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herzhaftes, abwechslungsreiches Musizieren, das das Thema nicht aufbläht, sondern bei aller Abwandlung immer ganz nahe an dem Wesenskern bleibt in sicherem Gefühl für Form und Rhythmus. Ueber die Gliederung des Werkes wäre folgendes zu sagen: Das Thema wird wie in dem Mozartschen Divertimento von der Oboe vorgetragen, von Bläsern einfach be gleitet. — Variation 1 (un poco piu adagio): Das Thema von den Holzbläsern weiter fortgesetzt, von den Hörnern und Geigen freier gestaltet. — Variation 2 (molto ada gio): in freier Fantasie spinnen Klarinette und Fagott das Thema aus in Diminuendo- Form abschließend. — Variation 3 (allegro vivace e amabile): Vier aufsteigende Gänge, erst nur als pizzicato im Baß, dann von den Holzbläsern übernommen, zur Höhe der ersten Geigen geführt, sind hier besonders charakteristisch. — Varia tion 4 (andante tranquillo): Der Takt 4 des Themas in G-Dur beherrscht den ganzen Satz in ruhiger Begleitung zu den ersten drei Takten. Variation 5 (Molto tranquillo): die ein fachen Umrisse des Themas werden in H-Moll von den Holzbläsern und der Bratsche vorgetragen. Das ganze Stück wird mit Dämpfern gespielt. — Variation 6 (Vivace assai, quasi presto): Der Rhyth mus verwandelt sich in eine Tarantella vom pp bis zum fff gesteigert. — Variation 7 (Presto): Ein piano-Motiv, vom Fagott zu erst gebracht und von den andern Instru menten aufgefangen in Abwechselung von Mozartschen Tonleitergängen. — Varia tion 8 (Andante sostenuto) in majestäti schem Rhythmus. — Finale (Molto vivace): Nach kurzem Toben wird die Musik zarter und graziöser. Der Scherzocharakter ist gewahrt. Das Thema erscheint in verschie densten Erinnerungen. Das Ganze schließt in zarter Beschaulichkeit ab. Die Instrumentierung (Streichkörper, doppelte Bläserbesetzung, Pauken, aber keine Posaunen) ist mit der technischen Ueberlegenheit eines erfahrenen Meisters behandelt. Der Quell der Erfindung spru delt reich genug und stets nobel, überall blitzen kleine Geniefunken auf — wenn auch nicht zu verkennen ist, daß die The matik, der Variationensatz, viele Einzel heiten in Sprache, Ausdruck und Technik an den Kammermusik-Komponisten Reger gemahnen. Johannes Brahms 2. Sinfonie in D-Dur (opus 73) „Ein Blatt aus sommerlichen Tagen, Ich nahm es so im Wandern mit, Daß es dereinst mir möge sagen, Wie hell die Nachtigall geschlagen. Wie grün der Wald, den ich durchschritt“. Die einfachen Verse Theodor Storms könnten als das beste Motto dieser Sinfonie vorangesetzt werden, wie sie den Kompo nisten in den schönen Sommertagen des Jahres 1877 in Ziegelhausen bei Heidelberg beseelt haben möchten. Schon Anfang Januar des nächsten Jahres wurde das Werk unter Brahms persönlicher Leitung in Wien zum ersten Male aufgeführt. Es gehört seitdem gewiß zu den — wenn die Bezeichnung hier gelten darf — beliebtesten und populärsten Werken des Meisters. Bil det doch diese Sinfonie — nadi der Hans v. Bülow den von der Wagnerpartei einst so befehdeten Brahms „den Erben Luigis und Ludwigs (Cherubinis und Beethovens) nannte — den Gegensatz zu der tiefernsten Anlage der anderen Schöpfungen gleicher Form. Eine Fülle von harmonischem Wohllaut und melodischer Schönheit umwebt die geistreiche Durchführung der einzelnen Motive und Themen und verleiht dem dankbaren Werke den Vorzug größerer und leichterer Verständlichkeit (im Gegen satz zu den drei Schwestersinfonien), da trotz der reichen Thematik der Grundzug des Ganzen — Lebensfreude und ein fast pastoraler Friede — gewahrt bleibt, wenn er auch in noch so großer Steigerung weitere Vertiefung findet. Die Partitur ist in jener Stimmung geboren, die den in Wien sich immer mehr emporringenden und Achtung verschaffenden Komponisten in dieser Zeit beseelte: in der Stimmung frohbehaglicher Lebensfreudigkeit. Das schließt nicht aus, daß bei allem Schwelgen in Farbe und ausgeglichener Bewegung doch hie und da sidi eine leicht melan- cholisdie Dämpfung der Daseinsfreude ein- schleicht, wo man das dunkle „Braun“ der Brahmsschen Orchestersprache deutlich empfindet. So namentlich in dem Final - satze, in dem aus dem dunklen, vom Sturm bewegten Gewölk grelle Blitze zucken, bis er sich in friedvoller Verklärt- heit und zum Schluß aufjubelnden Herzens in echter Rondolust zur Ruhe begibt. Auch der erste Satz wächst in einer ge wissen heroischen Festigkeit, groß im Willens- und Gefühlsausdruck mit dra matischer Spannung und bis ins Innerste der Motive durchfünlter Expression. Trotz aller pastoralen und romantischen Ein schläge im Grunde frühlingshaft dithyram- bisch. Seine Freundsdiaft mit Schumann