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MOZART—BRUCKNER (3. Abend) In seiner 1752 erschienenen Schrift „Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere (quer) zu spielen“ stellt Johann Joachim Quantz, der bekannte Flötenlehrer Fried richs des II., als besondere Kennzeichen des französischen Musikgeschmacks u. a. die Genauigkeit, die Klarheit, das Geistreiche und das Lebhafte fest. Knappste Gestalt, geschärfte Akzente sind für das französische Volkslied charakteristisch. Das Pariser Publikum dieser Zeit verlangt daher von seinen Orchestern vor allem „Per fektion“, d. h. ein sehr genaues, präzises Spiel. Um die vollkommene Präzision des Spieles eindeutig unter Beweis stellen zu können, liebt die französische Sinfonik den „Premier coup d’archet“, einen unisono (im Einklang) geführten Streichereinsatz, rauschenden Charakters am Beginn eines Satzes. Mozart, der ausgezeichnete Be obachter der musikalischen Eigentümlichkeiten jedes Landes, das er besuchte, erfaßte 1778 während seines halbjährigen, zweiten Pariser Aufenthaltes voll und ganz den Pariser Geschmack. Zwar macht er sich über den Pariser „gusto“ und insbesondere über den „coup d’archet“ von Eierzen lustig — „da machen die Ochsen hier ein weesen draus“, heißt es in einem Briefe —, aber was hilft es? — Er ist nicht mehr der verwöhnte, von den Damen der aristokratischen Salons verhätschelte Wunderknabe wie bei seinem ersten Aufenthalt in Paris vor vierzehn Jahren. Er ist allein auf sich selbst gestellt und hofft in der Weltstadt an der Seine sein Glück zu machen, um der verhaßten Salzburger E'ron auf immer zu entkommen. Noch stellt der Zweiundzwanzigjährige in Paris im Jahre 1778 nicht viel vor, außer unbedeuten den Kindheitswerken war noch nichts von ihm gedruckt. So bleibt ihm nichts übrig, als sich in den für das Pariser Publikum bestimmten Kompositionen dessen „gusto“ anzupassen. So findet sich der verspottete „coup d’archet“ nicht allein in der für die „Concerts spirituels“, einer neuen Errungenschaft des Bürgertums, geschaffenen D-Dur-Sinfonie (KV 297), auch die Konzertante Sinfonie für Oboe, Horn, Fagott und Orchester beginnt mit dieser rauschenden Streicherfigur im einstimmig ge führten Streichersatz. Er schrieb das Werk für die hervorragenden Bläser des vor trefflichen Mannheimer Orchesters, jener „Armee von Generalen“, wie Burney sie nennt, die sich auf einer Konzertreise in Paris aufhielten und mit Mozart Umgang pflegten. Daß die Aufführung des Werkes durch Intrigen vereitelt werden konnte, daß Mozart die Partitur des Werkes an den Direktor des Institutes der Concerts spirituels verkaufte, ohne eine Abschrift davon zu behalten, beweist seine Un bekümmertheit und Sorglosigkeit in geschäftlichen Dingen, die ihm sein Vater Leo pold, dem der Urlaub zu weiteren „Bettelfahrten“ vom Erzbischof verweigert worden war, in seinen sorgenvollen Briefen aus Salzburg immer wieder vorwirft. — Glänzend trifft der seine I'reiheit genießende Mozart den Pariser Geschmack. Uber quellender Einfallsreichtum und farbige Behandlung der Bläser, für die das Konzert sehr dankbar zu spielen ist, zeichnen die Komposition aus. — Eine lebhafte und glänzende Musik voll Charme, Witz und Esprit erklingt im ersten und letzten Satz, besonders das E'inale ist von problemloser Unbeschwertheit, es mutet im Refrain am Ende jeder Variation direkt naturburschenhaft unbekümmert an. — Im gesangvollen, innigen Mittelsatz bricht plötzlich der für Mozarts Schaffen charakteristische ab gründige Klang des düsteren Moll herein, eine tiefempfundene Stelle, die aus dem Rahmen einer geistig, angeregten Musik zur Unterhaltung im Sinne der Pariser herausfällt. — Ob hier die Sorge Mozarts um die mit ihm in Paris weilende tödlich erkrankte Mutter ihren Niederschlag fand, vermag niemand zu sagen.