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Beilage M Wrlßerttz-IMnz. Nr. 128. Donnerstag, den 3. November 1910 76. Jahrgang. > W ' SMSS-S«« -. ' .LW-MWAWSi — Zur Frage -er Einigungs- und SammlungS-olitik. Gegenüber der sozialistischen Hochflut besteht im Deutschen Reiche die größte Gefahr in der Zersplitterung der nationalen Parteien, und wenn gegenüber dieser wachsenden Gefahr nicht bald die Bahnen für eine Eini gung»- und Sammlungspolitik gefunden werden, so können die nächsten Reichstagswahlen zu einem schlimmen Zu stande für den Reichstag und die Regierungsaufgaden führen. Es gibt aber doch eine Anzahl wichtiger Ursachen und Erwägungen, welche die bürgerlichen Parteien zu einer gewissen Einigung nötigen müssen. Zwar darf keiner Partei das Recht genommen werden, in jedem Wahlkreise ihre Kräfte zu messen und für ihr Ideal die Mehrheit der Wähler zu gewinnen zu suchen, aber die trostlose Unfruchtbarkeit der sozialistischen Lehre, dann noch mehr die Gefahr eines drohenden Umsturzes müssen doch alle national gesinnten Parteien einmütig im Kampfe gegen die Sozialdemokratie vereinigen, und diese Richt schnur muß in letzter Linie bei den Wahlkämpfen immer den Ausschlag geben. Daß von diesem Gesichtspunkte aus große Erfolge möglich sind, beweist in kleinem Maßstabe der Ausgang der Landtagswahl im 5. Leipziger Wahl kreise. In diesem hat die Sozialdemokratie einen sehr großen Anhang, und die große in den Zeltverhältnissen liegende Unzufriedenheit, die sich leider auch vielen bürg.r- lichen Kreisen bemächtigt hat, ließ die Befürchtung groß werden, daß in diesem Wahlkreise die Sozialdemokratie vielleicht schon im ersten Wahlgange siegen werde. Zur Freude aller national gesinnten Leipziger Bürger war aber doch das Wahlergebnis ein ganz anderes. Schon im ersten Wahlgange erhielt der nationalliberale Kandidat vr. Zöphel beinahe die absolute Stimmenmehrheit und 3000 Stimmen mehr wie der sozialistische Gegenkandidat. Und in der Stichwahl, wo die Konservativen und Reform partei ebenfalls für den nationalliberalen Kandidaten stimmten, wurde Or. Zöphel mit glänzender Mehrheit ge- wählt. Der Ausgang dieser Wahl in einem von der Sozialdemokratie stark bedrohten Wahlkreise kann als ein Symptom und ein Fingerzeig für die Kraft angesehen werden, die doch noch in den Kreisen der national ge sinnten Parteien Deutschlands vorhanden ilt, wenn sie es nur verstehen, von derselben zur richtigen Stunde den ge hörigen Gebrauch zu machen Für die Sammlungs- und Einigungspolitik für das Deutsche Reich ist es auch erfreu lich, daß sich in den leitenden konservativen Kreisen die Stimmen mehren, die einen Wiederzusammenschluß der nationalen Parteien wünschen. So hat auf dem konser vativen Parteitage für die Rheinprooinz der Führer Frei herr von Richthofen offen erklärt, daß die konservative Partei mit den Nationalliberalen viele Berührungspunkte habe, und daß nichts dagegen cinzuwenden sei, wenn sich die Konservativen und Nationalliberalen zu einem Block königstreuer Männer zusammenschlössen. Solche erfreuliche Kundgebungen sind ja allerdings noch lange nicht dazu angetan, einen Zusammenschluß der nationalen Parteien und eine gemeinsame Bekämpfung der radikalen Elemente herbeizuführen. Sicher wird aber in kürzerer oder längerer Zeit die Erkenntnis der Notwendigkeit dieses Zusammen schlusses geradezu ein Programmpunkt in der Politik der bürgerlichen Parteien werden, denn die Gefahr, daß die Sozialdemokratie über hundert Sitze im Reichstage ge winnen und dadurch eine nationale Reichspolitik verhindern kann, ist zu groß, und das ganze deutsche Volk in seinen besten Vertretern und in allen der Reichsverfassung in Liebe und Treue zugetanen Bürgern müßten sich geradezu vor dem Kaiser und dem Reiche, den Bundessürüen und allen Volksvertretungen schämen, wenn es der Sozial demokratie gelingen sollte, den Reichswagen zum Stocken zu bringen. Sollte diese Erkenntnis nicht schon vor den nächsten Reichslagswahlen ihre Früchte bringen, und den gewünschten Zusammenschluß der nationalen Parteien herbeisühren, so wird diese Sammlungspolitik sicher sofort mit kräftigen Akkorden einsetzen, wenn man sieht, was für ein Unheil dem Deutschen Reiche droht, wenn etwa hundertunddreißig Sozialdemokraten in den neuen Reichs tag gewählt werden. Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde. Wie bereits vor einigen Wochen berichtet, beging am I. Oktober die hiesige Strohhutfabrik H. H. Reichel den Tag ihres 75 jährigen Bestehens. Diesen Gedenktag zu begehen, versammelten sich am Reformationsseste in den festlich geschmückten Räumen der „Reichskrone" das gesamte Personal der Firma, sowie Vertreter der kaiserlichen, königlichen und städtischen Be hörden um die Familien der derzeitigen Inhaber. Ein- geleitet wurde die Feier durch einen Prolog, In dem der gute Genius der Firma, dargestellt von Fräulein Hessel, die herzlichste»r Wünsche für das fernere Bestehen aus sprach. Herr Stadtrat Reichel begrüßte sodann alle Er schienenen und gipfelte seine Worte in einem Hoch auf Se. Majestät den König, in welches die Anwesenden be geistert einstimmten. Ein Huldigungstelegramm an den selben fand allseitige freudige Zustimmung. Herr Rudolph Reichel machte darauf die Mitteilung, daß die Chefs der Firma dem Unterstützungsfonds einen weiteren Beitrag von 2000 Mark überwiesen hätten, so daß die nunmehr zur Verfügung stehenden Mittel sich auf jährlich 200 Mark belaufen. Herr Bürgerm-ister vr. Weißbach ergriff dann das Wort und übergab unter dem Ausdruck des Dankes und der Anerkennung das tragbare Ehrenzeichen „für Treue in der Arbeit" an Herrn Strohhutpacker Eduard Köhler, Strohhutnäherinnen Frau Emilie Therese Schneider, Frau Anna Beer und Hausnäherin Frau Marie verw. Köhler, für welche Auszeichnung der erstere in aller Namen seinen Dank aussprach. Das Mitglied der Dresdner Handelskammer, Herr Kommerzienrat Lange-Glashütte, überbrachte die Glückwünsche der Kammer und übergab das Anerkennungsdiplom derselben an folgende I I An- gestellte der Firma H. H Reichel: Packer Eduard Köhler, Werksührer Bruno Göhler, Presser Oswald Heyne, und die Strohhutnäherinnen Adelheid Kästner, Juliane Goltzsche, Ernestine Hegewald, Anna Beer, Emilie Schneider, Ernestine Voigt, Marie Kohl und Lina Freier. — Die Angestellten und Arbeiter der Firma ließen es sich nicht nehmen, auch an ihrem Teile des Festtages zu gedenken, und überreichten die Beamten eine prächtige, in Holz geschnitzte Gedenktafel, die Näherinnen, die Garniererinnen und die Lehrlinge herrliche Blumenspenden und die Arbeiter ein mächtiges Bild mit ihren um die der Herren Chefs gruppierten Photographien. Im Namen aller Gäste sprach Herr Amtshauptmann vr. Sala den besten Dank für die freund liche Einladung aus und knüpfte daran die herzlichsten Wünsche sür das weitere Gedeihen. Herr Schuldirektor Ebert war, wie er sagte, in den Keller des Stammhauses am Markte gekrochen und hatte da im Grundsteine eine vergilbte und durch Brand beschädigte Urkunde gesunden, die er in humoristischer Weise erklärte. Ein Tafellied, in dem der langjährigen Angestellten gedacht wurde, reihte sich an und nun folgte eine lange Reihe humorvoller Darbietungen, in Gestalt von Theaterstücken, Couplets usw. — Möge die Firma, der auch wir die herzlichsten Glück wünsche darbringen, und die an ihrem Teile redlich be strebt war, den Namen unserer Siadt in den fernsten Gegenden bekannt zu machen und die einen ungemein günstigen Einfluß auf das Erwerbsleben derselben ausübt, auch in Zukunft wachsen, blühen und gedeihen! — Die Urwahlen für die Gewerbekammer zu Dresden finden am nächsten Freitag, 4. November, statt. Indem wir auf die Bekanntmachung der Kgl. Amtshauptmann- schaft in Nr. 125 unseres Blattes Hinweisen, fordern wir zu recht zahlreicher Teilnahme an der Wahl auf. — Auch in unserer Stadt macht sich eine gewisse „Vereinsmüdigkeit" bemerkbar, die Veranstaltungen, insbe sondere die Versammlungen, haben nicht den erwarteten Besuch. All das dürfte nicht zuletzt als Folge der „Vereinsmeierei" anzuspr-chen sein. Wir haben der Vereine zu viele. Besonders bedauerlich ist aber, wenn auch Vereine wie der Stenographcnverein „Gabels- berger" in Mitleidenschaft gezogen werden, wie am Sonnabend die Generalversammlung zeigte. Unter diesen Umständen ist es doppelt dankbar zu begrüßen, daß immer wieder Männer sich bereit finden lassen, die undankbaren Aemter als Vorslandsmjlglieder (an der Spitze Herr Stadt- wachtmeister Burkhardt als Vorsitzender) und als Kursus- leiter zu übernehmen. Allen jungen Leuten aber, für deren Fortkommen die Stenographie Wert hat, sei dringend ans Herz gelegt: Sorgt dafür, daß die Klagen der Kursus- leiler über unregelmäßigen und schlechten Besuch ver stummen. Ls ist Euer eigner Vorteil! — Mit der vergangenen Woche ist in unserer Stadt eine Einrichtung in Wirksamkeit getreten, deren Beratung lange Zeil die städtischen Kollegien beschäftigte: Die zwangsweise Einführung des Turnens für am Orte wohnende Fortbildungs- und Handelsschüler. (Ein großer Teil, etwa die Hälfte, der Schüler beteiligte sich auch bisher am Zöglingsturnen der Vereine, aber der Prozentsatz sank mit dem Alter der Schüler, sodaß die Oberklasse nur schwach vertreten war.) Der Unterricht ist aus praktischen Erwägungen Turnvereinen übertragen worden. Diese Einrichtung besteht übrigens bereits in verschiedenen sächsischen Gemeinden. Wie jede Neuerung, so findet auch diese nicht ungeteilte Anerkennung. Aber warum? Geturnt wird abends; das Opfer an Zeit ist also gewiß nicht bedeutend! Und in wessen Interesse liegt denn das Turnen? Doch in dem der Turnenden! Der günstige Einfluß geregelter Leibesübung auf den Körper ist unbestritten und doppelt groß im Alter des Wachsens. Tausenden und Abertausenden hat das Turnen die Militärzeit erleichtert. Ordnungssinn, Disziplin, das Unterordnen unter ein Ganzes werden den Turnern an erzogen. Wo sich die Leitung in den richtigen Händen befindet, kann und wird darunter niemals (welchcr Vor wurf dann und wann erhoben wird) als Ziel der deutschen Turnsache verstanden werden können die Heranzüchtung eines Geschlechts, dessen Mund, aber auch nur der Mund, bei jeder sich bietenden, vielleicht sogar an den Haaren herbeigezogenen Gelegenheit zum Hurrarufen sich öffnet. Nein! Männer sollen herangezogen werden, deren im Herzen sitzende Vaterlanvrliebe sich mit einem gesunden Sinn paart, deren deutscher Sinn in Wort und Tat hervortritt da, wo es die Notwendigkeit erheisch», und ohne Rücksicht auf Personen, wer es auch sei. Solche Männer wurden immer gebraucht, leider nur zu oft ver kannt. Solche Männer verlangt in erhöhtem Maße die Zukunft. In diesem Sinne, Gutes bringend dem Einzelnen, Gutes erstrebend für das große Ganze, ist die zwangs weise Einführung des Turnens für Fortbildungs- und Handelsschüler aufzufassen. — Sonntag, den 6. November, und am darauffolgen den Montage finden in Dippoldiswalde und Umgebung die Kirchweihfeste statt. Die Staatseisenbahnverwaltung wird aus diesem Anlässe auf der Schmalspurbahnlinle Hainsberg—Kipsdorf folgend« Sonderzüge in Berkehr setzen: am 6. November ab Hainsberg 4,22 nachmittag«, in Dippoldiswalde 5,14 nachm. (Anlchlußzug ab Dresden Hbf. 3,48 nachmittags); ab Dippoldiswalde 6,12 abends in Hainsberg 7,00 abends; ab Hainsberg 9,35 abend«, ab Dippoldiswalde 10,25 abends, in Kipsdorf l 1,06 abends; ab Dippoldiswalde 10,06 abends, in Hainsberg 10,56 abends. Am 7. November ab Dippoldiswalde 6,12 und 10,06 abends nach Hainsberg. — In der Nacht zum Sonntag kam es in Malter zu einer Schlägerei, wobei ein Arbeiter, ein Ruthene, in den Rücken gestochen wurde, sodaß er ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Schmiedeberg. Bei der hiesigen Sparkasse wurden im Monat Oktober d. I. 149 Einzahlungen im Betrage von 9044 M. 11 Pf. geleistet, dagegen erfolgten 57 Rück zahlungen im Betrage von 7241 M. 70 Pi. Dresden. Prinz und Prinzessin Johann Georg und Prinzessin Mathilde sind am 25. Oktober in Jeru salem eingetrosfen. Am 8. November erfolgt die Weiter reise, am 13. November die Ankunft in Tiberia, am 15. November die Weiterreise nach Damaskus. — Der Rittmeister a. D. Rudolph v. Seydewitz, der älteste im Ruhestand lebende Offizier der sächsischen Armee, . feierte am Sonnabend seinen 90. Geburtstag. Er diente von 1841 bis 1850 bei dem damaligen ersten leichten Reiterregiment in Marienberg und Freiberg. Später be wirtschaftete er das Rittergut Braunsdorf bei Tharandt. Einige Jahre hindurch war er auch Mitglied der Zweiten Kammer, v. Seydewitz, der zurzeit bei einem Schwieger- sohne in Bayreuth lebt, ist der Onkel des früheren Kultus ministers v. Seydewitz und des zukünftigen Finanzministerr v. Seydewitz. — Saatenstand im Königreich Sachsen Mitte Oktober 1910. Die andauernden Niederschläge, die auch während der ersten Hälfte der Berichtszeit vielfach zu ver zeichnen waren, haben die Getreide- und Grummeternte in den höher gelegenen Landesteilen erheblich verzögert. Dank des darauffolgenden Umschwunges der Witterung ist sie jedoch überall beendet. Auch Kartoffeln und Rüben sind zum größten Teil geborgen. Der Ausfall der Kar toffelernte wird außerordentlich verschieden beurteilt. Alle Variationen zwischen „sehr gut" und „unbefriedigend" finden sich in den Berichten. Im allgemeinen geht aber aus ihnen hervor, daß sich die Kartoffeln hauptsächlich auf den schwereren Bodenarten schlecht, dagegen aus den mittleren und leichten gut entwickelt haben. Ziemlich häufig klagt man über einen hohen Prozentsatz kranker Knollen, der vereinzelt bis zu 50»/o betragen soll. Der Stand der einzelnen Früchte wird im Durchschnitt des ganzen Landes wie folgt beurteilt: September 1910: Kartoffeln 2,6; Oktober 1910: Winterweizen 2, Winter roggen 2,1, Kartoffeln 2; Oktober 1909: Winterweizen 1,8, Winterroggen 1,8, Kartoffeln 2,2. Die Ernteaus- sichten der Kartoffeln werden hiernach ungünstiger als im Vormonat bezeichnet. Der Stand der Wintersaaten ist besser als der im Jahre vorher. An Schädlingen treten in zahlreichen Fällen die Ackerschnecken auf. Auch Mäuse richten vielfach großen Schaden an. — Für eine erledigte Nachtschutzmannstell« in Augustusburg haben sich 104 Bewerber gemeldet. — Kurzschluß durch Gänse. Aus merkwürdige Art und Weise entstand am Donnerstag in dem Leitungsnetze des Annaberger Elektrizitätswerkes Kurzschluß. Ein Wenzelssohn trieb eine Herde Gänse die Fleischergasse hinunter nach dem Schlachthof zu. Dort beseelte die Martinsvögel ein unwiderstehlicher Freiheitsdrang. Sie flogen zum Teil in die elektrische Leitung hinein und ver ursachten dadurch Kurzschluß. Da durch den Flug der Kapitolsbefreier und durch seine Folgen auch die Siche rungen im A.-E.-W. geschmolzen waren, mußte der Gänse- oater wohl oder Übel in die Tasche greifen und den Schaden berappen. Merkwürdigerweise ist den Gänsen selbst nichts passiert. Niederlößnitz. Die diesjährige Weinlese in den Niederlößnitzer Weinbergen war vom schönsten Wetter be günstigt. Wenn auch das Quantum der Ernte infolge der feuchten Witterung in der ersten Hälfte des Monats Sep tember etwas zurackgegangen war, so kann es im allge meinen immer noch als befriedigend bezeichnet werden, und die Qualität ist sogar eine sehr gute zu nennen. Die angestellten Untersuchungen des Mostes haben in den besseren Lagen ein Mostgewicht von 100 Grad Oechsle und darüber ergeben. Pulsnitz. Die Selbstbezichtigung des Hauswalder Einwohners, seine Mutter vor 12 Jahren ermordet zu haben, stellt sich als völlig haltlos heraus. Die Ermitte-