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L. ScilM;m Weiftritz -IM«-. M. 132. Sonnabend, den 13 November 1909. 75. Iahitzany. Sächsisches. — Stille Tage. Am Butztage, den 17. November, und am Totenfesisonntage, den 2l. November, ist in Sachsen die Veranstaltung von Konzerten und anderen geräuschvollen, namentlich mit Musikbegleitung verbundenen Vergnügungen an öffentlichen Orten, insbesondere Tanz belustigungen, zu denen auch Privqtbälle gehören, selbst wenn diese in Prioathäusern oder in Lokalen geschlossener Gesellschaften abgehalten werden, verboten. Ferner sind in diesen Tagen nicht gestattet die Veranstaltung theatralischer Vorstellungen und sonstiger Schaustellungen (zu denen auch die Vorführung von Lichtbildern gehören kann), öffentlicher Aus- und Umzüge, Vogel- und Scheiben schietzen und Schietzübungen, am Totenfestsonntage jedoch mit Ausnahme theatralischer Vorstellungen, die an diesem Tage in geschloßenen Räumen stattfinden können. Es wird aber vorausgesetzt, datz zu denjenigen theatralischen Vorstellungen, die am Totenfestsonntage, wie auch zu den jenigen, die am Vorabende des Bußtages aufgeführt werden, angemessene ernste Stücke gewählt werden, und datz namentlich die Aufführung von Possen und unge eigneten Lustspielen unterbleibt An den Vorabenden der beiden genannten Festtage sind gleichfalls Tanzbelusligungen jeder Art, am Vorabende des Butztages auch die Ab haltung von Konzertmusiken und anderen, namentlich mit Musikbegleitung verbundenen geräuschvollen Vergnügungen an öffentlichen Orten untersagt. Dagegen ist die Auf führung ernster Musikstücke auch am Vorabend des Buß tages gestattet. An den beiden genannten Festtagen ist weiter die Abhaltung öffentlicher Versammlungen aller Art, auch der Versammlungen der Innungen, der Gemeinde vertreter und sonstiger Genossenschaften verboten. Diese Bestimmungen finden auch Anwendung auf Versamm lungen von Krankenkassen, geselligen und anderen Ver- einigungen, wie auch auf religiöse Versammlungen, wenn diese einen öffentlichen Charakter tragen. An den Vor abenden der beiden Tage sind dagegen Versammlungen bis nachts 12 Uhr gestattet. Endlich ist am Bußtage und am Totenfestsonntage und an deren Vorabenden die öffent liche Ankündigung und Veranstaltung der von den Gast- und Schankwirten besonders dem Vergnügen gewidmeten Veranstaltungen wie Schlachtfeste, Schmäuse, Skatturnierr, Bockbierausschank und dergl. untersagt. — Der Metallschleifer Kaden, der kürzlich unter dem Verdacht, den Raubmord an dem Fleischerlshrling Höch im Schonergrund verübt zu haben, in Polizeigewahrsam genommen wurde, ist jetzt in das Untersuchungsgefängnis überführt worden. Dort spielt er den wilden Mann und stellt sich irrsinnig. — Nach säst einjähriger Pause wurden, meldet der „Voigtl. Anz.", sowohl in der Nacht zum Sonntag, als auch am Sonntag abend in der II. Stunde im östlichen Vogtlands, besonders in der Klingenthaler Gegend, mehrere leichte Erdstöße wahrgenommen, deren Bewegung von Osten nach Westen ging. Bestätigung bleibt abzuwarten. — Im „Vogtl. Anz. und Tagebl.", der in Plauen i. V. erscheint, liest man in der Donnerstag-Nummer fol gendes: Am Sonnabend abend in der 8. Stunde brannten 2 Wirtschaftsgebäude vom Gehöfte des Thorcy'schen An wesens, welches zurzeit verpachtet ist, im sogenannten Winn bei Falkenstein nieder. Das Wohnhaus nebst Stallgebäude und einem Seitengebäude konnte infolge tatkräftigen Ein greifens der herbeigeeilten Feuerwehren und günstiger Windrichtung gerettet werden. Hierbei spielte sich eine häßliche Szene ab. Der fast zu gleicher Zeit eintresfenden, sehr gut organisierten Freiwilligen Feuerwehr Falkenstein mit ihren Führern wurde von der Pflichtfeuerwehr vom Dorfe Neustadt mit ihrem anwesenden Eemeindeoorstand und Gemeindediener der energische Angriff des Feuers geradezu verboten. „Das ist unser Feuer, schert euch wieder nach Hause, wir dürfen auch nicht hinein zu euch, wir brauchen euch nicht!" Und anstatt ins Feuer, hielt die Neustädter Feuerwehr ihren Wasserstrahl auf den Falken- steiner Rohrsührer, und den Pionieren wurde das Ein reißen von dem brennenden Gebäude verboten. Als es hierbei zu heftigen Auseinandersetzungen kam, hatte der Herr Vorstand nichts Wichtigeres zu tun, als zu Namens- feststellungen zu schreiten und mit Arretur zu drohen, währenddessen ließ man Brand Brand sein. Nur durch das taktvolle Nachgeben der Falkensteiner wurde eine solenne Schlägerei vermieden. Nach kurzer Zeit kam dann die Grünbacher Feuerwehr, deren Eemeindeoorstand fest- stellte, daß das Guisgehöste zu Grünbach gehöre und nicht zu Neustadt und bat die Falkensteiner um Niederlegung des brennenden Gebäudes, was nun sofort geschah. Hier auf zogen sich die Neustädter belehrt, aber jedenfalls schmollend mit ihrer Spritze zurück. Nach kurzer Zeit waren die gefährdeten Stellen abgelöscht. Freiberg. Auf der Heimfahrt von Dittmannsdorf nach Niederschöna verunglückte Lehrer Wüstner mit seiner Familie dadurch, datz die Pferde scheuten und durchgingen. Wüstners Frau war sofort tot, der Sohn brach einen Arm, Wüstner selbst verletzte sich an dem Kinn, die übrigen kamen mit leichteren Verletzungen davon. Mittweida, 10. November. Als gestern nachmittag mehrere Arbeiter einen mit Erbmassen gesüllten Wagen vom Neustadtaufgang herunter nach der Rochlitzer Straße fahren wollten, entstand am Schleifzeug ein Defekt und der schwer beladene Wagen sauste mit voller Wucht Den Weg hinab über die Rochlitzer Straße direkt gegen den Laden des Juweliers Gensch, das Schaufenster durchstoßend und in der Auslage Verwüstungen anrichtend. Leipzig. Die Bodenaufschütlungen am Völkerschlacht- denkmal sind in diesem Jahre wegen des Wegfalls der Abladegebühr für Aschengeschirre viel rascher vorgeschritten als in den vergangenen Jahren, sodaß zur eigentlichen Umfüllung des Denkmals jetzt nur noch etwa 13000 Kubikmeter Massen benötigt werden. Von diesen Massen können jedoch wegen der starken Steigung der letzten Auf höhung nur noch ungefähr 4500 Kubikmeter mit Geschirr zur Anfuhr kommen, während für die übrigen 8500 Kubik meter eine doppelte Förderung erfolgen muß. Es sollen deshalb die von den Geschirren, die bis zu 2/z Höhe des Schüttungskegels angefahrenen Massen vor der nordöstlichen Ecke oes Denkmalsbaues abgelagert und von dort auf Kleinloren, die von Pferden gezogen werden, zur end gültigen Ablagerungsstelle befördert werden. Die hier durch entstehenden Kosten sind auf 13400 Mark veran schlagt. Bei Ausführung der Arbeiten sollen eventuell Arbeitslose beschäftigt werden. Lugau, 10. November. Die zurzeit in Thalheim wohnhafte 19 Jahre alte Schneiderin Riba Hochstetler aus Galizien kam am Montag zu einer hiesigen Familie, um ihr vier Monate altes Kind zu besuchen. In der darauffolgenden Nacht ist das Kind unter Erscheinungen gestorben, die auf gewaltsamen Tod schließen lassen. Die Hochstetler ist am Dienstag verhaftet und abends mit dem 6-Uhr-Zug nach Chemnitz eingeliefert worden. Auf dem hiesigen Bahnhöfe hatte sich zu dieser Zeit eine große Menschenmenge angesammell, die gegen die unnatürliche Mutter laute Verwünschungen zu erkennen gab. Heute Mittag ist die kleine Leiche von der Staatsanwaltschaft gerichtsärztlich untersucht und es ist festgestellt worden, daß der Tod durch Ersticken herbeigeführt wurde. Glauchau. Der Rat der Stadt Glauchau hat an die hiesigen Ktrchengemeinden die baupolizeiliche Verfügung erlassen, unsere alte, ehrwürdige Gottesackerkirche, da sie baufällig geworden ist, binnen vier Wochen abzutragen. In einer Sitzung beider Kirchenvorslände wurde be schlossen, die Entscheidung des König!. Landeskonsistoriums hierüber einzuholen. Klingenthal. In den Wäldern zwischen Markhausen und Erlbach sind am letzten Sonntag noch einige Körbe voll Steinpilze gesammelt worden, während unsere nächsten höheren Berge, Aschberg, Kiel, Spitzberg, zum ersten Male im Schnee erglänzten. Bad Oppelvdorf. Am Kahlen- und Gickelsberg, den letzten Ausläufern des Jsergebirges, hat man jetzt angeb lich stark radiumhallige Quellen entdeckt. Da auch nach hier Wasser von dort zusammensließt, hofft man, diese Entdeckung für unseren Badeort nutzbar machen zu können. Lippitsch. Bei umfangreichen Drainageardeiien auf Rittergut Lippitsch wurde eine sehr alte Urne mit ver brannten Knochen und einigen Tränenkrüglein gesunden, welche sich im Besitze des Rittergutsbesitzers Halle auf Lippitsch befinden. Reichenau. Liner alten Sitte folgt man hier: so wird am 1. Advent-Sonntag, den 28. November, die ge meinsame Geburtstagsfeier aller 50 Jahre alten Per sonen des hiesigen Kirchspiels abgehalten werden. Oberneukirch. Der hiesige Wirtschaftsbesitzer Beck stürzte vor seiner Haustür mit einer Kanne Wasser so un glücklich, daß er sich die Kniescheibe am rechten Bein in mehrere Teile zerschlug. Der 72 jährige Greis ist umso mehr zu bedauern, da er vor zirka 11 Jahren auch schon das andere Bein gebrochen hat. Tagesgeschichte. — Der Kaiser wird also nun bestimmt wieder nach der Altmark kommen und die alten historischen Jagden in Letzlingen, bei denen Kaiser Wilhelm I. so oft geweilt und im Kreise seiner Jagdgäste (auch Kaiser Alexander II. von Rußland) sich so wohl gefühlt, werden zu neuem Leben erwachen. Das alte Jagdschloß in der Heide, das reich auch an Erinnerungen an Otto o. Bismarck ist (er ist der einzige gewesen, der das gefüllte Jagdhorn, ohne einen Tropfen auszugießen, ausgetrunken Hai), ist kürzlich renoviert worden und repräsentiert sich jetzt recht nett. Der Kaiser kommt mit seinen Jagdgästen am 12. November vormittags in Jasenitz an, und sofort geht es zum Hirsch- treiben; der Hauptjagdtag ist der 13. In der Nacht vom 13. zum 14. wird der Kaiser wieder im Neuen Palais eintressen. — Es verlautet, die deutsche Negierung beabsichtige, an der französischen Grenze zwei neue Forts für Metz errichten zu lassen. — Der deutsche Schiffsbestand ist nach der jüngsten amtlichen Ausstellung 136 Kriegsschiffe stark, von denen mehrere ganz neuen Typs sind und noch nicht einmal vollendet wurden, während wieder andere durch ihr Alter (in manchen Fällen 20 Jahre) bei den neuen Anforde rungen keinen großen Krtegswert darstellen. Unter den 136 Kriegsschiffen sind 32 Linienschiffe, 15 große Kreuzer, I I Panzerkanonenboote, 8 Küstenpanzerschisse, 10 Schul schiffe, 39 kleine Kreuzer und 9 Kanonenboote. 12 Schiffe dienen speziellen Zwecken oder Hafenzwecken. 57 Schiffe gehören zur Marinestation der Nordsee und 79 Schiffe zur Marinestation der Ostsee. Auf die Marinewerft Kiel kommen 50 Schiffe, zur Werft Danzig gehören 33 und zur Werft Wilhelmshaven 53. Die Torpedoboote sind in der amtlichen Liste nicht eingerechnet worden. — Der Ankauf der Otavi-Bahn durch das Reich soll gegen eine Zahlung des Reiches an die Gesellschaft in Höhe von 22 Millionen Mark erfolgen. Es ist anzu nehmen, daß der Reichstag schon in seiner bevorstehenden Tagung mit einer Vorlage über den Ankauf der Otavi- Bahn befaßt werden wird. Mecklenburg. Der neue Verfassungsentwurf, der dem Landtag bei seiner Eröffnung am 19. November vorgelegt werden soll, enthält folgende Bestimmungen: Der Landtag setzt sich zusammen aus 106 Abgeordneten. Davon entfallen 84 auf Mecklenburg-Schwerin, 22 auf Meckienburg-Strelitz. Von den Schweriner Abgeordneten werden 20 von der Ritterschaft, 20 von der Landschaft gewählt, 4 ernennt der Großherzog auf Lebenszeit und von den übrigen 40 werden 17 von den Städten, 23 vom Lande gewählt. Von den Streicher Abgeordneten werden 5 von der Ritterschaft, 5 von der Landschaft gewählt, einer vom Fürstentum Ratzeburg, einen ernennt der Groß- Herzog von Streich und von den übrigen 10 werden 4 von den Städten, 6 vom Lande gewählt. Wählen kann nur derjenige, der einen eigenen Herd und Haushalt be sitzt, 25 Jahre alt ist, drei Jahre die mecklenburgische Staatsangehörigkeit besitzt und ein Jahr lang Steuern ge zahlt hat. Gewählt werden kann ein Abgeordneten nur in dem Bezirk, in dem er wohnt. Die Wahlen sind öffentlich und indirekt wie in Preußen. Oesterreich-Ungarn. Bei der am Dienstag vor dem Prager Bezirksgerichte stattgehabten Verhandlung gegen den tschechischen Maschinenschlosser Emil Kucera wegen Ueberfalls auf zwei Görlitzer Oberreaischüler am 16. Juli in Brandeis ist Kucera wegen Mangel an Beweisen frei- gesprochen worden. Der Verhandlung wohnte der deutsche Konsul Freiherr v. Gebsattel bei. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Berufung eingelegt. Tirol. Aus Innsbruck wird der „Franks. Zeitung" berichtet: Der Gemeindeausschub der Ortschaft Köjsen des politischen Bezirkes Kitzbühei hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, dem Schullehrer die vor Jahrzehnten üblich gewesene Naturalsammlung wieder zu erlauben. Der Lehrer darf also von nun an wieder mit einem Korb am Arme von Tür zu Tür gehen und bei den Eltern seiner Schüler Lebensmittel zu seinem Unterhalt erbetteln. Bei dem einen Bauer wird er eine Hand voll Mehl bekommen, bei dem zweiten vielleicht einige Kartosseln und bei dem dritten, der ihm wohlgesinnt ist, etliche Eier. Bemerkt sei, daß heute das Duichschnittsgehalt eines Lehrers in Tirol un gefähr 700 Kronen (etwa 600 Mark) beträgt, also nicht einmal soviel wie der letzte Tagelöhner mühelos bei jedem Bau verdienen kann. Eine Lehrergehaltsreform, die seit Jahren angestrebt wird, konnte bisher im Landtage wegen des Widerstandes der klerikalen Majoritätsparteien nicht durchgesührt werden. Da die Gemeinden aus eigenen Mitteln der Not unter der Lehrerschaft nicht abhelsen können, entschließt man sich jetzt wieder, wie das oben angeführte Beispiel zeigt, dem Lehrer durch die Samm lung von Lebensmitteln von Haus zu Haus zu Hilfe zu kommen. Dieses Kulturbildchen aus dem „heiligen Land Tirol" bedarf wohl keines weiteren Kommentars. Dänemark. Der neue dänische Ministerpräsident Herr Zahle hat das Land und Europa gleich am Anfang seiner Amtszeit durch radikale Neuerungen in Erstaunen gesetzt. Als man hörte, daß er sich für sich und seine Minister kollegen den Exzellenztitel und die anderen den Ministern sonst zukommenden Ehren verbeten habe, fragt sich mancher, ob das wohl auch der Frau des radikalen Titelfeindes recht sein werde. Aber Frau Zahle bewies, daß sie die Ansichten ihres Gatten vollkommen teilt. Sie hat bisher als Parlamentsstenographin gearbeitet, und sie beschloß, dieses Amt weiter auszuüben. So wird Dänemark das seltsame Schauspiel erleben, daß, während der oberste Beamte des Landes von der Mintsterbank des Reichstages aus eine Rede hält, seine Frau am Stenographentische aufzeichnet, was er spricht. Diese Art der Zusammen arbeit von Mann und Frau ist jedenfalls in der Welt- gesch chte noch nicht dagewesen. Stockholm. Nach vieler, anfänglich fast hoffnungsloser Ueberlegung haben die von der Regierung bestellten Mittelmänner einen Einigungsvorschlag zur Beendigung des Streiks vorgelegt. Wie sich die Streikenden dazu stellen, weiß man noch nicht, hofst jedoch auf ein Entgegen kommen beider Parteien. Petersburg. In der vom Großfürsten Wladimir verwaltet gewesenen Pensionskasse für Ossiziere wurde ein Desizit von 150 Millionen entdeckt. Die Regierung ist bemüht, die Angelegenheit zu verheimlichen und hat für momentane Zahlungen mehrere Millionen zur Ver fügung gestellt. Saloniki. Bei Katerina, am Fuße des Olymp, wurde eine von dem Bandenführer Takis befehligte Räuber bande vernichtet, wobei zwei Salonikier Kaufleute befreit wurden.