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Dresdner Journal : 23.06.1882
- Erscheinungsdatum
- 1882-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188206234
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18820623
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18820623
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1882
-
Monat
1882-06
- Tag 1882-06-23
-
Monat
1882-06
-
Jahr
1882
- Titel
- Dresdner Journal : 23.06.1882
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W143. Freitag, den 23. Juni. 1882. ^d»nae»e»1,pr«t, r l« 4«ut„d»» >«iek«: iS tlicrll. ^Mkrlicd: 4 >l»rk 5V ?k. Linr«Ios ^umwvrll: Ivkf. La,»«riuUd ä», 6«ut»cd«ii ksicds» tritt?oit- ur>6 8t«wpGliu»ctilLK Kiuru. la^erateopreise: kür <i«» U»uui einer xespultensu ?stitrsils 80 ?f. Unter „Lin^eeeotlt" äis 2eils SO ?s Lei I'Lb-U«»- unü ^iüornsLtr SO Fusickt»^. Lrsedelueu r l^lick mit ^u,u»kru» äsr 8ouu- uuä keisrtt^» Fl-euä» kklr den kol^sncten Zres-nn Äumul. Berantwottliche Nedaction: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. Iv»er»1eo»on»kme »uK^Irt«: Lra»«k«eetter, LowmieeiooLr ä«> DresUver lournul«; Lewdorx Nerltu - Visa - I-«ip»>^ L»»«ILr„I»v Nr»ukeor1 ». « . //aaLEtein F ^09/er, v»rUu -Vi«u N-rudur^- kr»^-l<«ipi>L-?r»n>ltnrt ». H. UÜQrden: Du<i itk»«e; L-riin: /riratiiterikta»^,- Lremeo: D Lctüotte, >r»»I»u: F 8tanAen's Bureau ^abat/»),- krLvkknrt » M : D ^aeAe^eeke Luekkuuäluo^; 0vrM»: tr. A/üNer,' L»uu»v«r: 6. §s/iü««ier, ?»rt» Lertui - ?r»ulrturt » N StuttgartDaudert 60., Semdar^ Lteiner. ll « r » n « x v d » r r Lüuiel. Lipeäitiov äse Oreiner aouru»!», Dresden, ^via^erstr»«« Ho. L0. Abonnements - Kinladung. Auf das mit dem 1. Juli beginnende neue vierteljährliche Abonnement des „DresdnerJour nals " werden Bestellungen zum Preise von 4 M. 50 Pf. angenommen für Dresden bei der unter zeichneten Expedition (Zwingerstr. Nr. 20), für anSwärtS bei den betreffenden Postanstalten. Mnigl. Erpe-ition des Dresdner Journals. (Zwingerstraße Nr. 20, in der Nähe des neuen Postgebäudes.) Ämtlicher Llicil. Se. Majestät der König haben Allergnädigst zu genehmigen geruht, daß der LandsyndicuS Georg Seehausen zu Bautzen das ihm von Sr. Hoheit dem Herzoge zu Sachsen-Altenburg verliehene Ritter kreuz I. Klasse des Herzoglich Sachsen-Ernestinischen HauSordenS annehme und trage. Bekanntmachung. Auf Grund des tz 28 deS Gesetzes gegen die ge- meingefährlichen Bestrebungen der Socialdemokraiie vom 21. Oktober 1878 wird mit Genehmigung der BundeSratheS für die Dauer eine-Jahres angeordnet, was folgt: 8 1. Personen, von denen eine Gefährdung der öffent lichen Sicherheit und Ordnung zu besorgen ist, kann der Aufenthalt in der Stadt Leipzig und im Bezirke der Amtshauptmannschaft Leipzig von der Lande»- polizeibehörde untersagt werden. 8 2. Vorstehende Anordnung tritt mit dem 29. dieses Monats in Krast. Dresden, den 21. Juni 1882. Gesammt-Ministerium. v. Fabrice, v. Nostitz-Wallwitz, v. Gerber, v. Abeken. v. Könneritz. Nichtamtlicher Theil. uebersich 1: Telegraphische Nachrichten. Zeitungsschau. (Golos. Hamburgischer Correspondent. Presse) Tagesgeschichte. (Berlin. Darmstadt. Wien. Buda- Pest. Paris. London. St. Petersburg. Alexandrien.) Ernennungen, Versetzungen rc. im öffentl. Dienste. Dresdner Nachrichten. Provinzialnachrichten. (Leipzig. Grimma. Zwickau.) Statistik und Volkswirthschaft. Feuilleton. Telegraphische Witterungsberichte. Tageökalruder. Jmeratr. Beilage. Börseunachrichten. Telegraphische Nachrichten. Lyon, Mittwoch, 21. Juni. (W. T. B.) Der Director und der Unterdirector der vunezu« äv Lzon vt «1« In Loire find in Freiheit gesetzt. Die Untersuchung hat ergeben, daß dieselben sich ledig lich einer Verletzung des Gesetzes vom Jahre Feuilleton. Nedigirt von Otto Banck. Verstoßen. Novelle von S. v. d. Horst. (Fortsetzung.) AIS er sie grüßte, war ihr Lächeln ruhig. „Sie wollen zur Brandstätte, Herr Held? — Ich auch. Mir däucht, eS müßte für die Wittwe und ihre Kleinen irgend etwas geschehen, eine Sammlung von HauS zu HauS, ein Aufruf oder dergleichen. Sie könnten sich an die Spitze deS Unternehmens stellen I* Ihre Augen bekundeten den innern Aufruhr, ihr Gesicht war ganz weiß, sie hütete sich auch, den jungen Mann anzusehen, und als er ihre Hand ergriff, da entzog sie ihm dieselbe sogleich. „Wir gehen desselben Wege-, nicht wahr, Herr Held?- Er schüttelte den Kopf. „Nein, Anna, ich beab sichtige keinen Besuch im Dorfe, sondern kam, um unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen, Ihnen meinen Schutz, meinen Beistand anzubieten. Ich sah Sie und folgte Ihnen, das iß Alle».* Die junge Dame wandte sich ab. „Ich danke Ihnen, Herr Held, wahrlich auS Herzensgrund, ober dennoch ,st eS mir unmöglich, Ihr freundliches Er bieten anzunehmen. Ueberlassen Sie mich meinem Schicksal, vergessen Sie, daß ich jemals in diese Stadt kam.- ,Nie!- antwortete er mit jener Bestimmtheit, die 1867 über die anonymen Gesellschaften schuldig gemacht haben. Marseille, Donnerstag, 22. Juni. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Der Dampfer „Möris" der „Mes- sagerie» maritimes" ist mit den 18« ersten Flüch tigen au« Alexandrien gestern hier eingetroffen. Der Dampfer hatte bei seiner Abfahrt gegen 60« Passagiere an Bord, von denen die Mehrzahl, darunter die Familie des griechischen Consul« Nhangabe, in Neapel landete. Bier andere Dam pfer find zum Abholen von Flüchtlingen nach Alexandrien ausgelaufen. London, Donnerstag, 22. Juni. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Wie die „Daily New«" erfahren, beschloß der gestrige Ministerrath, Lord Dufferin zu in- struiren, seine Thätigkeit auf der Conferenz auf die Herbeiführung einer solchen Lösung zu be schränken, welche die Aufrrchthaltung der Rechte deS Khedive und die Wahrung der Freiheiten des ägyptischen Volke-, sowie die Innehaltung der in ternationalen Verpflichtungen AegyptenS sichert. St. Petersburg, Mittwoch, 21. Juni. (W. T. B.) Da« Befinden der Kaiserin ist vollständig befriedigend. ES werden keine Bulletin« mehr auSgegeben. St. Petersburg, Donnerstag, 22. Juni. (Tel. d. DreSdn. Journ.) Der russische General- consul in Alexandrien, v. Lex, ist für 2 Monate nach Rußland beurlaubt worden. Konstantinopel, Mittwoch, 21. Juni. (W- T. B.) Die Pforte richtete uuterm heutigen an ihre Vertreter im Ausland» eine Circulardepesche, in welcher die in dem Circular vom 3. Juni gel tend gemachten Argumente wiederholt werben und hervorgehoben wird» daß die Ordnung in Aegyp ten wirderhrrgestellt, daS Vertrauen wieder er wacht und der Erfolg deS Mandate« Derwisch Pascha« gesichert sei. Dir Pforte beharre daher im Interesse Europa« selbst und der Lage in Aegypten dabei, daß die Conferenz inopportun sei. Abgesehen davon, daß die Conferenz den Interessen der Türkei zuwiderliefe, wäre sie auch geeignet, die Bemühungen Derwisch Pascha« zu paralyfiren. Wenn da« Bedürfniß nach Pour parler« sich fühlbar mache, könnten dieselben auch ohne Conferenz zwischen den Mächten und der Pforte stattfinden. Alexandrien, Donnerstag, 22. Juni. (Tel. d. DreSdn Journ.) Die zur Untersuchung der am 11. Juni stattgehabten Unruhen eingesetzte Com- Mission besteht auS 9 Eingeborenen und 9 Euro päern. Den Vorsitz führt der Ainanzministrr. Buenos-Arre«, Mittwoch, 21. Juni. (W. T. B.) Nachrichten aus Montevideo zufolge ist in Uruguay eine revolutionäre Bewegung zum AuSbruch gekommen. Dresden, 22. Juni. Die augenblickliche, über die Zustände in Ruß land herrschende Unklarheit spiegelt sich deutlich in der Presse wieder. Die Blätter von St. Petersburg bringen eine Reihe von Personalnachrichten, für welche allerdings noch die Bestätigung fehlt, die aber jeden falls als Vorläufer bedeutender, im höhern russischen Staatsdienst, sowie in der diplomatischen Earnere bevorstehender Veränderungen anzusehen sind. Gleich zeitig veröffentlichen die russischen Blätter mehrfach Artikel, die man als Anzeichen für die vielen, gegen wärtig nach Herrschaft ringenden Strömungen be trachten kann. Für uns in Deutschland sind diese Kundgebungen nicht gleichgiltig. Ein zufriedenes, im Innern sich friedlich entwickelndes Rußland wird die Bürgschaften deS europäischen Friedens erheblich ver mehren, und nothwendig müssen sich unsere Beziehungen zu demselben nicht nur auf commerziellem und indu striellem, sondern auch auf politischem Gebiete gün stiger gestalten. Der Rücktritt des Grafen Jgnatiew hat von diesem Gesichtspunkte aus in Deutschland all gemein einen sehr günstigen Eindruck gemacht und würde noch ein besserer gewesen sein, wenn nicht die Stimmen aus Rußland selbst sofort wieder bekundet hätten, daß noch eine UebergangSperiode bevorsteht, während welcher wir die Gestaltung definitiver Zu stände noch entgegenzusehen haben. Unter den Blättern, welche in dieser Beziehung am meisten dazu beitragen, den Glauben zu erwecken, daß eS auch dem Nachfolger des Grafen Jgnatiew nur schwer gelingen werde, eine gesicherte Stellung zu erlangen, müssen die „MoS- kowskija Wedomosti" des einflußreichen Katkow an erster Stelle erwähnt werden; ein Blatt, dessen Haltung er kennen läßt, daß seinem Leiter das weise Maßhalten abgeht, welches in der Politik eine der ersten Bürg schaften dauernder Erfolge ist. Katkow zählt zu den extravaganten Politikern, denen Graf Tolstoi bald nicht weit genug gehen wird, und die Partei Katkow'S wird auch von ihm sich abwenden, wie sie vom Grasen Jgnatiew sich abwandte. ES bemerkt in dieser Be ziehung der „GoloS": „Der Eifer, den praktische Staatsmänner, welche eS mit dem Leben zu thun haben und verantwortlich sind, entwickeln, wird nie den von Hrn. Katkow in Bezug aus die „Festigkeit- gestellten Forderungen ent sprechen. Ohne sich paradoxen Widersprüchen auSzu- setzen, kann behauptet werden, daß kein Staatsmann im Stande sein dürfte, vollständig daS Wohlwollen der „Moskowskija Wedomosti- zu erobern. H'" die Bewerfe. Als der gegenwärtige Minister der Innern daS Ministerium der Volksaufklärung verwaltete, handelte er mit großer Energie ganz im Sinne der Richtung der „Moskowskija Wedomosti-, und doch war das Moskauer Blatt mit diesem Minister unzu frieden und zählte einige „verhängnißvolle Fehler" und „Schwächen- auf. In einer der letzten Num mern seines Blatter schreibt Hr. Katkow bezüglich deS Grafen Jgnatiew, den er im Anfänge so sehr unter stützt halte: „„Nach dem Ereignrß deS 1. März trat eine andere Zeit ein. Andere Persönlichkeiten traten in den RegierungSlreisen auf. ES erfolgte kein Ver- fuch, die Hauptursache deS Ueb^lS zu vernichten. Da für wurde aber ern kleines Parlament zusammen berufen, um unnütze Reden über die Schenkenfrage zu halten. Der Unterschied zwischen der „ legalen " und „nicht legalen Presse" schwand völlig. Es wurden irgend welche Fragen über Landmangel in Rußland, über die Nothwendigkeit von Uebersiedlungen aufgeworfen, auch, Gott weiß auS welchen Gründen, Verfolgungen der Juden, der sogenannten Exploitatoren des Volkes, ins Werk gesetzt." „Jeder praktische Staatsmann hat eine Grenze, die er nicht überschreiten kann; Hrn Katkow aber fehlt, wie ähnlichen Fanatikern aller Nationen, jegliche Grenze. Jeder Staatsmann sagt, an einem destrmmten Punkte angelangt: „Weiter kann ich nichtl- d. h. ich bin nicht im Stande, für das die Verantwor tung zu tragen, was man von mir fordert. Unter solchen Verhältnissen schreien Fanatiker über Verrath, Pflrchtversäumniß, Eidverletzung u. s. w, d. h. sie ge brauchen Ausdrücke, deren Zahl nicht abzumessen »st. Nullius movror et calamidas istius explers mimi- citlL8 et nskariam satururs oruäslitatsm potuit." Die Schwierigkeit, eine dauernde Wirksamkeit gegen über den Einflüssen der zahlreichen Coterien und mehr oder weniger einflußreichen Strömungen zu entfalten, ist eS hauptsächlich, welche die Stellung eines russischen Ministers zu einer so unfruchtbaren gestaltet. Man kann eS als eine lehrreiche Erscheinung betrachten, daß sogar zu Gunsten des Grafen Jgnatiew in dieser Be- von dem Gedanken an eine Phrase so himmelweit ver schieden ist, „nie Anna. Ich glaube zu wissen, welche- Unglück Ihre Vergangenheit birgt — und ich bitte Sie, dasselbe mit Ihnen tragen zu dürfen. Lassen Sie mich nicht entgelten, was früher ein Schurke an Ihnen verbrach! Schenken Sie mir Ihr volle- Ver trauen und —- Anna unterbrach ihn, flammroth, mit Thränen in den Augen. „Sie wissen nichts, Herr Held, Ihre Ver muthungen sind unrichtig, eS giebt in meinem Dasein keine bürgerliche Schande, aber zu viel untragbares bodenlose» Elend, zu viel selbstverschuldeten Fluch, al» daß ich auf Erlösung hoffen dürfte. Noch heute gehe ich fort von hier, eS muß sein und führte auch der nächste Weg in den Tod. Ich kann von meinen früheren Schicksalen nicht- mittheilen, hören Sie e» wohl, Herr Held, ich kann nicht. Und nun ade für immerI ich hoffe, daß wir unS nie wieder sehen." „Und da» sagen Sie kalt, ohne irgend ein Be dauern, Auna?" „Mit blutendem Herzen, glauben Sie eS mir, mit den Empfindungen de- Verbannten, der hinauszieht, um seiner Heimath, um Denen, die er liebt, ein ewige» Lebewohl zu sagen, aber da- Verhängniß will e» so, und ich muß gehorchen. - Ihr feuchter Blick erschütterte ihn tief, aber er wagte keine neue Bitte mehr, sondern ließ sie unbehelligt einen Nebenweg einschlagen, ohne ihr seine Gesell- schast aufzudrängen. Aber der Entschluß, ihr in die Hauptstadt zu folgen und dort, wo sie unter Fremden so ganz allein stand, ihr Vertrauen zu gewinnen — dieser Entschluß war gefaßt, ehe noch d»e schlanke Gestalt zwischen den Bäumen seinen Blicken ent schwand. Anna wußte nicht, wohin sie gelangte, eS wogte und gährte in ihrer Seele wie nie vorher, beinahe zum Tode erschöpft fiel sie auf eine der zahlreichen Bänke und weinte Stunden lang so bitterlich, so au» Herzensgrund, als sei dieser Tag ein Abschied vom Leben, ein Versinken in bodenlose, nachtdunkle Tiefe. Die Thränen halfen wie immer, sie waren Trost und Ermuthigung zugleich, das wohlthätigste, werth- vollst«. Geschenk der Natur an ihre trauernden, ver zweifelnden Kinder. Als Anna in ihr Zimmer zurück kam konnte sie alle einzelnen kleinen Werthsachen jusammensuchen und in Gedanken abschätzen — fünfzig Thaler mußten immerhin herautzuschlagen sein, Geld genug, um in irgend einem versteckten Winkel damit zu leben, b>S ein neuer Erwerb aufgefunden worden war. Sie legte Alle» miteinander in da» lederne Handtäschchen und begann dann Kleider und Wäsche in den Koffer zu räumen. Niemand störte sie, daS zweite Frühstück wurde ihr hinaufgebracht — man schien, wenigstens war die Rectorin betraf, ihre voll ständige Zurückhaltung sehr angenehm zu empfinden. Um so besserl das Ende war ja nahe, ganz nahe. Noch drei Stunden, dann fuhr der Bahnzug. Die Sachen und ihre LegitimationSpapiere konnte sie sich nachschicken lassen; ein Brief an den alten Rector war doch unter allen Umständen geboten — der freundliche, gütige Mann mit den herzgewinnenden Augen, wie gern hätte sie ihm ihr volle» Vertrauen entgegen gebracht, aber du» Schicksal wollte e» ander», auch dieser mußte sie für schuldig halten, sie durfte den Verdacht nicht entkräften. ziehung nachträglich in der amtlichen „Wiener Zei tung- eine diesem Blatte auS St. Petersburg zu- gegangene Eorrespondenz den Versuch einer Rechtferti gung unternimmt. Es wird bemerkt, daß Graf Jgnatiew während der 55 Wochen seiner amtlichen Thätigkeit al- Minister deS Innern viel Ersprießliches geleistet habe, und erzählt, daß er vor einigen Monaten sich gegenüber einem fremden Diplomaten geäußert habe: „Ich weiß, daß fast die ganze Welt gegen mich ist, daß man mich den „Vater der Lüge-, „lUenteur-kuebu" und Gott weiß was nennt. Aber lassen Sie mich nur noch ein Jahr Minister sein, so wird man mich in meinem Vaterlande verehren, und Europa wird mir Gerechtigkeit schenken." Auch in dem „Hamburgi schen Correspondenten " begegnen wir bezüglich deS Grafen Jgnatiew einer Anerkennung der, einem russischen Minister hinsichtlich einer gedeihlichen Wirk samkeit sich entgegenstellenden Schwierigkeiten, mit welchen auch der Nachsolger derselben zu kämpfen haben wird. „Daß der bisherige Minister de» Innern schließlich da ankam-, sagt das hanseatische Blatt, „wo sein Vorgänger LoriS-Melikow gescheitert war, bei dem Vorschläge, eine allgemeine Landschaftsversammlung einzuberufen und mit dieser die Neugestaltung der russischen Staatsordnung zu berathen, wird ihm in den Augen zahlreicher Gegner unzweifelhaft zur Empfehlung gereichen und die Stellung seines Nach folgers Tolstoi noch schwieriger machen, als dieselbe an und für sich ist. Von gewissen Hofbeamten und Priesterkreisen abgesehen, steht der Unterrichtsminister und Synodaloberprocureur der Jahre 1866 bis 1880 völlig isolict da und die (wie wir au- der oben citir- ten Stelle de- „GoloS" ersehen, wenig werthvolle) Freundschaft Katkow'S wird den Nachfolger Jgnatiew'» schwerlich für die Ungunst entschädigen, welche die jüngere Bureaukratie, die studirende Jugend und der liberale Theil von Adel und Weltgeistlichkeit ihm entgegentragen; auch Herr Iwan Aksakow, der Führer deS linken Flügels der Slawophilenpartei dürfte für den Grafen Dmitry nicht allzu günstig diSponirt sein." Bezüglich der Stellung Tolstoi'- schwirrten, infolge derartiger auS der Eigenthümlichkeit der russischen Verhältnisse entspringenden Erwägungen, in St. Pe tersburg bereits eine Reihe von Gerüchten umher, die jedenfalls mit Mißtrauen ausgenommen werden müssen. Nur scheint uns auS allen bisher eingelaufenen Nach richten immer noch der feste Wille vorhanden zu sein, die beabsichtigten Reformprojecte zu verwirklichen. In diesem Sinne fassen wir auch den die Ueberweisung der zur Zeit bestehenden Civilgesetze an eine besondere, unter dem Präsidium de- Justizministers einzusetzende Commission von im Civilrecht theoretisch und praktisch bewanderten Personen zum Behuse der Ausarbeitung eines Eivilcodex, verfügenden kaiserlichen Befehl auf. Unter den diplomatischen Veränderungen steht die von der „Pol. Eorr." signalisirte Mittheilung au» St. Petersburg über die in dortigen diplomatischen Zirkeln allgemein herrschende Annahme, daß mit dem Grafen Peter Schuwalow Unterhandlungen geführt werden, welche dessen Entsendung als Botschafter nach Berlin zum Zwecke haben, obenan. In diesem Falle würde, wie man deS Weitern vernimmt, der gegen wärtige russische Botschafter in Berlin, Hr- v. Sabu row, den durch die Ernennung deS Fürsten Lobanow zum Botschafter in Wien frei werdenden Posten de» russischen Botschafters in London antreten. Die Er nennung de- Grafen Peter Schuwalow, derjenigen russischen Staatsmann», den man als einen der be deutendsten Repräsentanten einer deutschfreundlichen Po litik in Rußland ansieht, würde als eine bedeutende Kundgebung der gegenwärtigen Regierung zu Gunsten Deutschlands anzusehen sein. Jedenfalls sind die bis herigen, seit dem Rücktritt deS Grafen Jgnatiew erfolgten oder angekündigten Ernennungen, soweit Unten gab Miß Prodder die Musikstunde, welche sie selbst bisher den kleinen Mädchen ertheilt. Man ging über ihr Dasein hinweg wie durch den leeren Raum. Tie Klänge trieben sie au- dem Hause, aber die» Mal zu aller Vorsicht nur in den Garten, wohin ihr Otto nicht folgen konnte, ohne von mehr als einer Seite beobachtet zu werden. Anna zog ein Buch au» der Tasche und versuchte zu lesen, aber immer wieder lehrten ihre Gedanken zurück zu den eignen verwor renen, trostlosen Verhältnissen. Wenn sie keine an nehmbare Stellung fand — was dann? ES giebt ja nich!S DemüthigendereS, als seine besser situirten Verwandten um Hilfe zu bitten — e» brennt in Herz und Hand, da- geschenkte Geld. Etwas wie Fieberhitze lies durch alle ihre Adern. Heute Abend in der unbekannten Stadt von einem Trödler zum andern gehen, peinliche Verhöre be stehen, mit den erbärmlichsten Interessen de» Leben» schachern und streiten, wie schrecklich. „Fräulein Mildener!- sagte plötzlich hinter ihr eine Stimme. „Ich habe für Sie einen Brief er halten.- ES war Nikolaus, er bot ihr zugleich mit seiner Anrede ein zerknitterte», fest zusammengefaltete» Blatt; eine persönliche Bemerkung über den Fall schien ihm jedoch nebenbei unerläßlich. „Ganz miserabel sah der Herr au«, Fräulein Mil dener, man könnte wohl da» Vaterunser durch seine Backen hinweg lesen. - Anna schüttelte den Kopf. „Bon wem sprichst Du, Junge? Wer gab Dir denn überhaupt den Bnes?-
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