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geschlagene Einführung der Zwangsinnung vor bringt, sei ungemein überraschend. Sie stelle fest, dafs die Gesetzgebung der achtziger Jahre, welche die Innungen mit sehr weitgehenden Rechten auf dem Gebiete des Lehrlingswesens und der Beitrags erhebung auch mit Bezug auf die der Innung nicht angehörigen Handwerker ausgestattet habe, ver geblich gewesen sei. Statt nun aus dieser That- Sache zu folgern, dafs in den Kreisen der Hand werker eine starke Abneigung gegen das Innungs wesen überhaupt besteht und es bedenklich er scheinen mufs, angesichts dieser Abneigung zu einer zwangsweisen Zusammenfassung des Hand werks in Innungen zu schreiten, hat die Regierung dem Drängen des einen Zehntels nachgegeben und will nunmehr die neun Zehntel aller Handwerker, die den mit dem Innungswesen verbundenen Be lästigungen und Kosten abgeneigt sind, in die Innungen hineinzwingen. Dafs dadurch die Innungen nicht leistungsfähiger und die Stimmung für die ganze Innungsbewegung in den Kreisen des Handwerks nicht günstiger werden kann, liegt auf der Hand. Nachdem Redner noch kurz die Schwierigkeiten gestreift hat, welche der allgemeinen Durchführung der Zwangsinnung mit Rücksicht auf die verhält- nifsmäfsig geringe Zahl von Handwerkern eines Gewerbes in gewissen Landstrichen entgegenstehen, geht er zu der Frage über, was die Fabrikindustrie, soweit sie im Centralverband deutscher Industrieller vertreten ist, überhaupt für ein Interesse hat, sich mit der Frage der Organisation des Handwerks zu beschäftigen. Ganz abgesehen von den vielen directen Beziehungen zwischen Fabrikindustrie einerseits und Handwerk andererseits würde schon das Interesse an der allgemeinen wirthschaftlichen Entwicklung genügende Veranlassung für die Grols- industrie sein, die Vorgänge mit Aufmerksamkeit zu verfolgen; denn der Uebergang von bisher handwerksmäfsig betriebenen Gewerben zu Fabrik- und Grofsbetrieben ist ein fortlaufender Vorgang in unserm Wirthschaftsleben und bedeutet einen Fortschritt unserer wirthschaftlichen Verhältnisse im Interesse der Gesammtheit. Wer dies leugnen wollte, müfste das Entstehen und die Entwicklung der Fabrik- und Grofsbetriebe überhaupt beklagen Abgesehen aber von diesen allgemeinen Gesichts punkten, greifen gewisse Bestimmungen des Gesetz entwurfs direct in die Interessen der Fabrik- und Grofsbetriebe ein. Zunächst die Bestimmung des § 82b, dafs diejenigen, welche ein Gewerbe fabrik- mäfsig betreiben, nicht zum Eintritt in die Innungen verpflichtet sein sollen. Der früher mehrfach ge machte Versuch, zwischen Handwerk und Fabrik eine Grenzlinie zu ziehen, ist nicht wiederholt. Die Regierung befürchtet hieraus keine Schwierig keiten, obwohl in der Zahl der Gewerbe, welche in Zwangsinnungen zusammengefafst werden sollen, eine Anzahl sind, die auch fabrikmäfsig oder so gar nur noch in geringem Umfange handwerks mäfsig betrieben werden. Allein es ist doch ein grofser Unterschied, ob ein zweifelhafter Fall zwecks Eintragung in eine statistische Tabelle von den Beamten am grünen Tisch ohne Widerspruch ent schieden wird, oder ob es sich um Zutheilung des Betriebes zu einer Organisation handelt, bei der ernste persönliche und finanzielle Interessen nach beiden Seiten in Frage kommen, wo also meist Gegensätze vorhanden sein werden. Einen An- lafs zu Conflicten giebt schon die Deckung der er heblichen Geldbeträge, welche von den Innungen verwendet werden müssen, wenn sie thatsächlich etwas leisten sollen. Die Beträge sind von den Innungsmitgliedern aufzubringen und zwar als Zuschläge zur Gewerbesteuer, jedoch unter Be rücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Betriebe. Da die fabrikmäfsig betriebenen Gewerbe im Durch schnitt leistungsfähiger sein werden als die Hand werksbetriebe, so dürfte es das Bestreben der Innungen sein, so viel solcher Betriebe als nur irgend möglich zur Mitgliedschaft heranzuziehen. Dafs hierauf die Absichten der Zünftler gerichtet sind, beweisen die Beschlüsse der Berliner Hand- werkerconferenz vom 8. bis 10. September d. J. Von anderen zünftlerischen Vereinigungen ist so gar gefordert, dafs die Entscheidung über die Zu gehörigkeit allein der Handwerkerkammer zustehen soll. Bezüglich der Kosten ist von der Handwerker- conferenz die Heranziehung der Grofsindustriellen zu den Wohlfahrtseinrichtungen der Innungen be schlossen. Diese Beispiele zeigen, dafs die Frage, ob Handwerks- oder Fabrikbetrieb, schwere Belästi gungen der fabrikmäfsigen Betriebe in sich birgt. Als hauptsächlichster Grund und Zweck der Organisation wird die bessere Gestaltung des Lehrlingswesens bezeichnet. Nach § 126 des Entwurfs sollen alle Personen unter 17 Jahren, die mit technischen Hülfsleistungen beschäftigt werden, als Lehrlinge gelten, sofern die Beschäfti gung nicht lediglich ausnahmsweise oder vorüber gehend stattfindet. Hiermit wird in den meisten Fällen im Fabrikbetriebe die Klasse der jugend lichen Arbeiter zwischen 11 und 16 Jahren aus scheiden; sie werden, soweit sie überhaupt noch beschäftigt werden, Lehrlinge, und der Arbeitgeber wird allen Bestimmungen über das Lehrlingswesen unterstellt. Was dies für die Grofsindustrie, aber auch für die Arbeiterfamilien zu bedeuten hat, wurde vom Redner im einzelnen ausgeführt, wobei er hervorhob, dafs, insoweit Fabrikbetriebe wirklich Lehrlinge annehmen, gegen die Bestim mungen des Entwurfs, abgesehen von der Bestim mung in § 128, wonach über die Zahl der Lehr linge in einem Gewerbebetrieb obrigkeitliche Be stimmungen getroffen werden dürfen, im allge meinen nichts einzuwenden sei. Im übrigen erkannte Redner das Streben der Regierung, im Lehrlingswesen bessernd einzugreifen, auch vom Standpunkte der Grofsindustrie, zu der zwei Drittel der Gesellen übergingen, als erfreulich an; er