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Dresdner Journal : 06.06.1882
- Erscheinungsdatum
- 1882-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188206064
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18820606
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18820606
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1882
-
Monat
1882-06
- Tag 1882-06-06
-
Monat
1882-06
-
Jahr
1882
- Titel
- Dresdner Journal : 06.06.1882
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Dienstag, den 6. Juni. W128 1882 ätioauementspeel»: Dres-nerZoumal Iw g»»rso <i,ut,ek«v L«ied«: dLtirlicti: 18 Lt»rtl. Berantwottliche Redaction: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. Lu»«i-K»IK ite« deot»eiiev ttsivtiü» tritt kost- und Inseratenpreis«: kär den Itanw einer gespaltenen ketitreile SS kk. vnter „klingssandt" dis Leils SO kl. Lei labsUvn- und rüüernsatr »0 A ^ufsellag. krsvkeiaen: iL^lietr mit ^tusnakws der 8oon- und feiertags ^iisnds tur den folgenden l ag. '^Mrliek: 4 .zi-ritc Ü0 I's. Linselne Kummer- »0 ?f. 1 dinsu. losvratenaanakme aus^iirts: Letpitg: kr. Lrandstetter, komrnissionLr de» Oresdnvr dourval«; Nawdnrg >,rli» - Vien - l^tpsig Sasel Lreilan-rranlrturt ». N.: //aasenste,« kuAler/ SerUn-Vten-Lawdurg- kr»U - l-eipstg Sranirkurt a. >-Nünedea: Lud Serlin: Ineattciendanit,' Sreweo: L. Le/dott«, Sr»»I»u: L StanAen » Luneau sLniil ^adat/»),' Sranlcturt ». H : L daeAer'soke liuckliandlung; 8SrU»: tr. L/ül/er/ Hannover: 0. Kcln<«,lrr, kart» SerUn-SranIltnrl «. ».- Stuttgart: Laude <e6o., Hamburg: dd. Lteiner. Herausgeber: Lünigl. Lrpvdition des vresdner dournal», Dresden, 2viugerstra»s« Ho. LV Amtlicher Llieil. Dresden, 3. Juni. Se. Majestät der König haben dem Doppelhäuer bei dem fiskalischen Berggebäudc Churprinz Friedrich August Erbstolln zu Großschirma, Carl Ferdinand Kummer, daS allgemeine Ehrenzeichen Allergnädigst zu verleihen geruht. Bekanntmachung, die Auslosung Königlich Sächsischer Staats papiere und die Auszahlung fälliger Kapitalien, Prämien, Zinsen und Renten der Staatsschuld betreffend. Die öffentliche Auslosung der planmäßig den 31. Dezember 1882 < r. JE ISN 4 H StaatSschulden-Kassenscheine von den Jahren 1852/55/58/59/62/66 und /68, auf 4>X, herabgesetzten, vormals 5 H dergleichen vom Jahre 1867, 4 H dergleichen vom Jahre 1869, 4^> dergleichen vom Jahre 1870 und im Jahre 187 l durch Abstempelung in 3k H und dez. 4 H Staatspapiere umgewandelten Löbau-Zittauer Elsenbahnaktlen I^it und ö, ingleichen der den 1. Dezember 1882 und bez. den 2. Januar 1883 zurückzuzahlenden, auf den Staat zur Vertretung übernommenen 3k <X> Partialobligationen von den Jahren 1839/41, 4<H Schuldscheine vom Jahre 1854, 4H dergleichen vom Jahre 1860 und 4<k und bez. auf 4H wieder herabgesetzten, vor mals 5<H dergleichen vom Jahre 1866, der Leipzig-Dresdner Eisenbahn-Compagnie soll den 19. Juni dieses Jahres und folgende Tage, Vormittags von 10 Uhr an, im hiesigen Landhause I. Stock stattfinden. Die Auszahlung der den 30. Juni/1. Juli dieses Jahres fälligen, laut Ziehungslisten vom 15., 16. und 17. December 1881 auägelosten Kapitalien die 4 «X» Anleihen von den Jahren 1852,68, 1867, 1869 und 1870, der auf den Staat übernommenen 4k H Prioritätsanleihe ohne Ditera und der mit Dit. ö. bezeichneten dergleichen der vormaligen AlbertSbahn- Aktiengesellschaft, der laut Ziehungsliste vom 17. Decem her 1881 auSgelosten, sowie der innerhalb der nachgelasse nen Frist zur Umwandlung in 4 H» StaatSpapiere nicht gebrachten, Zufolge Bekanntmachung vom 6. Februar 1882 anfgekündigten 4k H> Schuldscheine vom Jahre 1872 der vormaligen Leipzig Dresdner Eisenbahn-Compagnie, der den 30. Juni dieses Jahres fälligen Kapitalien und Prämien der laut Ziehungsliste vom 24. März 1882 auSgelosten Aktien d r auf den Staat über nommen fächsifch-schlesischen Eisenbahn-Aktienschuld, ferner der den 30. Juni, 1. Juli dieses JahreS fälligen Zinsen von Königl. Sächsischen Staatspapieren und den vom Smale zu vertretenden sächsisch schlesischen und Löbau-Zittauer Eisenbahnaktien, Prioritätsobli- gationen der Albertsbahn - Actiengesellschaft und An leihen der Leipzig Dresdner Eisenbahn-Compagnie, so wie der Reuten auf die Staatsschuldverschreibungen vom 1. Juli 1876 und die in Rentenpapiere umge wandelten Greiz-Brunner Eisenbahnaktlen soll den 15. Juni dieses Jahres bei der Staatsschuldcnkasse hierselbst und der Lotterie- DarlehnSkasse m Leipzig, sowie zufolge der bezüglichen Bekanntmachung d.S Königlichen Finanzministeriums auch bei der Sächsischen Bank zu Dresden und deren Filialen und bei Herrn Ed. Bauermeister in Zwickau gegen Rückgabe der betreffenden Kapital- und ZinS- scheiue beginnen. Dresden, am 1. Juni 1882. -er La»dtagta»»sch»ß z» Vtrwallxg der 2taa1rsch»ldt» Bönisch. Nichtamtlicher Theil. Telegraphische Nachrichten. Kassel, Montag, 5. Juni. (Tel. d. Dresdn. Journ.) Se. königl. Hoheit der Prinz Karl hat die Nacht ziemlich befriedigend verbracht. Geh. Medicinalrath vr. Langenbeck ist gestern Abend hier angelaugt. Gegenwärtig berathen die Aerzte, ob die Ueberführung des Patienten vom Hotel nach dem PalaiS am KriedrichSplatz angängig ist. Nach Anlage deS LerbandeS haben heute die Schmerzen nachgelassen. Fieber ist bis jetzt nicht eivgetreten, Appetit vorhanden. (Vgl. die „TageS- gesch'.chie* unter Berlin.) Wien, Sonntag, 4. Juni. (Tel. d. Boh.) Heute ist daS allerhöchste Handschreiben, durch welches die Ernennung Kallay'S zum gemeinsamen Kinanz- Minister vollzogen wird, erflossen. Die Ernennung wird am Dienstag, längstens Mittwoch in den Amtsblättern publicirt werben. TiSza ist bereits nach Buda-Pest zurückgrkehrt. Da» Programm Kallay'S betreffs der Verwaltung der occupirten Provinzen hat die Zustimmung sämmtlicher maß gebenden Kreise erlangt. Wien, Sonntag, 4. Juni, AbendS. (W.T. B.) Die„MontagSrevue" bespricht die ägyptische Krage und meint, die Aufgabe der Confrrenz wäre eine ungleich leichtere gewesen, wenn die Westmächtr gleich von Anfang an deu Conflict an dieselbe gewiesen hätten. Die Action der Westmächte habe nur die moralische Machtstellung der Pforte in Aegypten und damit daS Bewußtsein ihrer Macht gesteigert, was den Anforderungen Europas nicht förderlich sei. Der Artikel führt sodann auS, daß man angesichts deS Vorschlags bezüglich der Con- ferenz in Konstantinopel Alle» aufbieten werbe, um das unleugbare diplomatische Jngrrenzrecht Europas möglichst zu rrducirrn. Die günstige Lösung der Vorfrage selbst sei noch keine absolute Bürgschaft für deu raschen Erfolg der Conferenz. Bor Allem sei über die unmittelbaren Vorkeh rungen, welche die Vorgänge in Kairo erheischen könnten, eine rasche Verständigung zwischen den Mächten und der Pforte nothwendig. Dat Schwer gewicht der Krage ruhe jetzt in Konstantinopel. Nom, Sonntag, 4. Juni. (Tel.d.Boh.) Von vfficirller Seite wird bestätigt, daß der König die Einladung, bei dem Enkel des deutschen Thron folgers Pathenstrlle zu vertreten, angenommen habe. Darüber, daß in Substituirung deS Königs der Herzog v. Aosta nach Berlin gehen werbe, ist noch nichts entschieden, da auch die Eventualität möglich ist, daß sich der König persönlich nach Berlin begebe und diese Gelegenheit zur Abstat tung des längst in Aussicht genommenen Besuches bei dem deutschen Hofe benutze. Moskau, Sonntag, 4. Juni, AbendS. (W. T. B.) Der Großfürst AleriS hat gestern dir Reise nach Nikolajew, Poti und Batum angetreten. Dresden, 5. Juni.. DaS Ende des Bonapartismus gehört zu jenen merkwürdigen Erscheinungen, deren Zeuge unsere Zeit ist. Nach innen ein nochwendiges Endresultat socialer Bewegungen, verlieh der BonapartiSmuS, nachdem daS alte deutsche Reich seine Mission vollendet hatte, Frank reich eine centrale Machtstellung. Allein in demselben Augenblicke, wo Deutschland seine politische Mission wieder aufnahm, mußte auch diejenige des Bonapar tismus verschwinden und nach innen verlor er Macht und Halt, nachdem es sich ergeben hatte, daß er die übernommene sociale Mission nicht zu erfüllen ver mochte. In seinem ersten Ursprung conservativ und daS Gegengewicht der Revolution, kehrte er später — als er ins Gedränge kam — zur Revolution zurück. In der Absicht, die Revolution in seine Dienste zu nehmen, anstatt sie zu unterdrücken, gelangte er nie mals zur Legitimität. Die drei wichtigen Hebel des Bonapartismus, die materialistische Civilisation, die Demokratie und das NationalitätSprincip, wurden viel mehr die Ursachen des Untergangs ves zweiten Kaiser reichs. Seitdem ist der Bonapartismus nie mehr zu Krästen gekommen, denn er hatte aufgehört, ein große- historisches Princip zu repräsentiren. Der tragische Tod deS Sohnes Napoleon'« III. beraubte ihn vol lends der letzten Persönlichkeit, um welche die An hänger sich zu schaaren vermochten und sein AuSgang bildet ein unerfreuliches Parteigezänk. Während der Streit: „Hie Welf, hie Waibling* Jahrhunderte Ita lien und Deutschland bewegte und noch lange die Hohenstaufendynastie überdauerte, war der Bonapar tlSmuS schon wenige Jahre nach dem Sturze der Dynastie erloschen. Die Ursache liegt darin, daß die Hohenstaufen, als Nachfolger in der römischen Welt herrschaft, in Italien und Deutschland einen großen historischen Gedanken repräsentirten, daß das römische Kaiserthum Jahrhunderte lang mit einer Reihe socialer und municipaler Einrichtungen verwachsen, während der Bonapartismus einzig auf der Person des Trägers der Gewalt begründet war. Anstatt sich eine historische Basis zu schaffen, brach er vielsach mit der geschicht lichen Ordnung, um an ihre Stelle eigene Einrich tungen zu setzen. Anstatt das eigene Reich zu be festigen, versuchte er das historische Gefüge der Staaten zu sprengen und ging selbst daran zu Grunde. Er verschwand daher vom Schauplatz, ohne auch nur einen Nachhall in der französischen Nation zu hinterlassen. Unter dem Titel: „Prinz Jerome und die Bonapar- tisten" schreibt der Pariser Correspondent der „Post* das Folgende. Seitdem der tragische Tod deS Sohne- Na poleon'- 11 l. aus dem Prinzen Jerome Napoleon den Erben des KaiserthroneS und den legitimen Chef deS Bonapartismus gemacht, hat man einem erbitterten Duell beiwohnen können, welches stattfand zwischen dem Prinzen Jerome und seinen Partisanen einerseits, die dar Journal „Napoleon* zu ihrem berufenen Organ hatten, und Paul de Cassagnac und JuleS Amigues andererseits, mit dem „PayS" und dem „Petit Caporal* zu deren Diensten. Man durfte und man hat sich wohl mit einer gewissen Neugierde ge fragt, welcher von den beiden Richtungen des Bona partismus das Schlachtfeld verbleiben und wer Sieger sein würde: der Prinz Jerome oder Paul de Cassagnac? Die Ereignisse haben gewissermaßen sür den Letztern entschieden. Denn der „Napoleon*, nach einer Cam pagne von etwa 18 Monaten, stellt sein Erscheinen ein und gesellt sich damit zu den beiden anderen jero- mistlschen Blättern, die schon vordem des Todes ent schlafen sind, nämlich zu dem „Ordre* und dem „Peuple franyais*. Mit dem Aufhören des „Na poleon* aber verschw ndet nicht nur eine Zeitung, es tritt damit auch ein Prätendent selbst von der Schaubühne ab! DaS Eingehen deS „Napoleon* bedeutet zugleich die persönliche Abdankung de» Chefs der kaiserlichen Dynastie und das definitive Zerfallen Dessen, was vom Lwpirs noch übrig war. Jene» Jour nal war da» Band, welches die Trümmer der im perialistischen Partei »usammenhielt und gruppirte: die« Band ist jetzt zerrissen, und die Zersplitterung der Partei nunmehr eine vollständige. Und was da- Be deutsame hierbei erscheint, — der „Napoleon* geht unter vor der absoluten Gleichgiltigkeit deS Publi kums! Dies Blatt, welches einen so großen Namen als Zeichen trug und um diesen Namen ganz Frank reich zu schaaren gedachte, besaß schließlich keine Leser und keine Clientel mehr. Für eine Partei sicherlich das vcrhängnißvollste Omen. Man sagte, daß während der letzten Monate bereits der Prinz Jerome aus seiner Tasche die nothwendigen Summen hergegebeu habe, um dem „Napoleon* das Dasein zu erhalten DaS konnte natürlich nicht lange dauern, da bekannt lich der Prinz Jerome niemals sonderlich geliebt hat, die Kriegslasten eines Kampfes zu tragen, noch auch sonst ernste Gefahren dabei zu laufen. Er würde freiiich gern eingewilllgt haben, die Kaiserkrone sich aufs Haupt zu drücken, doch unter der Bedingung, daß seine persönlichen Interessen und seine Ruhe hierbei weiter keinen Fährlich- keiten ausgesetzt wären. Vor Allem aber Geld einer ziemlich ungewissen Sache zu opfern, ist nicht sein Fall. Andererseits versichert man, daß der Prinz Jerome die seste Absicht hege, jetzt ein möglichst vollkommene- Schweigen und Vergessen um seine Person und die der Seiniqen zu verbreiten. Also eine Abdankung in aller Form! Ein Prätendent, der seine Ansprüche nicht mehr geltend macht und vertheidigt, hört auf, ein solcher zu sein. Ueberraschen darf die- kaum. Jerome besaß nie Geschmack sür Abenteuer. Vielleicht behagte ihm auch die Gesellschaft der Bonapartisten nicht länger, aus deren Mitte ihm allerdings vielfach mehr Injurien an den Kopf geschleudert wurden, als selbst der hartnäckigste Prätendent billiger Weise zu ertragen verpflichtet sein möchte. In Wahrheit, Prinz Jerome war ein zu beklagender Mann. Nicht allein mußte er, der legitime Chef der Partei und der Kaiser in partibus sich aus die beleidigendste Weise von den- jenigen Imperialisten behandeln lassen, die seine Autorität anzuerkennen verweigerten; man griff ihn sogar auch noch in seinen innersten Gefühlen des Familienvater- an. Man suchie ihm seinen eigenen Sohn zu entfremden, um aus demselben einen Mit bewerber um den Kaiserthron zu machen! Er wurde dadurch in die Lage gebracht, seinen Sohn Victor beinahe argwöhnisch zu überwachen und sich täglich zu fragen, ob nicht am Ende der Sohn gegen den Vater die Fahne des Aufruhrs erheben und inS Lager von Paul de Cassagnac und JuleS AmigueS übergehen würde. Da zog eS denn Jeiome vor, lieber mit seinen Söhnen die Partie gänzlich aufzugeben und nicht mehr mitzuspielen. Als guter Vater will er seinen geliebten Sohn keiner Versuchung mehr auü- setzen. So endete also daS große Duell zwischen den Jeromisten und Viktorianern. Die Letzteren sind Herren des Terrains, nur daß leider aus dem Terrain eigentlich nichts mehr übrig ist. Auf dem Schlacht- selde, welches „Payr* und „Petit Caporal* siegreich behaupten, nachdem sie die feindlichen Blätter „Ordre*, „Peuple fran^aiS* und „Napoleon* nach einander in die Flucht geschlagen, giebt eS weder Kaiserreich, noch Kaiser, noch Prätendent mehr, so daß Paul de Cassagnac mit seinem Sieg immerhin etwa- in Ver legenheit gerathen könnte. So lange Prinz Jerome noch auf der Bresche stand und so lange der „Napoleon* noch exlstirte, hatten die Bonapartisten wenigstens die Möglichkeit, durch den Lärm ihrer Streitereien und Chikanen die Aufmerksamkeit des PublicumS aus sich zu lenken. Nun aber, wo Prinz Jerome unter sem Zelt zurückgekehlt »st und wo mit dem Verschwinden seines Org.ms zugleich der Kamps taute äe oow- battants aufhören muß, womit wollen jetzt die Bona- FeuiUkton. Redigirt von Otto Banck. Verstoßen. Novelle von S. v. d. Horst (Fortsetzung.) Anna's Stirn begann sich zu umschatten. Das war ein sörmlicheS Verhör! — Aber was schadete eS? Die Rectorin hatte ja gesagt, daß Miß Prodder seit fünf Jahren in Deutschland lebe, also länger al» sie selbst in Brookstreet. Etwas hochmüthig klang ihre Antwort, ein Erschrecken verrieth sie indessen nicht. „Meine Tante heißt Frau Georgine Scott, von Scott und WelS, Miß Prodder, hoffentlich einer der besten Namen in London- Handelswelt!* Die Engländerin verbeugte sich. „DaS hohe alte HauS mit den beiden Erkerthürmen — o ich sehe e» so deutlich vor mir. Scott und Wells sind sehr reiche Leute, sehr achtbar!* Sie entzündete eine kleine Lampe und wünschte der Fremden gute Nacht. „Möchte Ihnen etwas recht Angenehmes träumen, Fräulein Mildener. WaS man in der ersten Nacht am sremden Orte träumt, daS wird wahr!* Sie verschwand lächelnd und unheimlich geräuschlos wie ein Schatten. Draußen aus dem Corridor aber veränderte sich plötzlich ihr ganze» Gesicht. „Scott und Wells sind Millionäre, dachte sie —, weshalb dient eine Verwandte diese« Hause« al« Lehrerin und noch dazu hier, wo im Grunde nur dem Namen nach Gagen gezahlt werden? Sie ist eine verwöhnte Dame, trägt die Kleider einer solchen, hat ihre Manieren, ihre Sprachweise —, weshalb dient sie? Ich werde daS erfahren, bald sogar.* Anna war endlich allein. Sie löschte da» Licht und wechselte im Halbdunkel ihre Toilette mit einem bequemen Ueberwurf aus grauem Kaschmir, dann öffnete sie die Fenster und ließ den süßen Duft des alten Klostergartens voll Hereinströmen. An der andern S'ite, vom Eckfenster sichtbar, lag der weite Hof, ringS umgeben von dunkeln massigen Bauten, hier höher, dort tiefer, hier im Mondglanz schimmernd und dort rn undurchdringlicher Nacht versteckt, überall durch cm einziges Dach verbunden, aber trotzdem im Innern ganz geschieden, wie die Einzelwohnungen einer großstädtischen Straße. In der Mitte erhob sich ein Brunnen mit steinerner Einfassung, längst ver stecht, von einem billigen kümmerlichen Ziegeldach überwölbt zum Schutz der turnenden Jugend des Städtchens, von Springböcken und Kletterstangen um geben, mit seinen kolossalen Formationen gleichsam wie ein Andenken grauer Vergangenheit hmemragend m daS prosaische, kleinlich sparsame Heute. Alles um den alten Platz herum war still und einsam, nur ganz in weiter Ferne, gerade unter dem gewaltigen, zum Himmel ausragenden Thorthurm glänzten Lichter. Da lag der Sprechsaal, jetzt daS Lazarelh, die SchmerzenS- stätte, an der sich arme Kranke im Fieberwahn wan den — ein Grauen durchfröstelte die Adern deS jungen Mädchens, weshalb mußte sie immer gerade dorthin sehen, als vollziehe sich m den alten Mauern ihr eigenes Schicksal? Sie kannte doch gewiß keine Furcht. Toller Ge ¬ danke, Furcht vor dem Tode — es grebt ja auch Herzen, die dem Kommen deS Sensenmannes voll Hoffnung, ja voll ties inniger Sehnsucht entgegeu- schlagen. Jetzt fiel es ihr wieder ein, da aus dem Tisch lagen duftende Gewürznelken, Miß Prodder halte sie gebracht und als Mittel gegen die Ansteckung em pfohlen. E n paar davon in der Tasche und dann und wann eine zwischen den Lippen — daS schütz'. Anna stand am Fenster und say hinüber zu jenen Lichtern. Eines derselben wanderte langsam, als führe sein Träger einen düsten» traurigen Zug — gewiß Männer, die eine Bahre trugen und einen weißverhüllien Todten, ein Herz, das stille stand nach hartem, fruchtlosem Ringen mit den Gewalten de» Le bens. Hinauf und hinab glitt der Schein, dann wurde er Heller, flammte auf und blieb mitten im umgeben den Dunkel an einen Punkt gebannt. Die Leichen- kammer natürlich, schwarze Gerüste und kahle graue Wände, hier und da ein neugierig MäuSlein, daS durch zerborstenes Tafelwerk schlüpft und wie ein Schatten im Winkel wieder verschwindet, dann Aller still, todtenstill, nur eine alte Frau hält die einsame Wacht, sie nickt zuweilen und träumt, denkt an ihre eigenen kleinen und großen Sorgen, sie nimmt von deni bleichen Antlitz da auf ver Bahre keine Notiz mehr, schon seit Langem — man wird es auch ge wohnt, die Leichcnwärterin zu sein und in der Todten- kammer einsam schaurige Nächte zu verleben. Alles war still und dunkel, aus den Hof fiel von irgendwo her ein gigantt'cher unförmlicher Schatten wie ein vorweltlicher Rirsenlopf mit Ohren und Nüstern, über den Thorthurm lugte der Mond, und weiße Wol len segelten wie Schiffe auf hoher Fluth an ihm vor über — leise Stimmen klangen durch die tiefe Ruhe der Umgebung, dann das Geräusch eines Kusses. „Wie lange mußte ich warten, Du Schlimme, Liebe! * Anna fuhr auf, ihre Blicke kehrten von jenem ein samen Licht dort am entgegengesetzten Ende de« HofiS zurück zu den näheren Umgebungen. Am Brunnen rand im Schutze des kolossalen Schattens koste ein zärtliches Pärchen, junge unschuldige Herzen vielleicht, ein Bursche und ein Mädchen, die noch an eine ewige Dauer des Glückes ihrer Liebe glaubten, denen noch das Leben wie ein Rosengarten erschien. Sir hielten sich für vollkommen unbelauscht. Ist e- nicht eine Sünde, Worte zu stehlen, die in solchen Aug »blicken geflüstert werde»? Anna sank m einen Sessel am Fenster und stützte den Kopf gegen die hohe altväterische Lehne. So ganz allein zwischen sremden Umgebungen, allein »vie in einer anderen unbekannten Welt —, das Herz erschauert unter dem Eindruck dieses Gedanken-. Leise fielen die dunkeln Wimpern herab, und heiße Tropsen drangen au- den Augen. Jetzt war selbst hier in dem hochgelegenen Zimmer die letzte Tage-Helle entschwunden, draußen rauschten die Baumkronen im Winde, eine Krähenschaar zankte vom Garten herüber und kühlere Luft quoll in dar offene Fenster. Fremde Laute, fremde Erscheinungen, so unbedeutend und aleickgiltig an sich — wie stören sie den Einsamen, Heimathlosen, wie scheuchen sie die Ruhe au« semem Avni Anna erhob sich schauernd. Sie ließ die Vor hänge herab und entzündete zum zweiten Male da«
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