Volltext Seite (XML)
regel,“ entschuldigte ich die allgemeine Flucht. Die lustigen Damen thatten die grölste Freude an diesem harmlosen Geplänkel. * * * Nach jeder Richtung durchkreuzten wir die Insel, besuchten das rothe und Morsumkliff, die unbewohnte Südspitze Hörnum, einst sagenhafter Tummelplatz von Strandräubern und Hexen, wo so viele Schiffbrüchige Hab und Gut, nicht selten auch ihr Leben einbüfsten. Letzter Ausflug war die Fahrt nach List, dem nörd lichen Theile der Insel. Ein Paar der gebräuchlichen Stuhlwagen mit zwei Sitzreihen hintereinander nahm die Gesellschaft auf, im ersten Gefährt Fundbergs und der Lieutenant, im zweiten Trautweins und ich, Jung fräulein und Junggeselle hübsch nebeneinander auf der hintersten Bank. Speise und Trank hatten die Ham burger besorgt, denn damals gab’s in List noch nicht die gute Verpflegung von heute. Hinter Kämpen be stiegen wir den grofsen Leuchtthurm und genossen die prachtvolle Aussicht über die ganze Insel, das Watten meer im Osten und die Nordsee im Westen. Herr Fundberg zog ein scharfes Marineglas hervor, das weite Umschau gestattete, sogar die Nachbarinseln Amru und Föhr erkennen liefs. Dann ging’s weiter, an der seit 1767 bestehenden Vogelkoje vorbei, wo früher in einzelnen Jahren bis 30000 Enten gefangen wurden, geradeswegs in das zur Ebbezeit seichte Wattenmeer hinein, während zur Fluthzeit der beschwerliche Sand weg längs der Dünen eingeschlagen werden mufs. Auf den Sandbänken sonnten sich einige Seehunde, heute schon eine Seltenheit. Nach mehrstündiger Fahrt stiegen wir aus, wanderten über die Dünen, die er leichterten Wagen folgten langsam, List war erreicht. In der kleinen von 50 bis 60 Menschen bewohnten Ortschaft spannten die Kutscher aus. Herr Fundberg leitete das Entladen der Lebensmittel und die Ueber- bringung nach den Dünen, wohin wir unsere Schritte lenkten und die wirklich an Grofsartigkeit ihresgleichen suchen. Bei hellem Wetter wird man thatsächlich, ab gesehen von den Höhen, an Alpenlandschaften und Gletscher erinnert, so grell glänzen im täuschenden Sonnenlichte die weifsen Sandfelder, in welchen die Fufsstapfen Eindrücke wie im Schnee hinterlassen. Papa und Mama Fundberg suchten und fanden eine geschützte Stelle, wo sie das Lager errichteten, die mühsame Kletterei in den Dünen dem jüngeren Theile der Ge sellschaft überlassend. Auch Trautweins blieben bald zurück, Amanda hatte ich meinen Stock zur Stütze geliehen, bei Rückgabe raunte sie mir zu: „Jemand ist Ihnen von Herzen gut, schmieden Sie das Eisen, so lange es warm ist.“ Else und Lieutenant v. Z. forschten eifrig nach Dünendisteln, diesem wundervollen Schmucke der Lister Dünen, den man in den Westerlander Blumenläden in allerlei Gestalten verwendet. Julchen und ich stiegen auf die nächste Spitze, hinter der eine noch höhere lag, auch diese wurde gewonnen. Oben wehte es so stark, dafs grober Sand uns wie Hagelkörner ins Ge sicht flog. Ich schlug den Plaid um die Erhitzte. Sie widersprach: „Es ist unrecht, Sie Ihres Plaids zu be rauben. Warum hab’ ich den meinigen unten gelassen. Sie erkälten sich sicher, Herr Biedermaier.“ Ich be stand auf meinem Willen, aber das gute Kind konnte sich nicht beruhigen, so dafs ich endlich eine Theilung vorschlug: „Setzen wir uns hübsch nebeneinander mit dem Rücken gegen den Wind, und hängen die Decke gemeinschaftlich um.“ Sie erröthete, duldete aber die Ausführung. Schweigend schauten wir in die Ferne, still und einsam war es oben, nur zuweilen zogen einige kreischende Möven hinüber; der grofse, nunmehr versandete Königshafen, wo einst die mörderische Seeschlacht zwischen Dänen, Schweden und Holländern geschlagen, lag vor uns, einige Blankeneser Fischer boote ankerten dort; im Hintergründe erblickten wir die beiden eisernen Leuchtthürme auf der schmalen Landzunge, dem sogenannten Ellenbogen, unter uns die grofsartige Dünenlandschaft und das kleine Dorf List mit seinen wenigen Aeckern und Wiesen, auf denen das Vieh weidete. Julchen mit ihren scharfen Augen erkannte die Insel Röm und das schleswigsche Festland. Leise schlang ich meinen Arm um des Mädchens Hüfte, fühlte seines Herzens Pochen und schaute in die treuherzigen Augen, aus denen ein zärt licher Blick leuchtete. Ich wagte einen leisen Kufs, der Erwiderung fand. Das Eis war ohne viele Worte gebrochen. Wir besiegelten unsern Bund „an jenem stillen Platze durch die herzlichste Umarmung und die treulichste Versicherung, dafs wir uns von Grund aus liebten“, wie Johann Wolfgang Goethe und Friederike Brion in Sesenheim ebenfalls thaten, was den grofsen Dichter nicht hinderte, das arme Kind hinterher sitzen zu lassen. Still war’s oben, sogar sehr still, aber unser Ge- bahren doch nicht unbemerkt geblieben. Mit bewaff netem Auge verfolgte Amanda aus ihrem versteckten Ruhewinkel unsere einsame Naturbewunderung, be friedigt liefs sie das Opernglas sinken, als die Ent wicklung erfolgte, und weckte den eingeschlummerten Gemahl mit lautem Rufe: „Nein, das ist stark, Her mann, sieh mal selbst, wie’s die Beiden dort oben treiben.“ „Was ist los?“ fragte der Erstaunte. Amanda reichte ihm das Glas mit dem Bemerken, es auf die Signal stange des höchsten Hügels zu richten. Herr Trautwein brachte uns in seinen Gesichts kreis: „Wollt Ihr das Schmatzen wohl sein lassen,“ schrie er aufspringend und reckte die Faust drohend nach der Richtung hin, in der Meinung, wir könnten seine Stimme aus einigen Kilometern Entfernung hören. „Keinen unvorsichtigen Lärm,“ beschwichtigte die kluge Gattin, „Biedermaier ist ein guter Mensch, ein Ehrenmann, und hat treffliche Aussichten in seinem Fache, ich weifs das ganz genau, warum soll er Julchen nicht freien dürfen?“ „Er ist ein Habenichts, hast Du selbst gesagt, und meine Schwester besitzt ein hübsches Vermögen, das im Geschäft steckt.“ „Ich war arm wie eine Kirchenmaus, trotzdem nahmst Du mich zur Frau, lieber Hermann, und freust Dich dessen, wie Du mir täglich gestehst. Uebrigens ist Julchen als Waise bald Herrin ihres Vermögens und kann dann schalten und walten, wie sie will. Es ist besser für Dich, wenn sie einen Mann nimmt, der nach aller Voraussicht das Geld stehen läfst.“ Die Gründe leuchteten ein, aufserdem bot Amanda ihre ganz unwiderstehliche Liebenswürdigkeit zur Beschwich tigung des Erregten auf, was ihr auch gelang. Sie hat’s uns später selbst erzählt. Endlich mufsten wir niedersteigen. Else und der Lieutenant kamen uns strahlend entgegen, des Letzteren Strohhut war bis oben mit den prächtigsten Disteln gefüllt; er hatte sich an den Stacheln ein wenig blutig geritzt und Else ihm das Schnupftuch sorglich um wunden. Mit Haideblumen zusammen sollten Sträufse gebunden, an die Verwandten und Bekannten gesandt werden. Bekanntlich lassen sich die Disteln sehr lange erhalten. Als wir Trautweins trafen, nahm mich der künftige Schwager beiseite: „Hört mal, Biedermaier, Ihr seid zwar ein guter Kerl, treibt aber allerhand Geschichten hinter meinem Rücken; dafs Ihr mit meiner Schwester »einig geht«, wie wir Kaufleute sagen, das habe ich bemerkt, auch meine Frau ist Euch hold, sie schickt mich sogar hierher; gegen ein Frauenzimmer ankämpfen ist schwer, gegen zwei schier unmöglich, ich geb’ Euch daher meinen Segen, aber Ihr müfst Julchens Erbtheil in meinem Geschäfte lassen. Wollt Ihr das ?“ „Nicht vor zehn oder fünfzehn Jahren soll’s zurück gezogen werden,“ schrie ich überlaut.