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nisten. Bezeichnend dafür ist das 1949 entstandene „Concerto“, das Martin der „Bernischen Musikgesellschaft“ widmete. Die deutsche Erstaufführung fand in Köln unter Günter Wand statt. Es ist ungewöhnlich, daß als solistische Concerto-Gruppe gleich sieben Blas instrumente dem Orchester gegenübergestellt sind, war doch in der klassischen Musik im Höchstfall die Vierzahl vertreten. Durch die lockere Satztechnik des Komponisten wird dennoch eine bemerkenswerte Durchsichtigkeit des Klang bildes erreicht. Die Harmonik ist höchst einfach gehalten, sparsam im Farbigen, die Form wird von Martin meisterlich beherlrscht, und durch die überlegen elegante Instrumentierung werden reizvolle Klangwirkungen erreicht. Das ge samte Werk ist in seiner persönlichen Verquickung von gelöster Spielfreude und beherrschter Form bezeichnend für die zeitgenössische Schweizer Musik französischer Herkunft. Für Martin „Concerto“ gelten im besonderen die schönen Worte des Kompo nisten, die er 1950 in einer Ansprache „Erfahrung des Schöpferischen“ formu lierte: „Es kann nicht das Ziel des schaffenden Künstlers sein, die anderen an seinen Geburtswehen teilnehmen zu lassen; und welche Empfindungen seiner Seele er auch zum Ausdruck bringen muß, ud wie tragisch und düster sie auch sein möge, sein Werk sollte immer den Stempel jener Gelöstheit tragen, die eine vollkommene Gestaltung in uns bewirkt und die, glaube ich, das ist, was man Schönheit nennt. Johannes Brahms (1833-1897) Sinfonie Nr. 1 c-nioll, op. 68 Brahms’ 1. Sinfonie, op.68, wurde 1877 veröffentlicht. Die Einleitung zum ersten Satz ist voll größter Spannungen, der Orgelpunkt der Pauke zu Beginn stützt eine Musik von dramatischer Wucht und Erhabenheit. Der Aufbau dieses Satzes ist klassisch, beide Themen sind klar formuliert und deshalb klar zu erkennen. Brahms hat nun eine eigene Art der Durchführung, die sein Wesen, seinen grüblerischen Ernst und seine spröde Verhaltenheit deutlich erkennen läßt. Der englische Dramatiker Priestley sagt in einem Roman über dieses Werk einmal, daß er den Eindruck habe, daß Brahms mürrisch und grollend in der Ecke stehe und der übrigen Welt den Rücken kehre. Er hat nicht ganz Unrecht, weil er mit diesem Bild die Neigung zum Pessimismus, der Brahms niemals ganz Herr werden konnte, andeutet. Auch Clara Schumann sagt ihm selbst in einem Briefe, sie fürchte sich vor der Düsternis und Kantigkeit seiner Seele, die sich gerade in diesem Satz offenbare, der mit dem Orgelpunkt des Beginns wieder abschließt. Der liebliche zweite Satz, der ebenfalls zwei musikalische Gedanken entwickelt, wird in der Mitte von dramatischen Erregungen gestört, die keinen inneren Frieden aufkommen lassen. Der dritte Satz ist, ganz ent gegen der Gepflogenheit Beethovens, kein Scherzo oder Menuett, sondern ein graziöses Allegretto. Die schlichte Melodie des Beginns, die in ihrer Umkeh rung fortgeführt wird, kann aber nicht den Ernst und die Resignation verhin dern, die sich dann in diesem Satz durchsetzt. Gleich dem Anfangssatz beginnt auch der Schlußsatz mit einer Einleitung, die mit Spannung und Größe geladen ist. Dann entfaltet «ich wiederum echt sinfonisches Geschehen — Brahms wählt die Sonatenform auch für den Schlußsatz. Das erste Thema mit seinem Anklang an den Hymnus der „Neunten“ steht dem weicheren, lyrischen zweiten Thema gegenüber, so daß sich auch hier dramatische Ballungen ergeben, die jedoch in eine strahlende C-Dur-Coda einmüden, die dem Werk einen sieghaften Abschluß verleiht. III/9/23 1,0 856 1 801/56