Volltext Seite (XML)
Der III. internationale Binnenschiffahrts-Congrefs zu Frankfurt a. M, Die skeptische Stellung mancher National ökonomen zum Nutzen der Wasserstrafsen bezw. zur Concurrenzfähigkeit derselben den Eisenbahnen gegenüber datirt aus den vierziger Jahren, jener Zeit, in der Alles für Eisenbahnen schwärmte und letzteren gegenüber alle anderen Transportmittel geringschätzen zu dürfen meinte. Freilich gab es auch damals noch staatskluge Männer, welche die Bedeutung der Wasserstrafsen wohl zu schätzen wufsten. Ein französischer Inspector der Ver kehrswege in den vierziger Jahren, Briere de Mondetour, charakterisirt z. B. sehr treffend das Verhältnifs der Eisenbahnen und der Wasser strafsen zu einander, indem er dasselbe demjenigen Verhältnisse vergleicht, welches zwischen der Cavallerie und der Infanterie in der Armee besteht. Seine Meinung ist in den Motiven für das Gesetz vom 29. April 1845 angeführt, welches einen aufserordentlichen Credit zur Vollendung einiger französischer Kanäle bewilligte. Aber solche Stimmen blieben in der genannten Zeitepoche verhältnifsmäfsig vereinzelt, und erst die siebziger Jahre vermehrten die Kundgebungen zu gunsten der Binnenschiffahrt. In Frankreich gelangten sie in den Arbeiten von Kranz und Freycinet zum Ausdruck, in Belgien durch die Forschungen von Maline und Finet sowie durch die Agitation der betheiligten Handelskreise, in Deutschland durch die Gründung eines strebsamen Centralvereins zur Hebung der deutschen Flufs- und Binnenschiffahrt.* Die Thatsachen widersprachen eben jener vor- gefafsten Meinung, und thun es von Tag zu Tage mehr. Selbst die sehr verbreitete Ansicht, die Schiffahrt eigne sich blofs zur Beförderung von Gütern sehr geringen Werthes, welche sehr billig, wenn auch noch so langsam ihrer Bestimmung zugeführt werden müssen, hat sich durch die Thatsachen als unrichtig herausgestellt. Den Angaben von Studnitz, Todt, Nordling und anderen Autoritäten zufolge enthält beispiels weise der Transport der deutschen Eisenbahnen 69 % von Gütern geringen Werthes, wie Kohlen, Holz, Erde, Steine u. s. w., während bei der Schiffahrt diese Producte 64 % der Gesammt- ladung ausmachen. Die Güler von höherem Werthe, wie Getreide, Eisen, Petroleum, Zucker u. dergl. machen bei der Eisenbahn 15 %, dem Wasser- strafsenverkehr aber 19 % der Gesammttransporte aus. Nach der Statistik des Deutschen Beiches ging durch die 13 wichtigsten Registrationspunkte * Vergl. N. v. Sytenko, Vervollkommnung der Statistik des Binnenschiffahrtsverkehrs, pag. 5. an den verschiedenen Wassersystemen Deutsch lands im Jahre 1885 um 62 % mehr Ladung als im Jahre 1876, während bei den Eisenbahnen, die unterdefs um 32 % an Ausdehnung gewonnen, der Zuwachs an transportirten Gütern für den selben Zeitraum sich etwa durch 54 % aus drücken läfst. In anderen Ländern zeigt sich ein ähnlicher Aufschwung des Verkehrs auf den Wasserstrafsen, der ebenso wie in Deutschland auf die Anwendung des Dampfes statt der animalischen Zugkraft, die Veranstaltung eines geregelten Schleppdienstes, die Einführung von fahrplanmäfsigen Schiffszügen, welche mittels eines Schleppdampfers befördert werden, die Errichtung geeigneter Hafenanlagen mit vervollkommneten Lade- und Löschvorrichtungen, die möglichst schnelle und pünktliche Beförderung; der Passagiere und Güter zurückzuführen ist. Bei solcher Lage der Dinge war es nur natur- gemäfs, dafs die an der Entwicklung betheiligten internationalen Kreise den Wunsch hegten, ihre Ansichten über Hebung und Verbesserung der Binnenschiffahrt, Schiffbarmachung der Flösse sowie über den Bau und Betrieb künstlicher Wasser strafsen auszutauschen, die zugehörigen technischen und wirthschaftlichen Fragen gemeinsam zu be- rathen und sich die gegenseitigen Erfahrungen mitzutheilen, sowie gemeinsam unter sachver ständiger Führung wichtige Anlagen auf diesem Gebiete zu besichtigen und zu besprechen. Dies führte zu dem I. internationalen Binnenschiffahrts- congrefs zu Brüssel im Jahre 1885, welchem ein zweiter zu Wien im Jahre 1886 folgte. Beide Congresse litten an einer zu grofsen Aus dehnung des Programms, was einer intensiven Förderung des beabsichtigten Zweckes naturgemäfs hinderlich sein mufste. Die gemachten Erfahrungen benutzte man für den III. internationalen Binnen- schiffahrtscongrefs, der auf die Tage vom 19. bis 25. August 1888 nach Frankfurt a. M. ein berufen wurde. Man beschränkte das Programm auf sechs Fragen: 1. Vervollkommnung der Statistik des Binnen schiffahrtsverkehrs. 2. Verbesserung der Schiffbarkeit der Flüsse. 3. Welches sind die geeignetsten Fahrzeuge und deren Fortbewegungsmiltel auf den dem grofsen Verkehr dienenden Binnenwasser- strafsen? 4. Inwieweit sind Seekanäle für den Verkehr mit dem Binnenlande volkswirthschaftlich berechtigt?