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damals zum erstenmal feierlich anerkannt, und — was noch mehr bedeutet — es wurde zum erstenmal die persönliche Freiheit garantiert. König Johann, der nicht gewillt war, seine Zusage zu halten, biß die Zähne zu sammen, als er das Dokument unterzeichnen sollte: als er sich dann hinter den Mauern des Schlosses von Windsor in Sicherheit befand, begann er, nach einer in einem Artikel der „Revue Hebdomadatre" zitierten Chronik, zu toben wie ein Wahnsinniger: er knirschte mit den Zähnen, gestikulierte und zerbiß kleine Stückchen Holz. Um sich an den Baronen zu rächen, ließ er sie vom Papste in den Bann tun und entfesselte einen neuen Bürgerkrieg: jsech- zehn Monate später starb er infolge einer geheimnisvollen Krankheit, die zur Legendenbildung reichlichen Stoss bot. Sein Nachfolger Heinrich lll. bestätigte dieMagna Charta, suchte sich aber dann über sie hinwegzusetzen und sie zu vernichten: eine schwere Niederlage, die ihm die Barone im Jahre 1264 beibrachten, zwang ihn aber, eine noch viel weiter gehende Konstitution zu bewilligen. Seit damals wurde das Parlament regelmäßig einberusen und es wurden zu den parlamentarischen Tagungen auch die Vertreter der Grafschaften und der Gemeinden zugclassen. Das Volk hatte also das parlamentarische Regierungs- syltem ausschließlich dem Adel zu verdanken. Ilse von Krafft. Von M. Eitner. (3. Fortsetzung.) Sie flog fast durch die Buchengänge, als handele es sich um Leben und Tod. Flüchtig blickte sie in das Kinderzimmer hinein, sagte nur: „Ich komme gleich." Dann fragte sie den Diener, ob ihr Mann vom Vorwerk zurück sei, und erhielt zur Antwort, daß er vor ungefähr fünf Minuten in sein Zimmer gegangen sei. Er ging, ohne sie zu sehen und ohne ihr ein direktes Wort zu sagen, und er kam zurück, ohne nach ihr zu sehen, ohne ihr ein freundliches Wort zu sagen. Sie betrat hastig sein Zimmer. Herbert schickte sich gerade an, sich wieder an den Schreibtisch zu setzen, und unwillig wandte er seinen Blick der Tür zu. Eben wollte er abwehrend sagen, wie er das schon oft getan batte: „Ich habe jetzt leine Zeit, habe dringend zu tun," aber der Ausdruck in den Zügen seiner Frau lieh ihn stutzen und hielt die abwehrenden Worte zurück. „Was ist geschehen, Ilse?" fragte er. „Was gibt es?" „Es ist nichts geschehen, was nicht täglich bei uns oorkommt, es gibt nichts Besonderes." „Nun — und?".... „Herbert!" stich sie hervor, und das klang wie der Hilfeschrei eines tödlich Verwundeten, „laß mich nicht so viel allein! Ich ertrage das nicht." „Ich verstehe dich nicht, Ilse. Ich habe dir von An fang an erklärt, das; ich die Zeit, die nicht durch Außen dinge ausgcfüllt wird, für meine schriftlichen Arbeiten brauche, und diese Arbeiten sind kein Kinderspiel, die verlangen Ruhe und Sammlung." „Und warum muh ich dem allem fernstehen? Warum sprichst du mir nicht von deinen Arbeiten ?" „Du würdest ihnen doch kein Interesse abgewinnen," entgegnete Herbert schroff, „würdest sie auch nicht ver stehen." Nicht ein Wort mehr kam über ihre Lippen; aber in ihren Augen lag ein Ausdruck, der ihn an ein weid wundes Reh erinnerte. Der Ausdruck störte ihn, und er wollte etwas zur Entschuldigung sagen, aber sie wendete sich ab und ver ließ langsamen Schrittes das Zimmer. In ihm regte sich das Gefühl, daß er ihr nach gehen mühte; aber dort auf dem Schreibtisch lagen schon wieder die Bogen bereit, die beschrieben werden wollten. Diese Arbeit mar für ihn augenblicklich der Inbe griff des Lebens, und plötzlich stieg in ihm die ärger liche Frage auf: Warum kann sie nicht zufrieden sein mit dem Los, das ihr geworden ist? Er hatte ihr weder feurige Liebes-Erklärungen noch »Beteuerungen gemacht. Weshalb nun solche Szene? Er nahm den Platz am Schreibtisch ein, vertiefte sich in seine Arbeit, und bald hatte er, wie so ost, völlig vergessen, daß neben ihm sein Weib lebte, die Frau, der er am Altar Liebe und Treue geschworen hatte bis zum Tode, und deren inneres Leben ihm doch so völlig fremd war, weil er sich nie die Mühe gegeben hatte, weil ihm auch gar nichts daran lag, es kennen zu lernen. 2. Kapitel. Am nächsten Morgen, gerade, als Ilse in die mrirtschaftsräume gehen wollte, kam Herbert, der vor dem Schloß dem Briefträger die Sachen abgenommen und sie durchstudiert hatte, noch einmal zurück. Erstaunt blickte Ilse ihn an. In den grauen Augen lag plötzlich ein so warmer Ausdruck, wie sie ihn noch nie bemerkt hatte. „Dir ist etwas Gutes geschehen?" sagte sie in fragendem Ton. „Ja. Ich erhielt eben einen Brief von Hans Lüders, aus London datiert. Der Brief muß irgendwo liegen geblieben sein, hätte schon vorgestern hier sein müssen." „Wer ist Hans Lüders?" fragte Ilse. „Habe ich dir nie von ihn, erzählt?" „Nie, du erzählst mir doch überhaupt nichts." Herbert überhörte absichtlich die Bitterkeit der Ant wort und entgegnete: „Das lag wohl daran, daß wir seit fünf, fast sechs Jahren voneinander getrennt waren. Hans ist ein wunderbarer Mensch, begabt aufs Höchste, liebenswürdig wie selten jemand. Er hat mit mir zu gleicher Zeit Jura studiert, schwankte dann, ob er nicht dauernd den bunten Rock vorziehen sollte, aber die juristische Laufbahn reizte ihn doch mehr. Gleich mir hat er als Assessor im Handelsministerium gear beitet. Dann ist er nach London gegangen, wo er zu einer großen Firma in verwandtschaftlichen Beziehungen steht, hat sich dort eingearbeitet und ist dann gewisser maßen als Rechtsvertreter der großen Firma nach Kalkutta gegangen. Wiederholte, schwere Fieber-Nieder lagen, unter denen seine Gesundheit gelitten hat, trieben ihn nach Europa zurück. Nun schreibt er mir, daß, wenn seine Gegenwart nicht störend wirkt, er gern für längere Zeit nach Kaltenborn kommen würde, be tont aber ausdrücklich: Wenn sein Besuch meiner Frau nicht lästig märe." „Das ist ein ganz unnötiger Zusatz," bemerkte Ilse. „Jede Frau wird gern für den Freund ihres Mannes sorgen." „Du hast dich gestern beklagt, daß du so viel allein bist," sagte Herbert. „Hans wird dazu verhelfen, daß du dich nicht mehr zu beklagen brauchst. Er ist ein Gesellschafter, wie man ihn sich nur wünschen kann." „Wenn du es deinem Fieunde überlassen willst, deiner Frau das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, so wäre es besser gewesen, du hättest nicht geheiratet. Weshalb hast du geheiratet? Weshalb hast du mich geheiratet? — Doch antworte lieber nicht, sage nur, wann dein Freund zu erwarten ist, damit ich meine Anordnungen treffen kann." Und wieder vermied Herbert geflissentlich eine Antwort auf ihre bitteren Fragen. „Er kann morgen kommen, kann aber auch schon heut eintrefsen," sagte er. „Jedenfalls schickt er noch ein Telegramm, damit ich ihn an der Bahnstation be grüßen kann." „Welches Gastzimmer soll ich für Herrn Lüders Herrichten lassen?" „Das beste, das wir haben, mit der Aussicht auf den Park." Und wieder stieg es bitter in Ilse auf, als sie merkte, wie sorglich sich seine Gedanken um den Freund scharten. So warm konnte er empfinden, und nur sie spürte nichts von dieser Wärme. „Ich werde alles im Lauf des Morgens besorgen lassen," sagte sie nur noch, „damit das Zimmer bereit ist, falls dein Freund heut eintrifft." „Wo ist der Junge?" fragte Herbert plötzlich. „Im Nebenzimmer. Er schläft." Wie gern hätte sie jetzt Herberts Hand gefaßt und gesagt: „Komm, sieh dir den Liebling an," aber sie tat cs nicht, hatte doch ih ' Mann ost genug, wen» sie ihn zu dem Kinde mitnehmen wollte, entgegnet: „Ja, später, jetzt habe ich keine Zeit." So selten hatte er Zeit für Frau und Kind. Auch jetzt sagte er: „Ich bin eilig. Da will ich lieber seinen Schlaf nicht stören. Wenn ich zurück- komme, ist er ja in jedem Falle wach." Er ging, und ein unheimliches Gefühl be schlich Ilse. Wenn der Freund kam, bei dessen Namensnennung die Augen ihres Mannes einen warmen Ausdruck hatten, so würde sie vielleicht noch einsamer werden, als sie bisher gewesen war. Und es griff ihr ans Herz, daß ein ihr Fremder sehen und erkennen sollte, wie wenig sie ihrem Manne galt. Nun — mochte es sein ! Das Maß der Bitterkeit ihres Lebens war wohl noch nicht voll. Sie ging in die Küche, in den Milchkeller und gab überall die nötigen Anordnungen für den Tag. Dann sorgte sie dafür, daß für die Bequemlichkeit des er warteten Gastes alles tadellos ausgeführt wurde. Wieviel mehrFreude hätten ihr diese Vorbereitungen gemacht, wenn sie sicher gewesen wäre, daß auch nur für Sekunden ein warmer Strahl aus ihres Mannes Augen sie getroffen hätte. Bei Tisch sagte sie: „Herbert, willst du nicht selbst nachsehen, ob die Gastzimmer, — ich habe, da Herr Lüders doch längere Zeit hierbleiben will^ zwei Zimmer für ihn eingerichtet, — keinen Mangel aufwesten r 2-err Geschmack und die Wünsche deines Freundes mußt du ja am besten kennen." „Eine solche Prüfung von meiner Seite ist ganz unnötig. Ich habe noch nie irgendwo einen Mangel be merkt, wenn du eine Sache in Händen hattest." (Fortsetzung folgt.) Vermischtes * Der Wert des Zeitungsinserats im Vergleich mit anderen Reklamemiiteln ist durch folgenden Fall wieder einmal eklatant erwiesen. Ein Juwelier in Paris ver sandte 20000 Prospekte, was einschließlich Briefmarken, Kuverts und Schreiben der Adressen eine Ausgabe von 2295 Franks verursachte. Es liefen darauf 29 Anfragen bei ihm ein, die zu einer Anzahl von Aufträgen führten mit einem Gesamt-Nettoverdienst von 495 Franks. Nun gab dieselbe Firma 1700 Franks für Zeitungs-Annoncen aus und erhielt darauf 1100 Anfragen, die zu 634 Be stellungen Anlaß gaben, und zwar mit einem Brutto gewinn von 3700 Franks. Das Nettoergebnis belief sich somit auf 222 v. H. der Reklameausgaben. " Der Siberschatz auf der „Hohenzollern". Eine sowohl materiell wie kunft- und kulturgeschichtlich wertvolle Ladung, die in zwei Eisenbahnwaggons in Kiel einge troffen war, nahm die Kaiserjacht „Hohenzollern" für die Dauer der Anwesenheit des Kaisers während der „Kieler Woche" und der Nordlandsreise in Gestalt des kaiserlichen Silberschatzes an Bord. Von den zahlreichen Stücken, die ihn bilden, entstammen die älteren zumeist der Zeit Friedrich Wilhelms 1. und Friedrichs des Großen. Eine einzige Garnitur davon umfaßt 6 große und 14 kleine Schüsseln, je 6 große und kleine Speiseglocken, 360 Teller und 116 Leuchter. Ganz bes nders wertvoll ist das voll ständige Tafelseroice für fünfzig Personen, das dem Kaiser paar von 96 preußischen Städten als Hochzeitsgeschenk dargebracht wurde und allein einen Wert von 420000 Mark repräsentiert. Mittwoch vormittag dampste die Kaiserjacht durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal nach der Elbe. Kirchennachrichten von Dippoldiswalde. Donnerstag den 23. Juni 1910. Vorm. 9 Uhr Wochenkommunion. Sup. Hempel. Freitag, den 24. Juni 1910 (Johannistag). Nachm. b Uhr Andacht in ver Nikolaikirche. Pastor Großmann. Sparkasse xu Reinhardtsgrimma. Nächster Erpeditionstag: Sonnabend, den 25. Juni, 2—5 Uhr. Botts-Bibliothek in Dippoldiswalde. ' Schuhgasse Nr. 104, Hinterhaus. Eingang: Altenberger Straße, gegenüber dem Postgut. Jeden Sonntag von 11—12 Uhr mittags Bereinsbank zu Dippoldiswalde. — Herrengasse 97. — (Kassierer: Herr Georg Willkomm.) Wochentags oo> 8 bis 1 und 3 bis V-b Uhr, Sonnabends von 8 bis 4 Uhr (auch über Mittag». Letzte Nachrichten. Potsdam. Der Kaiser ist heute früh 8,04 Uhr von Station Wildpark nach Altona und Kiel abgereist. Neuwied. Die Fürstin Marie zu Wied ist heute früh gestorben. Düsseldorf. Bei Wermelskirchen wurde der Einbrecher, Kirchenräuber und Mörder Karl Perrin verhaftet, der monatelang der Schrecken des bergischen Landes ge wesen ist. Kiel. Der Kronprinz und Prinz Adalbert von Preußen find gestern abend nach Obersüßbach abgereist. Obersatzbach. Mit der Kaiserin sind hier Prinzessin Friedrich Leopold und Prinz und Prinzessin August Wilhelm von Preußen eingetrosfen. Friedrichshafen. Das Luftschiff „ft 2 Vll" ist heute früh 3 Uhr zur Fahrt nach Düsseldorf aufgestiegen und flog in der Richtung auf Ulm davon. Stuttgart. Das Luftschiff „ft 2 Vll" passierte heute früh 5,20 Uhr Göppingen, fuhr das Neckartal hinab über Cannstadt, wobei Stuttgart links liegen blieb, und war 7,20 Uhr in Bretten. Frankfurt. Das Luftschiff „ft T VII" passierte heute früh 7,50 Uhr Mannheim, 8,40 Alzey, 8,45 Bingen, 9,45 Coblenz und 10,05 Neuwied. Jenotajewsk. Aus dem Dampfer „Russj" der Nischegorodetz-Gesellschaft explodierte ein Dampfrohr. Ein Heizer erlitt schwere Brandwunden. Unter den Passa gieren entstand eine Panik. Als sie sich retten wollten, brach das Gestell eines Bootes und das Boot fiel ins Wasser. Die Insassen ertranken. Sechs Leichen sind bis jetzt geborgen. 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