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Gebrauch mache noch auffallender als masvoller An- schlufs. „Was würde die Welt sagen,“ rief Else, „wenn ich als reine Ophelia und Julchen als echtes Gretchen herumliefe; trotz aller Schwärmerei für Hamlet und Faust würde man mit Fingern nach uns deuten. Haben Sie das auch bedacht, sittenstrenger Herr Biedermaier?“ Da Amanda den Mädchen zu Hülfe kam, streckte ich die Waffen. Gelegentlich stiftete das junge Volk, wozu ich mich ohne Rücksicht bedenklicher Nähe des Schwaben alters rechnete, allerlei harmlosen Schabernack an. Papa Fundberg, ein grofser Kenner und Verehrer von guten Roth- und Franzbranntweinen, verabscheute das verfälschte Zeug der Wirthshäuser wie höllisches Gift, führte deshalb auf Reisen stets einen ansehnlichen Vorrath von Cognac mit. „Wein kann ich nicht schleppen,“ behauptete er, „aber Schnaps das geht, der kann unter Umständen aushelfen, kalt mit Selters, warm mit Zucker und heifsem Wasser. Das ist wenigstens nicht ungesund.“ Bei Spaziergängen und Ausflügen vergafs er niemals ein grofses feines Ledergehäuse umzuhängen, ein wahres Kunstwerk eigener Erfindung, mit geschützter, inhaltsreicher Krystallflasche nebst einigen ineinander geschachtelten Gläschen als Pfropfen. Den Nachmittagskaffee nahmen wir regelmäfsig im Fundbergschen Zelte ein, dicht unter der ersten Strand halle, bei welcher Gelegenheit der Cognac und die Cigarren eine wichtige Rolle spielten. Die jungen Damen warfen Brotbrocken in die Höhe, welche von den zahmen Möven in der Luft weggeschnappt wurden. Lieutenant v. Z. und ich holten die auf den Boden gefallenen Stücke stets wieder herbei, machten uns überhaupt nach Kräften liebenswürdig. Der alte Herr trat heraus und sah vergnüglich zu, wanderte dann zu besserer Verdauung langsam auf und nieder. Nach einem Stündchen erklärte er, dafs nunmehr aber ein Schluck ihm gebühre, die Seeluft sei gar feucht und innere Erwärmung nöthig, kehrte zum Zelte zurück und schenkte sich ein Gläslein ein, spuckte aber im nächsten Augenblick Alles mit dem Rufe aus: „Pfui Teufel! was ist das für ein Zeug,“ roch an dem Flaschenhals und liefs den ganzen Inhalt in den Sand rinnen, uns mit dem Finger drohend; „Na, na! Ihr Gelbschnäbel, wenn Ihr das wiederholt, so kriegt Ihr künftig nichts mehr und könnt gewöhnlichen Fusel saufen.“ Else beschwichtigte den Vater und erbot sich, sofort frische Füllung aus der nahen Wohnung zu holen. Pflichtschuldigst begleiteten wir anderen Sünder das gehorsame Kind. * * * „Starker West und Vollmond, das giebt heute hohe Fluth," hiefs es an unserm Tische. Alles wanderte spät an den Strand, um das wirklich grofsartige Schauspiel zu geniefsen. Im Osten stieg der Mond auf, anfänglich verdeckt durch die Dünenkette, aber bald seinen hellen Schein über die glitzernden Wellenkämme ins weite Meer werfend. Woge nach Woge brandete gegen die Küste, das gewöhnliche Fluthgebiet weit überschreitend, bis an den Dünenfuls rollten stellenweise die Sturz wellen. Die Ehepaare traten zuerst den Rückweg an, wir wollten noch eine Weile bleiben. Lieutenant v. Z. führte Else, ich Julchen; auf dem hölzernen Wandelgang schlenderten wir bis zum Herrenbad, unter uns rauschte die Salzfluth. Am Ende des »Trampelweges« über stiegen wir auf der dort befindlichen Treppe die Dünen und wanderten der Absprache gemäfs zum Gasthofe. Plötzlich springt uns ein schwarzes Ungethüm entgegen, die Damen kreischen erschreckt, der tapfere Offizier bekämpft ritterlich mit seinem weifsen Schirm den An greifer, aber gleich ist seine Waffe zertrümmert, und kaum kann er sich der Stöfse des Widders erwehren. Dem unrühmlichen Kampfe zu entweichen, eilten wir schnellfüfsig zur erleuchteten Vorhalle des Gasthofes, uns dort geborgen wähnend. Eben athemlos an gekommen, erzittert die Glasthür unter einem wuchtigen Stofse, fliegt auf, das streitlustige Thier stürzt herein und geradeswegs auf den erstaunt emporspringenden Herrn Fundberg los, der, vergeblich sich mit seinem Stuhle wehrend, im nächsten Augenblick am Boden liegt, mit den Beinen in der Luft zappelnd. Kellner und Diener treiben endlich den Unhold mit Mühe heraus. Hausknecht Johann meinte ganz gelassen: „Das ist Jensens schwarzer Schafbock, ein böses Vieh, hat sich sicherlich vom Pfahle auf der Weide los gerissen.“ „Verklagen will ich den Besitzer, mich bei der Badedirection beschweren, schleunigst mufs das Beest unters Messer,“ zeterte der entrüstete besiegte Kaufherr. „Dann wünschen wir jedoch, dafs keine Hinter keule desselben als Braten auf unserm Tische erscheint, das würde jedenfalls ein schlechtes, zähes Fleischstück sein,“ hiefs es allseitig. „O ! ich habe schon ganz andere Dinge genossen,“ erzählte Herr Fundberg, sich ein Glas Grog aus eigenem Cognac mischend, „in Shanghai bin ich einst der Gast eines reichen chinesischen Geschäftsfreundes gewesen, und hatte mich durch alle möglichen und unmöglichen Gerichte gegessen, als ein lieblich duftender Braten erschien. Der Chinese sprach’nur einige Worte Eng lisch, ich noch weniger Chinesisch, bedenklich beschaute ich das vierbeinige Ding und fragte: »Miau?« »No, no«, antwortete der bezopfte Sohn des himmlischen Reiches, »wau, wau !«“ „Ein alter Meidinger,“ ertönte es von verschiedenen Seiten, „die Geschichte hat kürzlich in allen Blättern gestanden.“ „Aber wahr ist sie, und mir begegnet, ich er zählte sie gelegentlich auf der Börse einem Zeitungs berichterstatter.“ „Gebrauchten Sie die Finger beim Essen des Hundebratens oder eine Gabel?“ erkundigte sich Herr Trautwein neugierig. „Ich hatte Gabel und Messer, der Chinese aber nur seine mit überlangen Nägeln versehenen Finger; das war übrigens früher auch hierzulande Sitte. Im Sylter Frem denführer, den ich in der Tasche nach trage, steht, dafs Pastor Rahn zu Westerland im 17. Jahrhundert seinen Amtsbruder Pastor Kruppius von Keitum als Ver schwender bezeichnete, der sich an Gott versündige, weil er sich beim Essen einer Gabel, statt der Finger bediene. Aber werther Herr, schieben Sie mal gefälligst den Wasserkessel herüber, ich mufs nach dem Schrecken mir ein zweites Glas gönnen.“ Andern Morgens erkundigten wir uns pflicht schuldigst nach Herrn Fundbergs Befinden. „Leidlich genug,“ war die Antwort, „meine Frau führt einen Kasten mit Arzneien bei sich und hat mich tüchtig eingerieben, so dafs ich einigermafsen schlafen konnte.“ „Mit fünf Gläsern Grog hat er sich innerlich ge salbt,“ berichtigte diese, „hinterher schnarchte er, dafs ich und Else im Nebenzimmer nicht einschlummern konnten. Alles Pochen an die verschlossene Verbindungsthür half nicht.“ Auch dem tapferen Krieger blieb der Spott über seine Niederlage nicht erspart. Sahen wir gelegentlich Schafe auf der Weide, dann wurde feierlich aus Schillers »Alpenjäger« declamirt: „Willst du nicht das Lämmlein hüten? Lämmlein ist so fromm und sanft, Nährt sich von des Grases Blüthen, Spielend an des Baches Ranft.« „Edler Stiefkamerad,“ schrie alsdann der Gefoppte, „verschonen Sie mich mit Ihren Quartanererinnerungen. Sie gaben übrigens schmählich Fersengeld und liefsen mich feige im Stich.“ „Zwei gegen Einen ist unrühmlich, im ehrlichen Zweikampf darf Niemand eingreifen, das ist alte Ehren-