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October 1888. »STAHL UND EISEN.“ Nr. 10. $73 Bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts war die Darstellung des zuletzt bezeichneten Schmiedeisens nur möglich in kleinen Herden vermittelst Holzkohlen, also nur in verhältnifsmäfsig geringen Mengen auf einmal und theuer. Erst die von Henry Cort 1784 gemachte und 1818 von Rogers verbesserte Erfindung des Buddelns in eigens construirten Oefen gestattete die Anwendung fossiler Brennmaterialien und die Herstellung in gröfseren Mengen, sie steigerte daher die Bedeutung des Eisens für Cultur und Civilisation. Dieses Verfahren blieb das einzige zur Darstellung des schmiedbaren Eisens, bis Henry Bessemer 1855 durch seine geniale Erfindung jene gewaltige Umwälzung in der Eisenindustrie anbahnte, welche bestimmt war, auch in unser gesammtes Wirthschaftsleben tief einzugreifen. Im Gegensatz zu dem Puddelprocefs, bei dem der Sauerstoff zur Verbrennung des Kohlenstoffs und der sonstigen Bestandtheile nicht direct aus der atmosphärischen Luft, sondern erst vermittelst der Schlacke indirect mit dem Metall in Berührung gebracht wird, besteht das Wesentliche des Bessemerverfahrens in der Führung eines Luftstromes durch das flüssige Roheisen bis zur beliebig weit zu führenden Entkohlung. Die gewaltige Bedeutung dieses Verfahrens lag darin, dafs mit geringeren Kosten beliebig Eisen oder Stahl in Massenproduction gewonnen werden konnte. Während in den Puddelöfen in 24 Stunden 3000 bis 4000 kg Eisen erzeugt werden können, kann der zum Bessemer-Verfahren dienende birnenförmige Apparat, der Converter, bei einem Einsatz von 12000 kg etwa 400000 kg gegossener Blöcke liefern. Ferner erfordert der Frischprocefs im Converter nicht, wie im Puddelofen, besonderes Brennmaterial, auf 1 kg gewalzte Luppen etwa 3/4 bis 1 kg Kohlen. Denn die durch den Sauerstoff der eingeblasenen Luft bewirkte Oxydation oder Verbrennung der zu ent fernenden Bestandtheile des Roheisens, Silicium, Mangan und Kohlenstoff — auch ein Theil des Eisens verbrennt — erzeugt eine genügende Wärmemenge, um sogar das vollständig entkohlte Metallbad flüssig zu erhalten. Dann fällt die in der ganzen Eisen industrie härteste Handarbeit des Puddelns fort und, was mit die Hauptsache ist, die Güte des Products hängt nicht mehr von der Geschicklichkeit zahlreicher Arbeiter ab, sondern nur von dem Wissen und der Erfahrung des leitenden Ingenieurs. Mit dem besonders die Stahlproduction begünstigenden Bessemerprocefs beginnt der Kampf dieses so werthvollen und nun so billig darzustellenden Materials mit dem Schweifseisen. Wir treten in das Zeitalter des die Herrschaft erringenden Stahls und der Massenproduction. Diese aber erhielt ihren gewaltigen Impuls erst durch die denkwürdige Entwicklung der politischen und wirthschaftlichen Verhältnisse unseres Vaterlandes. Der zunehmende Wohlstand und Bedarf, der Aufschwung der grofsen Industrieen, die den Waarenaustausch zum Welthandel entwickelnde Ausbildung der Verkehrsmittel zu Wasser und zu Lande, das wunderbare Eingreifen der Telegraphie, die schnell einander folgenden Erfindungen der Wissenschaft und Technik hatten in den 60er Jahren die Vorbedingungen für eine grofse wirthschaftliche Bewegung geschaffen, welche jedoch wesentlich durch den Mangel an Vertrauen niedergehalten wurde. Denn nach einer Friedensperiode von fast einem halben Jahrhundert war ein Zeitalter der Kriege hereingebrochen. Im letzten dieser grofsen Kriege hob sich, trotz der aufflammenden Begeisterung im Gedanken an das gemeinsame Vaterland, das Vertrauen doch erst mit den ersten Siegen der deutschen Truppen. Dann aber, mit Niederwerfung des Feindes und Gründung des Deutschen Reiches, trat eine Betheiligung der Unternehmungslust ein, welche, weiter begünstigt, durch eine Kapitalverschiebung zu gunsten Deutschlands sondergleichen, auf allen Gebieten des Handels und der Industrie zu grofsartigen, der natürlichen Entwicklung nicht selten vorgreifenden Schöpfungen führte. Den gröfsten Umfang erreichten dieselben bei der Eisenindustrie; an keine Industrie aber wurden auch nur annähernd ähnliche Anforderungen gestellt, wie an die Eisenindustrie; niemals zuvor ist auch die Bedeutung dieser Industrie für unser gesammtes staatliches und wirthschaftliches Leben so augenfällig hervorgetreten, wie in jener Periode. Das schnelle Retablissement des Kriegsbedarfs und des rollenden Materials der Eisenbahnen, von letzterem hing die Aufrechterhaltung des riesenhaft anschwellenden Verkehrs ab; die fieberhaft vom Staat wie von Privaten betriebenen Erweiterungen des Eisenbahnnetzes, durch welche zahlreichen weiten Gegenden und vielen Millionen ihrer Bewohner die Segnungen besseren Verkehrs gebracht wurden; die Erweiterung der Betriebe auf allen anderen Gebieten gewerblichen Schaffens — alles dies hing bezüglich der Durch führung mehr oder weniger ab von den Leistungen der Eisenindustrie, welche, in dieser Weise angeregt, aufs Aeufserste gesteigert wurde. Vergessen sei auch nicht, dafs der damalige Handelsminister die Werke für Eisen-