EINFÜHRUNG Von Constantin Krebs Haydns „Glockensinfonie“ in D-Dur Zum ersten Male Papa Haydn, der „Vater der Sinfonie“ in den Volksbühnen- Konzerten! — Unter Eingeweihten ist es längst kein Geheimnis mehr, daß Josef Haydn, der älteste unserer drei klassischen Meister, die große Entdeckung der kom menden Jahre sein wird. Er ist heute im großen Publikum noch wenig bekannt — viel zuwenig bekannt. Aber bald wird man wissen (heute erscheint eine Haydn- Sinfonie fast in jedem dritten Programm der großen Sinfoniekonzerte), daß er einer der ganz Großen war, einer jener ein maligen Geister, die das Gesicht einer Epoche bestimmen. Wie hätte Beethoven seine Sinfonien schreiben können, wenn er nicht Haydns „Russische Quartette“ ge kannt hätte, in denen das Prinzip der thematischen Durchführung zum ersten Male bewußt angewandt wurde? Daß Beethoven späterhin weit über Haydn hin ausgelangte, nach der Richtung einer gren zenlosen Vertiefung und Vergeistigung des musikalischen Ausdrucks, steht auf einem anderen Blatte. Haydn aber legte den Grund für den Wunderbau der großen In strumentalmusik. Er befreite sie von den Fesseln des Zopfig-Galanten und der affek tierten Empfindsamkeit; er gab ihr die freie Sprache des künstlerisch gebändigten Gefühls. Haydns D-Dur-Sinfonie (Nr. IV der Breitkopf-&-Härtelschen Ausgabe) — die „Glockensinfonie“ oder „Die Uhr“ (the clock) genannt — ist die vierte der großen Londoner Sinfonien. Im ganzen hat Haydn in seiner unvergleichlichen Musizierfröhlich keit wohl 150 Sinfonien und Kammer musiken geschrieben, von denen allerdings nur etwa die Hälfte in Druck gelegt wurde und daher immer wieder einige „neu-ent- deckt“ werden. Die Tonart D-Dur bevor zugte Haydn relativ häufig, so daß es unter seinen zwölf großen Sinfonien allein vier in D-Dur gibt. Die Londoner Bezeichnung „Glockensinfonie“ trug dem Werk wohl das oft angeblasene Zweiton-Motiv der Hörner und Trompeten im ersten Satz ein. Viel leicht haben aber auch die Terzen der be gleitenden Fagotte im Anfang des Andante, die lebhaft an das Ticken einer Uhr er innern, den Titel dieses entzückenden sin fonischen Werkes verursacht. In der Sinfonie selbst gibt schon c^^ breite Adagio-Tempo der gedankenvollen Einleitung Streichern wie Holzbläsern An laß zu bis dahin ungehört schönen Ton nuancierungen. Dann — die Einhelligkeit der Geiger bei der fast explodierenden Intonation des Prestosatzes in duftigem Piano im Kontrast zu der vehementen Sonorität des Tutti. Im zweiten Thema der Reprise ein Abnehmen des Motivischen durch die einzelnen Streicherstimmen — wer hat vor Haydn derartiges nur geahnt? Neben diesen exquisiten Details aber bleibt das Augenmerk immer auf die große Linie dieses prachtvollen Satzes gerichtet. — Den Geist Haydns in seiner ganzen schlichten Eigenart, die es nicht nötig hat, sich zu motivieren, enthüllt dann ganz das in rein stem kindlichem Seelenfrieden gemessen schreitende Andante, in dem die Begleit- Pizzicati der Streicher und der Fagotte vollkommen verschmelzen und die ersten Geigen oben die Kantilene einzigartig schön deklamieren, um hernach im Minoreteil, von den Holzbläsern sekundiert, eine prachtvoll gesättigte Fülle des Orchester klanges zu bringen, trotzdem Haydn bescheiden ausgebautem Orchester kör arbeitet. Es ist bei diesem Meister der In strumentierungskunst geradezu erstaunlich, wie er die versdiiedenartigsten Instrumente zu gemeinsamer Wiedergabe von Gedanken im Klange nähert, wie er mit zartesten Paukentönen koloriert und wie das perlende Diminuendo am Schlüsse weiteste Perspek tiven öffnen läßt. Prachtvolle Mischung straffster Rhyth mik und feinster Geschmeidigkeit dann im Menuett. Mitten darin das wunderholde Trio mit den liegenden Harmonien, über denen die Holzbläser in feinster Art ihre