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«inbiegt? Freilich, der Doktor steigt heraus. Sein Max, der bei dem Wagengeratter die Ohren gespitzt, dreht den Kopf, wirft mir einem lauten Hurra die Mütze fort, auf die sich ihr Eigentümer wie ein Stoß vogel stürzt, und fliegt dem Vater in die Arine. Der droht zwar dem Schelm, aber Frau Börners geistige Ohren vernehmen deutlich, wie dieser lachend schmeichelt: „Ach, Vater, was ist dabei! Die Straße ist ja trocken, ich hab' meine schon zehnmal vom Pflaster aufsammeln müssen. Das ist doch bloß ein Ulk." Darauf legt der Doktor den Arm um seines milden Jungen Schultern, und beide besteigen in völliger Ein tracht den haltenden Wagen. Doch nun entglitt der Frau ein schwerer Seufzer, ihre heiteren Augen verdunkelten sich. Sie zog das Taschentuch hervor, barg darin ihr plötzlich tränenüberströmtes Gesicht, und derart sich irgendwelchem Kummer überlassend, überhörte sie den Eintritt ihres Mannes. Leise hinter sie tretend, stand er still wartend, daß sie sich von selber beruhige, denn er erriet den Anlaß , ihrer wehmütigen Rührung, wußte aber auch, Frau Auguste war im Grunde keine sentimentale Natur. Es gab bei ihr wohl hier und da mal solch einen elemen taren Ausbruch weiblicher Weichheit, aber es war eigentlich bloß ein Kokettieren mit dem Leid, das sie im Ernst nur vom Hörensagen kannte. Denü bis auf Liesen einen Mangel lebte sie ja gottlob in des Lebens Fülle, und nach solch einem gelegentlichen kleinen Regenschauer war denn auch bald wieder eitel Sonne bei ihr. Als sie jetzt das Tuch fortsteckte, sagte er, ihr zu lächelnd: „Na ja, Gustchen, schön wär's ja, wenn wir 'n paar da drunter hätten." Sie nickte heftig. „Fritz, hast du den Max ge sehen? Wenn ich mir denke, unsere wären solches Jungen Kameraden, — in was für Kreise käme man nicht durch die Kinder. Der Doktor ist ja so weit ein netter Mensch, aber doch immer, sozusagen, zehn Schritt vom Leibe. Und so geht's mit manchen anderen ähnlich. Das Geld allein tut's auch nicht." Sie seufzte wieder. „Na, weißt du, Guste, das ist mir nu schnuppe. Solche Ambitionen habe ich gar nicht. Schuster, bleib' bei deinem Leisten, ist noch immer 'ne goldene Lebens- regel, und im übrigen bin ich mir selber genug." Sie zuckte die Schultern. „Wie du sprichst. Bei unseren Mitteln könnten wir 'ne ganz andere Stellung behaupten. Das machte sich auf die natür lichste Weise, wenn eben Kinder da wären, die höhere Schulen besuchten und feine Freundschaften schlössen. Da könnten wir nun gut 'nem halben Dutzend die beste Erziehung geben und haben nicht eins. Doch was hilft alles Wünschen und Klagen. Das Leben ist nu mal unvollkommen. Wir müffen uns schon drin finden, lachende Erben zu hinterlassen. Was sind denn ferne Verwandte, an die nun dein schwer verdientes, schönes Geld gehen wird, anderes?" „Kein angenehmer Gedanke, Gustchen. Aber es wird wohl so kommen." Der Mann, ein knapper Fünfziger, in dessen arbeits harte Züge der wachsende Erfolg seiner Mühen eine schlichte, ruhige Würde gelegt, sah mit nachdenklichen Augen in dem großen, komfortablen Zimmer rundum. And nun lächelte er: „Jawohl, es ist hübsch geworden bei uns und doch nicht viel mehr als zwanzig Jahre her, seit wir in Wunstorf die kleine Töpferei nnfingeu und uns da mit Stube, Kammer und Küche beinah fürstlich vorkamen. Denn vordem kannte ich ja bloß ne Bodenkammer als Logis, und dir ging s als Pastors Köchin nicht viel anders, wie?" Die Frau, die, den Erker verlassend, sich jetzt in das weiche, Pfauen blaue Plüsclrsofa schmiegte, sah ihren Mann unbehaglich an. „Wenn du doch die alten, fatalen Zeiten ruhen ließest, Fritz. Dies dumme Aufrühren hat doch keinen Zweck. Was Besonderes kommt nicht zu tage, und ich denk' lieber nicht daran. Wir sind beide fleißig gewesen, na ja, und sparsam dazu. Auf den Kopf gefallen warst du auch nicht, hattest viel Geschick für die Töpferei, und als ich die kleine Erbschaft machte, °mr, ein ordentliches Geschäft anfangen konnten» ging's, heidi, in die Höhe. Das machte natürlich Spaß, und wir schafften nun erst recht. Dann zogen wir nach Hannover. Das Glück begleitete uns, und in der Groß stadt ging alles noch viel flotter vorwärts. Ja, an unssren hannoverschen Anfang erinnere ich mich schon lieber, da wurde es bald Großbetrieb. Du legtest die Fabrik an, wurdest Ofenfabrikant, und deine Majolika reiste über die ganze Welt. Du bist ein reicher Mann und kannst schließlich noch in den Magistrat kommen und eines Tages Senator werden. Höher hinauf braucht's nicht zu gehen. Als Frau Senatorin will ich mich gern zufriedengebcn. Aber dazu muß es noch kommen, mein guter Fritz." „Du hattest immer stärkeren Ehrgeiz als ich," lachte er gutmütig. „Geb' ich zu," schmunzelte sie. „Und hat's etwa nicht geholfen, wenn ich deine Bedachtsamkeit ein bißchen auf den Marsch brachte? Mit dem Wagen haben wir tatsächlich gewonnen. Wir gehören jetzt beinah zu den Höchstbesteuerten der Stadt, empfangen aber trotzdem noch keine Exzellenzen in unserem prächtigen Haus," schaltete sie mit sinkender Stimme ein und schloß leise, „die Kinder hätten es wohl zuwege gebracht." Seine klugen Augen schauten mit lachendem Zweifel in das frischgefärbte, runde Gesicht seiner Frau. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas gesund Derbes und an heimelnd Bürgerliches, aber Züge rassiger Vornehmheit fehlten ihr völlig. „Immer noch höher rupp?" scherzte er. „Nee, Gnste, sonst verlieren wir schließlich die Balance. Bleibe so, wie du bist, gefällst mir am besten so. Von der gnädigen Frau ließe ich mich am Ende noch scheiden. Sonst aber," sprach er ernster weiter, „wär' mir's freilich recht, es liefen rasche, junge Füße durch das große, stille Haus. Ich hab' schon mitunter gedacht, wir nehmen uns ein Kleines an. Und bald. Daß wir's noch groß wachsen sehen und 'ne Stütze dran haben." „Ach, Fritz, das ist all lang auch meine stille Idee. Hätte es längst vorgeschlagen, wenn ich nicht doch wieder manche Bedenken trüge. Weiß man denn, was man ins Haus kriegt? Was für Erbfehler oder gar Laster so ein fremdes Kind in sich trägt?" „Wir alle haben Fehler, Guste. Unsere eigenen würden auch keine Engel sein." „Natürlich nicht. Doch man hätte wohl mehr Ge duld mit ihnen, mehr verzeihende Nachsicht, eine stärkere, selbpverständliche Liebe. Und doch, wenn ich mir vorstelle, solch ein süßes, kleines Ding trippelt hier herum, ganz jung, höchstens ein, zwei Jahre alt, so daß es mit seiner rührenden Hilflosigkeit völlig auf uns angewiesen wäre, es gar nicht anders wüßte, als daß wir ihm Bater, Mutter seien, — ich glaube, man könnt's doch herzlich liebhaben, könnte es nach seinem Willen zurechtziehen." Nun war Börner der Zurückhaltende, ihrer schwär menden Lebhaftigkeit gegenüber. „Hm, ein gewagtes Exj eriment ist's natürlich immer," sagte er nachdrücklich. „Pfropfreis ist ja nicht wurzel echt. Andererseits verjüngt es den alten Stamm, ver edelt ihn selbst unter Umständen. Und dann, wie oft schlagen nicht auch die selbsteigenen Sprüßlinge aus der Art! Was ist sicher in dieser Welt des Wandels? Darum, Gustchen, ja, ich denke, wir machen das Experiment." wie nickte eifrig. „Es werden häufig genug Kinder vornehmer Abkunft ausgeboten " „Nee, du, damit bleib' mir weg. Mit diskreten Dingen will ich nichts zu tun haben. Alles klipp und klar und möglichst schlicht und gesund. Was ich mir aufziehe, soll dereinst Geschäftsnachfolger sein." „Wenn du weiter nichts willst," meinte sie empfindlich, „könntest dn schließlich einen Schwestersohn hierzu be stimmen. Hättest die Wahl unter 'nem ganzen Haufen, und es wäre das einfachste." „Das allerschl mmste, willst du sagen," rief er erregt. „Weißt doch recht gut, ich hab's ihr heut noch nicht vergeben, daß sie sich an den Trunkenbold, den Faulenzer hing. Von der sauberen Gesellschaft kommt mir keiner ins Haus, und damit basta." „Reg' dich nicht auf, ich hab' selber keine Sehnsucht danach. Sage mir nun bloß, ans welchem Stande du denn Leinen Adoptivsohn eigentlich herkriegen willst?" „Ich mach's wie der Gärtner, wähle mir das meinem Zweck entsprechende Reis. Hauptbedingung ist, daß es kräftigen, gesunden Ursprungs sei. Also am besten schlichter, arbeitsamer Stammart. Als wir letzten Sommer auf Amrum waren und mir der Witduner Pastor ge legentlich von den vielen Witwen und Waisen der Insel erzählte, ging's mir schon im Kopf herum, es möchte was für uns darunter sein. Zäher, derber Friesenschlag, Guste, das wär' so was." „Ach, geh', störrisch und gefühlshart sind sie auch." „Nur fest und mutig, wie alle, die auf des Lebens harter, gefährlicher Kante stehen." Doch sie wiegte zweifelnd den Kopf. Ein zartes verwöhntes Grafensühnchen war mehr nach ihrem Ge schmack. Weicher, feiner Ton modelt sich leichter. „Ja, siehst du," redete er weiter auf sie ein, „aus dem naturwüchsigen Abkömmling starker, unverbildeter Menschen läßt sich was machen. Gutes Material, darauf kommt s dem Bildner an. Das weiß ich doch am Ende." „Und wenn wir ein Mädchen wählen?" wandte sie noch ein. „Bewahre, erst den Jungen, den Stammhalter. Laß mich nur machen. Ich schreibe zunächst dem Pastor. Weiß er was, sehen wir uns den Bengel natürlich erst mal an." „Such' dir nur deinen Kraftsohn allein aus. Aus die See bringt mich in der stürmischen Herbstzeit über haupt keiner." Den Grund will ich gelten lassen. Du bist nicht seefest, und die Dampferverbindnngen sind dieserzeit nicht so regelmäßig und angenehm wie im Sommer. Sonst aber wirst doch nicht muckschen, Gustchen? Sollst mal sehen, wirst noch deine Helle Freude haben an dem stämmigen kleinen Kerl, den ich dir mitbringe. Verlaß dich ruhig auf meinen klaren, scharfen Blick. Möchte nun auch keine Zeit verlieren. Je eher unser Junge hier herumläust, desto länger ist die Freude. Und schlägt der Bursch ein, legst du dir später 'en Düchterken zu. Das kann dann meinswegen 'ne rechte Augenweide sein. Das such' du man aus, ganz nach deinem Geschm'ack. Was Nüdliches im Haus hab' ich auch gern. Und wenn es dir daneben eine Hilfe im Haushalt sein kann, um so besser." (Fortsetzung folgt.) — Konnerte mit Aufdruck fertigt Buchdruckerei Lnr! AtWk HochMrmksachm liesest Mm. Letzte Nachrichten. Berlin. Der Kronprinz und die Kronprinzessin sind heute früh 8 Uhr vom Anhalter Bahnhof nach Genua und Ostasien abgereist. Zur Verabschiedung waren anwesend der Kaiser und die Kaiserin, die Mitglieder des Kaiserhauses, der Staatssekretär des Auswärtigen und andere. Paris. Die aus Saigon eingetroffene Post berichtet, daß Wirbelstürme und Springfluten In Annam und Tonking großen Schaden anrichteten. Die Stadt Donphon sei fast völlig zerstört worden. — In Alleins und Salon an der Rhonemündung wurde gestern eine starke Erderschütterung verspürt. Der Bevölkerung bemächtigte sich eine große Panik, doch ereignete sich keinerlei Unfall oder Schaden. — In Paris ist die Seine infolge der starken Regengüsse um nahezu l m gestiegen. London. A „Daily Telegraph" meldet in seiner zweiten Aus gabe, daß in Madrid die Revolution ausgebrrchen sei. Lissabon. Der Ministerrat genehmigte gestern den Entwurf über Errichtung von Arbeitsbörsen zur Beseitigung der Arbetts- not. Der Justizminister wohnte im Palaste Nezessidades einer Inventaraufnahme bei. Man stellte den Inhalt eines feuerfesten Schrankes fest. Die darin vorgefundenen Dokumente wurden beschlagnahmt, versiegelt und in das Justizministerium gebracht. Die Meldung von der Verhaftung des früheren Ministerpräsi denten Teireira de Souza bestätigt sich. Zarizyn. Gellern abend stießen auf der Wolga die Dampfer „Graf" und „Jaroslaw" zusammen, wobei ein Reisender getötet und 8 schwer verletzt wurden. Zwei Personen werden vermißt uyd sind wahrscheinlich ertrunken. Beide Dampfer sind schwer beschädigt. Prognose: Lebhafte Westwinde, veränderliche Bewölkung, Temperatur wenig geändert, zeitweise Niederschlag. Npam-tckp Dienstag abend von neue «MtztNvkUk Schmiedeberg bis Dip poldiswalde Bitte gegen Belohnung abzugeben bei Richard Pietzsch. 8c Schlafstelle erhalten. Wo? sagt die Erped. d. BI. 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