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October 1888. »STAHL UND EISEN.“ Nr. 10. 671 den Erzen gewonnen. Gufseisen kannte man nicht. Schmelzhitze und damit flüssiges Eisen zu erzeugen, lernte man erst später. Zu diesem ersten bedeutenden Fortschritt gelangte man gegen das Ende des Mittel alters, indem das Gefälle des Wassers und damit die erste maschinelle Kraft beim Gebläse zu Hülfe genommen wurde. Der so verstärkte Wind steigerte die Wärmegrade bis zur Schmelzhitze, und so wurde, wahrscheinlich zuerst absichtslos, wie bei so manchen grofsen Erfindungen, Eisen in flüssiger Form, Roheisen, gewonnen und der Eisengufs erfunden. Zu einer weiteren grofsen Umwälzung gelangte die Eisenerzeugung durch die all mähliche Ausgestaltung der kleinen, höchstens 11/2 m hohen Schachtöfen zu Hochöfen. Dadurch wurde die directe Darstellungsweise des Schmiedeisens mehr und mehr zurück gedrängt. Die Erzeugung von Roheisen im ersten Procefs, die Verarbeitung desselben zu schmiedbarem Eisen und Stahl in einem zweiten Procefs wurde die noch heute bestehende Grundlage des neueren Zeitalters der Eisenindustrie. Jedoch nur sehr langsam vollzog sich diese Umwandlung. Die directe Darstellungs weise auf offenen Herden, den Renn- oder Luppenfeuern, hat sich bis in das 18. Jahr hundert, in Ebingerode am Harz bis 1750, erhalten, und in Krain wurden die letzten kleinen Stück- oder Wolfsöfen, gegen den heftigen Widerspruch der Arbeiter, erst 1847 abgeschafft. Inzwischen erübrigte der Eisenindustrie aber noch die letzten Schritte zu thun, um durchschlagende Bedeutung für die moderne Culturentwicklung zu erlangen. Sie erfolgten, indem als Grundlage des Hochofenbetriebes an die Stelle der Holzkohle und der Wasserkraft die Steinkohle und der Dampfmotor trat und als mit dem Puddelprocefs eine aufserordent- liche Vervollkommnung in der weiteren Bearbeitung des Roheisens gewonnen wurde. Mit diesen grofsen Umwandlungen werden Kohle und Eisen die Grundstoffe aller gröfseren industriellen Thätigkeit. Nach dem Besitz dieser werth vollen Materialien und der höheren Vollkommenheit in Erzeugung und Bearbeitung des Eisens scheiden sich die Völker in modernem Sinne. Den anderen gegenüber erlangen die sogenannten Industrie staaten eine solche Fülle materieller Hülfsmittel, dafs auf diesen als Grundlage die staatliche Machtentfaltung wie die Entwicklung auf allen anderen Gebieten modernen Culturlebens zur höchsten Blüthe gelangen. In diesem Procefs gewinnt England unserm Vaterlande gegenüber zunächst einen gewaltigen Vorsprung. Englands Eisenindustrie war im Mittelalter so gering, dafs sie dem eigenen Bedarf nicht genügte. Dagegen wurde in Deutschland im 13. und 14. J ahrhundert Eisen und Stahl bereits für die Ausfuhr erzeugt. Im Jahre 1320 beschwerte sich, wie urkundlich feststeht, der Magistrat in Soest bei dem Stadtrath in Southampton, dafs englische Schiffe ein kleines Fahrzeug mit „34 Gefäfsen Stahl und Eisen“ fortgenommen hatten. Dafs in England eher Mangel als Ueberflufs an Eisen war, geht aus einer Verordnung aus dem Jahre 1354 hervor; in derselben wird verboten, „Eisen, so in England verarbeitet oder eingeführt worden, aus dem Reiche auszuführen, bei Strafe des Verlustes des doppelten Werthes der Ausfuhr“. Auch die Arbeitskräfte für die Montanindustrie müssen ungenügend gewesen sein, denn im 15. Jahrhundert erliefs Heinrich VI. einen Freibrief zur Einführung deutscher Bergleute. Dieser Zustand änderte sich aber unter dem Einflufs der aufserordentlich günstigen Vorbedingungen in England verhältnifsmäfsig schnell. Die zunehmende Knappheit des Holzes und der natürliche Kohlenreichthum des Landes hatten bereits zu Anfang des 17. Jahrhunderts zu Versuchen mit Steinkohlen im Hochofen geführt; 1735 wurde der erste Kokshochofenbetrieb (von Darby in Colebrook- Dali) praktisch eingeführt. Nach etwa 60 Jahren, um das Jahr 1800, war die Holzkohle fast ganz verdrängt, denn auch der Frischbetrieb mit Holzkohle wurde durch den Puddel procefs mit Steinkohle ersetzt. Diese durchschlagenden Fortschritte hatten, gestützt auf die aufserordentliche Kapitalkraft Englands, eine bedeutende, für die damalige Zeit grofs- artige Ausdehnung der englischen Eisenwerke zur Folge. Ganz anders lagen die Verhältnisse in Deutschland. Der wirthschaftliche und politische Verfall nach dem 30jährigen Kriege, die Zerstückelung und die vielen Zoll schranken im Inlande standen der industriellen Entwicklung hindernd entgegen. Auf dem Continent wurde der erste Kokshochofen in Preufsen 1796 errichtet; aber nur sehr langsam vollzog sich die Umwandlung. Noch 1842 beruhte die Eisen erzeugung in Deutschland ganz überwiegend auf dem Holzkohlenbetrieb. In dem genannten Jahre wurden von der Hochofenproduction des Zollvereins erst 10,8 % mit Koks oder gemischtem Brennmaterial hergestellt. Günstiger gestaltete sich das Verhältnils mit 27,4 % bei der Frischerei,