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Bevor Jean Sibelius seine Tondichtungen nach dem finnischen Nationalepos ,,Kalevala 4 schrieb, hatte er in seinem ersten Orchesterwerk „En Saga“, das als opus 9 erschien, die Sage schlechthin, sozusagen die Idee der nordischen Sage Musik werden lassen. Man darf von ihm also nicht die Schilderung eines bestimmten heldischen Lebens erwarten. Es handelt sich vielmehr um die Darstellung der Gemütslage, aus der heraus eine solche „Sage“ ent standen ist, und in der sie vom Hörer aufgenommen wird. „Nur das in seiner scharfen be stimmten Rhythmik unmittelbar an die lose Verwandtschaft der finnisch-ukrischen und der magyarischen Sprache und Musik erinnernde dritte (c-moll-) Thema läßt die in Nebel und Schleier verhüllten Gestalten zu Helden nordischer Vorzeit sich verdichten; alles übrige ist beinahe unkörperlich, unwirklich, ist Spuk der dunklen Gewalten, die in der Seele jedes Nordländers schlummern und sich bekämpfen.“ So schreibt Walter Niemann in seiner Sibe lius-Biographie (Breitkopf & Härtel, Leipzig) und fährt dann fort: „Die Form dieses packen den nordischen Nacht- und Phantasiestückes, dieses recht eigentlichen sinfonischen Vor spiels zu Ibsens „Nordische Heerfahrt“ ist die freie der Lisztschen sinfonischen Dichtungen. Die aus breit eingeleitetem Thementeil, großem Durchführungsteil an Stelle einer ordnungs mäßigen Reprise des Thementeils und ebenso ausgedehnter Coda gebildete Dreiteiligkeit in großer sinfonischer Form ist unschwer zu erkennen. Den durchgehaltenen großen stili sierten Marschrhythmus gibt das (1.) Seitenthema der Bratsche. Das breit erzählendeHaupt- thema in Moll tut das balladische „Es war einmal“, das scharf rhythmisierte 2. Seitenthema in c-moll den Kampf und den Streit dazu. Die Verbindung und kontrapunktische Verkopp lung dieser Themen ist eng und geistreich, die Katastrophe — man ahnt sie eher und erlebt sie gewissermaßen mehr in der Erinnerung, als daß man sie unmittelbar in der Wirklichkeit erleidet — im sfffz der Bläser ganz an den Schluß gelegt. Denn wie jede alte oder neue nor dische „Saga“ endet auch Sibelius* musikalische Saga durchaus tragisch; ein durch die Klarinette mit einer rein finnisch gefärbten Melodie von rührender, stiller Traurigkeit ein geleiteter Epilog des gedämpften Streichorchesters, der immer leiser und leiser, zuletzt unter dumpf aus fernster Ferne nur eben noch vernehmlichem Marschrhythmus (Pauke mit Schlägeln pp.) sich dahinzieht, sowie ein thematisch aufs engste mitihm zusammenhängen der Prolog, aus dessen flimmernden Streicherarpeggien und geheimnisvollen langgezogenen Horntönen sich Marschrhythmus und erzählendes Sagenthema in den Bässen in spannen der Quartsextlage erst langsam und stückweise losringen, rückt das Ganze in die zeit- und raumlose Sphäre einer Vision.“ Eine Figur des deutschen Volkslebens, des deutschen Volkshumors, hat Richard Strauß in seiner Tondichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ musikalisch porträtiert. Zuerst wird uns der Schelm vorgestellt mit zwei charakteristischen Motiven. Das erste im Horn, das zweite in der Klarinette. Allerhand Streiche unternimmt er, zu Pferd setzt er mitten durch die Marktweiber, daß sie aufschreicn und nach Vergeltung rufen. Aber wir hören, wie er auskneift und sich unsichtbar macht, als habe er sich „in ein Mauseloch versteckt“. Wieder taucht er auf, diesmal als Pastor verkleidet und „triefend von Salbung und Moral“ (Thema in den Fagotten und Bratschen). Aber „aus der großen Zehe“ guckt der Schelm hervor. Und dann packt ihn doch ob des Spottes mit der Religion „ein heimliches Grauen an vor dem Ende“ (chromatisches Motiv in den 5 Soloviolinen und gedämpften Hörnern und Trompeten). Mit einem Glissando der ersten Solovioline geht es hinein in die Liebes abenteuer, deren Zeuge wir jetzt werden. Sie gehen schlecht aus für ihn. Und da schwört Till, „Rache zu nehmen an der ganzen Menschheit“. Den Philistern spielt er einen Streich und, sich dessen freuend, pfeift er einen Gassenhauer (leicht erkennbar in seiner eingängigen Melodie) vor sich hin. Neue tolle Streiche, aber die Rache naht. Till Eulenspiegel wird gefaßt und vor Gericht gestellt. Gewaltig ertönt die Posaune des Gerichts. Dann verkünden Posaunen, Hörner und Fagotte den Spruch: „Der Tod!“ Man hört, wie Till die Leiter zum Galgen hinaufsteigt, ja sogar, wie ihm (Flötentriller) die Luft ausgeht. Stille. Till ist tot. Aber der Epilog, der die Stimmung des Prologs aufnimmt und weiterführt, sagt uns, daß der Humor unsterblich ist. Diesen beiden Tondichtungen steht mit Beethovens fünfter Sinfonie ein Werk der abso luten Musik gegenüber. Freilich ist gerade diese Sinfonie ein Beispiel dafür, daß auch abso lute Musik inhaltlich bestimmt sein kann. Gestützt auf einen Ausspruch des Komponisten und auf eine dem Wesen der Komposition jedenfalls nicht widersprechende Deutung pflegt man sie die „Schicksals-Sinfonie“ zu nennen. Das ist um so eher zu rechtfertigen, als damit das Urthema aller Sinfonik angegeben ist, das Thema: „Durch Nacht zum Licht“, „Durch Kampf zum Sieg“. Wie es Beethoven hier in großartiger Weise durchgeführt hat, wie er uns aus dem düsteren c-Moll des unerbittlichen Ringensim ersten Satz hinüberführt in den stür mischen Siegesjubel des letzten, das gibt dem Werk seine besondere aktuelle Bedeutung, das stellt diese Sinfonie wie einen nicht zu überhörenden Anruf an uns mitten hinein in die Gegenwart. Dr. Karl Laux.