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November 1888. STAHL UND EISEN.“ Nr. 11. 801 Offizier, Mitkämpfer von 1870/71 und Inhaber des Eisernen Kreuzes entdeckte, beehrte mich auch von da ab mit obigem Schmeichelnamen, weil stehendes Heer und Landwehr Stiefgeschwister seien. Ich liefs mir den harmlosen Scherz gern gefallen, im Grunde war der kecke Reitersmann eine kreuzbrave Haut. .Haben Sie bemerkt, Zeppernitz, wie Mama das Töchterlein heute wieder aufgeputzt hat? Sie will noch jung neben Else erscheinen, giebt darum deren Kleiderschnitt einen backfischartigen Anstrich, thut auch, als ob diese den Kinderschuhen noch nicht entwachsen wäre. Ich wette, wenn es anginge, würde die Alte die Junge lange Hosen und kurze Kleider tragen lassen.“ Am Strande fanden wir die Familie Fundberg in ihrem Zelte. Mama hatte einen Spaten und ein Sprungseil für Else erstanden; den ersteren liefs das Mädchen sich gefallen, weniger jedoch das letztere. Ich bemerkte dies, bat um das Seil und lief, es mit früherer Fertigkeit um mich schwingend, den Strand entlang, kehrte zurück, gab dem Lieutenant ein Ende in die Hand, das andere der Mama, und lud Fräulein Else zum gemeinschaft lichen Springen ein. Zierlich erledigten wir die Aufgabe, auch der Lieutenant mufste hüpfen, und zuletzt, zur allergröfsten Erheiterung Herrn Fundbergs, dessen be leibte Gattin. .Sie haben der Alten nicht übel Schach geboten,“ lobte der Offizier mich später, .Else wird’s Ihnen danken. Donnerwetter! wenn aber einer der Kameraden vom Regiment mich bei dieser kindlichen Uebung gesehen hätte, das gäbe schöne Neckereien.“ Langsam schlenderte die Gesellschaft am Strande, den die Ebbe in grofser Breite freiliefs. .Sieh da! dort kommt die Zierde unseres Tisches, dem Manne wollen wir ein Vergnügen bereiten. Gehor samster Diener, Herr Geheimrath, ’s Bad heute Morgen gut bekommen?“ .Vortrefflich,“ antwortete der hohe Würdenträger herablassend; .Ihnen auch, Herr Director?“ .Aufrichtig gesagt, so ganz behagt mir das See wasser nicht, es hat etwas Beizendes, ich ziehe eigent lich Süfswasser vor, für meinen Geschmack könnte die grofse Brühe etwas weniger gesalzen sein.“ .Wissen Sie auch, mein Lieber, warum sie’s in so hohem Mafse ist ? Sie schütteln verneinend mit dem Kopfe. Weil die vielen Heringe drin herumschwimmen.“ „Ha, ha,“ lachten wir aus vollem Halse. Der ge schmeichelte Witzbold wanderte höchlich befriedigt von dannen und schrieb den Heiterkeitserfolg auf Rechnung seines Spafses, während derselbe der Leichtigkeit galt, womit der Schäker jedesmal auf den Leim ging, wenn ihm die geringste Gelegenheit geboten wurde, einen seiner wenigen Kalauer anzubringen. Ein Herr nebst zwei Damen kommen uns entgegen, ich fühle einen elektrischen Schlag durch den Körper, wahrhaftig Amanda, meine einstige Angebetete, ist dabei. Freundlich grüfst sie und stellt mich ihrem Mann und ihrer Schwägerin vor, ich thue dasselbe mit meiner Gesellschaft. Trautweins waren erst angekom men, im selben Hause wie Fundbergs abgestiegen und wollten mit uns demnächst auch zusammen speisen. Man verabredete für den Abend gemeinschaftlichen Besuch des einmal in der Woche stattfindenden Tanz vergnügens im Kurhause. Ich schwebte mit Amanda durch den Saal, waren wir doch einst das beste Tänzerpaar auf unseren Casino bällen und Kränzchen gewesen. .Carl, sind Sie mir noch böse?“ flüsterte Amanda, „es wäre Thorheit von beiden Seiten gewesen, ich bin keine geeignete Frau für Sie, lassen Sie uns Freunde bleiben; noch eine Bitte habe ich, nehmen Sie sich meiner Schwägerin an. Julchen ist ein gutes, liebes Kind, noch etwas schüchtern.“ Ich that wie geheifsen. Die junge Dame lobte meine Geschicklichkeit und meinte, mit mir zu tanzen, sei ein wahres Vergnügen. Die beiden Mädchen brauchten nicht zu »schimmelns, dafür sorgten der Lieutenant und ich. Julchen und Else schlossen rasch innige Freund schaft und duzten einander gleich nach dem ersten Tage. Amanda galt als gemeinsame Vertraute und Rathgeberin. In ihrer selbstbewufsten Weise griff sie überall ein, wo es ihr zweckmäfsig dünkte, beseitigte beispielsweise mit Hülfe der Freundinnen und feiner Näherin den auffallenden Schnitt von Elses Kleidern, ohne dafs Frau Fundberg Widerspruch wagte. Ich erstaunte selbst über die Theilnahme, welche die beiden Mädchen mir, dem eingefleischten Junggesellen, durch ihre frische Natürlichkeit und den Mangel jeglicher Ziererei einflöfsten. Elses schnippische Keckheit und Julchens bedächtige Sinnigkeit bildeten einen reizenden Gegensatz. Unwillkürlich belauschte ich einst ein Zwiegespräch. Sie hatten sich mit unserer Hülfe vor dem Zelte eine festungsartige Grube in den Sand ge schaufelt und nach gewohnter Weise mit Fähnchen geschmückt. Dort hausten sie wie ein unzertrennliches Papageienpärlein und vertrauten einander ihre Mädchen geheimnisse an. Ich safs in meinem Strandkorbe in un mittelbarer Nähe. .Hast Du heute im Bade die fette Bierbrauersfrau gesehen, die in unserm Hause wohnt?“ fragte Else; .wie Mifs Baba, die grofse Elephantin des zoologischen Gartens, stampfte sie im Wasser herum. Ihre Strumpfbänder könnten uns als Gürtel dienen.“ .Dir wohl mit Deiner Wespentaille, aber mir Dicksack nicht“, warf Julchen ein. .Und wie ängstlich mied sie das Wasser,“ fuhr Else fort, .nicht bis über die Kniee wagte sie sich hinein. Ueberhaupt nehmen die meisten Damen nur Fufsbäder.“ .Du hast gut sprechen, Else, schwimmst wie ein Fisch, je höher die Wellen Dir über den Rücken stürzen, desto besser; mich haben sie gestern wie einen Kiesel hin- und hergerollt, an einzelnen Stellen bin ich förmlich geschunden.“ .Das kennst Du nicht, Julchen, man mufs sich nicht gegen die Wellen stemmen, sondern von ihnen mit losgelassenen Füfsen wiegen lassen. Versuche das morgen einmal.“ .Dazu fehlt mir Muth und Geschicklichkeit. Alle Damen bewundern Deine Kühnheit und obendrein auch, wie allerliebst Dir das Badegewand steht.“ .Letzteres sagt Julchen nur, damit ich das Com- pliment erwidere; Dein hübscher Nacken, Deine runden Arme und drallen Wädlein, die wie gedrechselt sind, werden nicht minder bewundert, und stellen mich schwächliche Puppe ganz in Schatten.“ „Wir sind beide nicht häfslich, sofern Spiegel und Menschen nicht trügen. Noch heute bezeichnete der für weibliche Schwächen wenig empfängliche Herr Biedermaier uns als ein Paar anmuthiger Evastöchter, tadelte aber lebhaft die modische Haartracht, die sei häfslich und unbequem. So ganz unrecht hat er nicht. Was meinst Du, Else, sollen wir’s mal mit einer ein facheren, natürlicheren versuchen? Auch Lieutenant von Zeppernitz war gleicher Meinung.“ „Aber welche Frisur wollen wir wählen, Julchen, freiwallende Mähne oder Zopf, Struwwelpeter oder Backfisch? That ’s the question. Ich bin für den Struwwelpeter, das ist das Einfachste, werde aber im Nacken ein Band ums Haar schlingen, damit der Wind mich nicht zu stark zerzaust.“ „Und ich bin für den Zopf,“ entschied Fräulein Trautwein, „will ihn breit flechten und halb aufstecken.“ Andern Tags erschien die blonde Else mit frei wallendem Haar, das braune Julchen mit Zopf, beide Damen wurden allseits reizend befunden und änderten deshalb während der Badezeit nichts mehr daran. Ver gebens war jedoch der Ansturm gegen sonstige Mode narrheiten, trotz meiner leisen Andeutungen über den wenig anständigen Ursprung der Pariser Muster. Die Mädchen behaupteten, Abweichen vom allgemeinen