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Gesetzbuche an alle Interessenten — und wer wäre in diesem Falle nicht Interessent? — und nicht etwa an die Juristen allein, ausdrücklich die Aufforderung erging, Stellung zu demselben zu nehmen und zu verlautbaren, über welche von den einzelnen Bestimmungen des Entwurfs abweichende Meinungen, insbesondere in den Kreisen der wirth- schaftlichen Erwerbsthätigkeit, obwalteten. An kritischer Erörterung des Entwurfs zum bürgerlichen Gesetzbuch hat es seit seiner Ver öffentlichung keineswegs gefehlt. Die politische Tages- und die juristische Fachpresse hat sich eingehend und ziemlich vielseitig dieser kritischen Aufgabe gewidmet. Man hat den Entwurf an der Hand der ihm bei seiner Veröffentlichung beigegebenen Motive behandelt, hat die einzelnen, namentlich die in der wissenschaftlichen Rechts theorie umstrittenen Fragen nach ihrem Für und Wider erörtert. Dann haben die Verhandlungen des Juristentages und die denselben unterlegten, von namhaften Juristen herrührenden Referate er neuten Anlafs geboten, diese Kritik fortzuspinnen, und neuerdings sorgten der Verein deutscher Rechtsanwälte durch dem bürgerlichen Gesetz buch geltende gutachtliche Publicationen und eine bereits zu einem kleinen Berge angewachsene juristische Specialliteratur dafür, dafs der jour nalistischen Kritik der Stoff nicht ausging. Man hat auch geglaubt, bereits feststellen zu können, dafs die das Recht handhabenden Juristen, d. h. Richter und Anwälte, dem Entwürfe der Com mission im allgemeinen ihre Zustimmung bekundet hätten und dafs andererseits das juridische Pro fessorenthum diejenige Stelle sei, von der die verneinende Kritik desselben ausgehe. Aus dem letzterwähnten Umstande hat man schliefsen wollen, dafs, weil die zur Handhabung des bürgerlichen Rechts berufenen, also die prak tischen, Juristen der Arbeit der Commission ihrer seits Lob spendeten, dieselbe gut sein müsse und daher die von der theoretischen Juristerei geübte verneinende Kritik wenig zu bedeuten hätte. Man wird vom Standpunkte der wirthschaftlichen In teressenten diesem Schlüsse nicht ohne weiteres beipflichten können. Denn nicht darauf kommt es in letzter Linie an, wie die praktischen oder wie die theoretischen Juristen den Gesetzentwurf beurtheilen, ob die praktischen Juristen glauben, derselbe werde sich ohne erhebliche Schwierig keiten für ihren Beruf handhaben lassen, sondern darauf kommt es an, ob in dem Entwürfe das im Volke vorhandene allgemeine Rechtsbewufst- sein eine genügende und jedem berechtigten An spruch gerecht werdende Würdigung gefunden hat. Möglicherweise steht aber die theoretische Ver tretung der Rechtswissenschaft dem Verständnisse der in dem Volke lebenden Rechtsanschauungen doch näher, als die das Recht praktisch, oft genug handwerksmäfsig, handhabende Juristerei. Wir wollen diese Frage gern unentschieden lassen; aber so viel ist klar, dafs die im Volke fortlebenden Rechtsanschauungen wandelbare sind und wandelbare sein müssen, weil eben die wirth schaftlichen und socialen Verhältnisse einem immerwährenden Wechsel der Erscheinungsformen unterstellt sind. Dieser Wechsel bedingt eine Wandelung in den Rechtsanschauungen, die sich, historisch dem Volke erwachsend, allerdings nur sehr allmählich vollzieht. Die juridische Theorie dürfte aber mehr unter dem Einflüsse dieser Wandelung in den Rechtsanschauungen stehen, als die juristische Praxis, weil letztere es mehr mit der Handhabung des geltenden geschriebenen, bereits codificirten Rechts zu thun hat, welches häufig einer verflossenen Epoche in den Rechts anschauungen entspricht, während die juridische Theorie die Aufgabe hat, die Fortbildung des Rechts, namentlich auch des geschriebenen, mit den Wandelungen im Rechtsbewufstsein in Ein klang zu erhalten. Es dürfte also berechtigt sein, daran zu zweifeln, ob der Schlufs richtig ist, weil sich die praktischen Juristen mit dem Entwürfe des bürgerlichen Gesetzbuchs generell einverstanden erklärt hätten und nur vom Standpunkte der juridischen Theorie Bedenken laut geworden seien, deshalb sei anzunehmen, dafs der Entwurf in seinen Formulirungen das Richtige treffe. Aber selbst wenn dieser Zweifel behoben und als unbegründet erwiesen würde, die eine That- sache bliebe doch bestehen, dafs nämlich bisher jede an dem Entwürfe des bürgerlichen Gesetz buchs geübte Kritik, gleichviel ob sie ein zu stimmendes oder ein entgegengesetztes Urtheil über die in Behandlung genommene Einzelfrage abgab, von fachjuristischen Gesichtspunkten aus ging. Die gesammte, bisher an die Oeffentlich- keit getretene Kritik des Entwurfs bewegte sich also auf dem Boden der bei den Fachjuristen eingelebten Rechtsanschauungen, und das nicht juristische Laienthum, insbesondere die im wirth schaftlichen Leben der Nation hervorragenden Kreise haben sich bisher an dieser Kritik nur sehr wenig oder gar nicht betheiligt. Wenn aber bei der Veröffentlichung des Ent wurfs und seiner Motive insbesondere auch an die Vertreter der wirthschaftlichen Interessen die Aufforderung zur Stellungnahme gerichtet wurde, so ist nicht nur vom Standpunkte des Wirth- schaftslebens selbst, sondern ebensosehr von dem jenigen der nationalen Gesammtheit diese geringe Theilnahme der wirthschaftlichen Praktiker an dieser Angelegenheit zu bedauern. Insbesondere aber sind es die gewerblichen und industriellen Kreise, aus denen bisher Be- urtheilungen des Entwurfs vermifst werden müssen. Ferner ist auch die Landwirthschaft noch mit solchen im Rückstände, aber das preufsische Landesökonomie-Collegium hat seinerseits unter Zustimmung des landwirthschaftlichen Ministers