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bahnmaterial und Maschinenbau nicht nur bis zum Aeufsersten ihrer Leistungsfähigkeit anspannte, sondern auch durch verschiedene Anfragen und Hinweise, dafs er, wenn die deutsche Eisenindustrie dem Bedürfnisse des Landes nicht zu genügen vermöge, sich an das Ausland wenden müsse, der Ausdehnung der Eisenindustrie wesentlich Vorschub leistete. Aber nicht in Deutschland allein, sondern in den geschäftstreibenden Kreisen der gesammten civilisirten Welt hatte der Frankfurter Friede und die Erstehung des macht vollen Deutschen Reiches das Vertrauen auf sichere dauernde Zustände und damit den Unternehmungsgeist zu ähnlicher Thätigkeit wie in unserm Vaterlande erweckt. Als nun der Rückgang verheerend eintrat, und die Krisis Jahr um Jahr andauerte, als für die gewaltig gesteigerte Productionsfähigkeit die Beschäftigung zu mangeln begann, da sah sich unsere Eisenindustrie, der gerade zu dieser Zeit die letzten schützenden Zölle entzogen waren, vor einen Kampf auf Leben und Tod gestellt, den sie im eigenen Lande wie auf dem Weltmärkte vornehmlich mit der Eisenindustrie Englands zu bestehen hatte. In diesen Kampf trat sie ein unter Verhältnissen, die wesentlich erschwert waren durch die Einführung des zur ausschlaggebenden Bedeutung gelangten Bessemerverfahrens, durch die von diesem absolut bedingte Massenproduction. Deutschland hat grofse Lagerstätten von Erzen verschiedener Art. Es fehlen nicht die reichhaltigen edlen, d. h. von schädlichen Bestandtheilen freien Erze, vielfach über wiegend sind jedoch die weniger reichen, jedoch billiger zu fördernden, schädliche Bestand- theile wie Schwefel, Arsen, Kupfer und Phosphor enthaltenden Erze. Besondere Schwierig keiten bietet der Eisenindustrie der Phosphor, welcher aus dem Hochofen unverändert in das Roheisen übergeht. Der deutschen Eisenindustrie fiel infolgedessen die Aufgabe zu, durch geeignete Mischung reiner und, phosphorhaltiger Materialien und geeignete Bearbeitung derselben im Puddelofen ein brauchbares Schmied- bezw. Schweifseisen zu erzeugen. Diese Aufgabe hat die deutsche, vorzugsweise die rheinisch-westfälische Eisenindustrie derart gelöst, dafs sie die besten Qualitäten Schmiedeisen zu erzeugen und auf diese Production von Qualitätseisen ihre Concurrenzfähigkeit im Auslande zu begründen vermochte. Diese verhältnifsmäfsig günstigen Lebensbedingungen für die deutsche Eisenindustrie wurden zum schweren Nachtheil verschoben durch die Einführung des Bessemerprocesses, dessen sie sich bemächtigen mufste, wenn sie überhaupt bestehen wollte. Im Gegensatz zum Puddelprocefs findet im Bessemer-Converter eine Abscheidung des Phosphors aus dem Eisen gar nicht statt. Da gutes Bessemermaterial, wie es zu Schienen gebraucht wird, aber höchstens 0,1 % Phosphor enthalten darf, so kann nur Roheisen mit möglichst geringem Phosphorgehalt verwendet werden. Wir haben gesehen, dafs Deutschland die zu solchem Roheisen erforderlichen phosphor freien Erze nicht reichlich besitzt, sie sind zudem schwerer zu fördern und theuer; sie allein zum Bessemereisen zu verwenden, würde die Selbstkosten in einer jede Concurrenz aus schliefsenden Weise erhöhen. Die deutsche Eisenindustrie sah sich daher auf die Verarbeitung fremder Erze von Spanien, Elba und Algier angewiesen, welche jedoch durch die weite Entfernung unserer Eisenbezirke von der Küste wesentlich vertheuert werden; sie verhüttete zu Bessemerroheisen etwa 60 % solcher ausländischen Erze. Ungemein günstig liegen dagegen gerade für den Betrieb des Bessemerprocesses die Verhältnisse in England. In Cumberland, unweit der Küste und auch in mäfsiger Ent fernung von ergiebigen Kohlenfeldern, besitzt England ein bedeutendes Vorkommen eines über 60 % Eisen enthaltenden phosphorfreien Rotheisensteines, Hämatit, aus welchem mit verhältnifsmäfsig geringen Selbstkosten ein vorzügliches Bessemer-Roheisen in solchen Mengen erblasen wird, dafs fast der gesammte Bedarf der englischen Industrie an solchem Eisen gedeckt und noch ein sehr bedeutendes Quantum nach dem Auslande abgegeben wird. Diejenigen englischen Werke aber, welche es nach ihrer Lage vortheilhafter fanden, auch jene ausländischen Erze zu verarbeiten, hatten durch billigere Seefrachten und die geringe Entfernung von der Küste doch einen bedeutenden Vorsprung vor den deutschen Werken voraus. Bezüglich des schweren Kampfes, den infolgedessen die deutsche Eisenindustrie mit derjenigen Englands zu bestehen hatte, constatirt selbst der von mir bereits angeführte Schriftsteller Dr. M. Sering, dafs gegen Ernie der 70er Jahre die Lage der Roheisenindustrie eine sehr schwierige geworden, und wesentlich durch britische Concurrenz, zumal wie ich hinzufüge, durch die Einfuhr von Roheisen, beeinflufst war. Die Roheisenerzeugung aber ist die Grundlage der gesammten Eisenindustrie, ohne sie wird sich nirgend eine Eisenindustrie in erheblicherem Umfange entwickeln oder halten können.