lag um Jahre zurück. Trotzdem und vielleicht da her ist Brahms’ erste, seine C-Moll-Sin fonie, eine der allerbedeutendsten Aeuße- rungen seiner schöpferischen Tätigkeit über haupt: ein Werk, dessen großartiger Ge dankenflug durch keine seiner folgenden drei Sinfonien überboten, ja sogar erreicht worden ist — wenn diese auch nach ande rer Richtung hin ein unverkennbares Wachstum von Brahms’ innerer, charakter- mäßiger Weiterentwicklung deutlich wer den lassen (man denke besonders an die vierte in E-Moll). Trotziges Aufbegehren gegen alle widrigen Mächte des Lebens, unbändige Willenskraft, die sich aufbäumt gegen finstere Gewalten, ein erbittertes Ringen mit dem Vernichtungswillen eines düsteren Schicksals — das sind die Grund elemente dieses ungeheuer ergreifenden Seelengemäldes in Tönen. Und doch sendet auch dahinein der Lichtschein zuversicht licher Siegesgewißheit seine Strahlen in zu nehmender Fülle, bis zuletzt alle Wolken trüber Hoffnungslosigkeit und mutloser Verzweiflung zerflattern unter den Klän gen eines das leidenschaftliche Ringen be endenden Triumphgesanges von hinreißend begeisterndem Schwung. Das schwerblütige, klanggesättigte, kraftstrotzende Werk, das den Dornenweg „per aspera ad astra", durch Nacht zum Licht, durch bitteren Kampf zum mühselig erstrittenen Sieg (die Entwicklung von C-Moll nach C-Dur) mit nordischem Ernst in breitdahinfliefiendemTonÜberschwang und überströmendem Bilderreichtum veranschau licht, ist das denkbar schärfste Gegenstück zu jenem vorher gehörten, in elysäisehen Gefilden wandelnden sinfonischen Werke des Süddeutschen Haydn. Bei Haydn „weib-