Volltext Seite (XML)
December 1888. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 12. 879 Die Veränderungen auf dem Planeten Mars*. CO Wie eng die verschiedenen Zweige der Natur wissenschaft mit einander verwebt sind, und wie die Fortschritte auf dem einen Gebiete derselben auch oft das Fortschreiten eines andern bewirken, das hat namentlich die Astronomie schon mehrfach aufs deutlichste bewiesen. Hier ist es einestheils die Vervoll kommnung der Winkel- und Zeitmessung, durch welche eine immer genauere Erforschung der Bewegungen am Himmel ermöglicht wird; anderntheils sind es die Fort schritte der Optik, der Lehre vom Licht, welche sich in den Fortschritten der Astronomie wiederspiegeln. So hat in der Mitte dieses Jahrhunderts die Spectro- skopie, die Zerlegung des Lichtstrahls in seine Bestand theile, der astronomischen Forschung ein grofses Feld völlig neu eröffnet. Mittels des Spectroskops in Ver bindung mit dem Fernrohre kann man die Natur der in den Gestirnen vorkommenden Stoffe erkennen, mag der Lichtstrahl von dorther zur Erde auch Millionen und Billionen von Meilen zurückgelegt haben. Noch gröfser aber war die Umwälzung der Astro nomie, welche im Anfang des 17. Jahrhunderts durch die Erfindung des Fernrohrs bewirkt wurde, eine Um wälzung, welche freilich erst nach und nach in ihrer ganzen Gröfse zu Tage trat und auch heute noch fortdauert. Mit jeder Vervollkommnung der grofsen Fernrohre nimmt diese Umwälzung gröfsere Verhältnisse an; die Schärfe des Erkennens wird erhöht, und Vieles, was früher unsichtbar war, wird sichtbar. Durch die dem Gegenstände der Beobachtung zu gekehrten grofsen Gläser der Teleskope, die sogenannten Objective, fängt man die Strahlen des Gestirns auf, und diese geben, wo sie am andern Ende des Fernrohrs zu einem Brennpunkt sich vereinigen, ein kleines aber sehr scharles und helles umgekehrtes Bildchen. Das freie Auge vermag nicht, in diesem kleinen Pünktchen alle die Einzelheiten zu unterscheiden, sondern es bedarf dazu einer starken Vergröfserung, eines sogenannten Oculars, welches deshalb an dem dünnen Ende jedes Fernrohrs angebracht ist. Das Wichtigste bleibt aber die Reinheit des Objectivbildchens; denn jeder Fehler desselben wird von dem Ocular mit vergröfsert. Es sind deswegen die feinsten Berechnungen und die sorgfältigste Technik auf die Herstellung sehr voll kommener Objective gerichtet worden, und welchen Erfolg in dieser Beziehung die Bemühungen der neuesten Zeit gehabt haben, dafür kann uns der Planet Mars, unser Nachbar im Sonnensystem, als Beispiel dienen. Der Mars wandert wie die Erde um die Sonne, und zwar in derselben Richtung und fast in derselben Ebene, aber in gröfserem Abstande von der Sonne. Denn während die Entfernung der Erde von der Sonne zwischen 20 und 21 Millionen Meilen schwankt, so wechselt die des Mars zwischen 29 und 34 Millionen * Aus dem »Deutschen Wochenblatt«, Nr. 28, 4. October 1888. Meilen. Er gehört also zu den »äufseren Planeten« und die Erde kommt ihm — wenn beide Planeten von der Sonne aus nach derselben Richtung stehen — bis auf 8 Millionen Meilen nahe; stehen, sie aber einander gegenüber, so kann ihre Entfernung bis auf 5 5 Millionen Meilen anwachsen. Und da der Mars seinen Umlauf um die Sonne in nicht ganz zwei Jahren vollendet, so kommt er in elwas mehr als zwei Jahren einmal in seine Erdnähe und einmal in seine Erdferne. Natürlich wird man ihn am erfolgreichsten beobachten, wenn er in seiner Erdnähe ist, wo dann ein mäfsiges Fernrohr schon ebensoviel an ihm erkennen läfst, als ein sieben fach stärkeres in seiner Erdferne erkennen lassen würde. So lange es Fernrohre giebt, haben daher die Astronomen namentlich die Zeiten der Annäherungen dazu benutzt, ihre Instrumente, wie auf die übrigen Objecte des Himmels, so auch auf den Mars zu richten. Er ist leicht an seinem rothen Glanze zu erkennen, wenn er am Nachthimmel steht, und auch in den Fernrohren erscheint er röthlich, aber mit hellen und dunklen Flecken, die schon in mäfsigen Instrumenten sichtbar sind. Man erkannte schon früh, dafs diese Flecken sich verschoben; man konnte an ihnen erkennen, dafs der Planet sich um seine Axe drehe wie die Erde, und auch wie diese von West nach Ost. Aber erst in neuester Zeit ist man dazu gelangt, die Umdrehungszeit des Mars auf 24 Stunden, 37 Minuten und 23 Secunden festzustellen. Auch liefs sich an den Bewegungen der Flecken erkennen, dafs bei dem Mars, wie bei der Erde, die Axe schief gegen seine Bahn stehe, so dafs also auch bei ihm Winter und Sommer wechseln, nur dafs diese Neigung der Axe noch einige Grade mehr als bei der Erde beträgt (27° gegen 231/2°). Der Durchmesser wurde auf 038 deutsche Meilen bestimmt, etwas mehr als die Hälfte des Erddurch messers, so dafs die Körpergröfse nur 1/7 der Erdgröfse ausmacht. Von ganz besonderem Interesse war es, dafs man an den Polen der Drehungsaxe weifse Flecke beobachtete, welche im Winter der betreffenden Mars halbkugel wuchsen und im Sommer kleiner wurden. Man sah also den Schnee der Polarzone und man konnte aus dessen Vorkommen und Verhalten auf eine gewisse Aehnlichkeit der Naturverhältnisse des Mars mit denen der Erde schliefsen. Auch das Vorhandensein einer Atmosphäre und sogar Wolken hatte man er kennen können. Diese Resultate sind schon durch den Fleifs der vorzüglichsten astronomischen Beobachter der älteren Zeit gewonnen worden, die auch versuchten, wirkliche Karten des Mars zu zeichnen, in welchen sie einen ersten Meridian festsetzten und nun alle Flecken der Oberfläche nach areo (p7s = Mars) -graphischer Länge und Breite eintrugen. Indessen konnten darin erst die neueren Beobachtungen mit den vervollkommneten Instrumenten mehr und mehr Genauigkeit geben. Sie haben nicht