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Oclober 1887. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 10. 731 bei uns wohl und ehrlich errungen hat in den letzten 30 Jahren, sie ist es, die uns poli tisch und commerziell unabhängig ge macht, und wenn bei Königgrätz der preufsische Volksschulmeister über den österreichischen ge siegt haben soll, so haben ihm dabei nicht nur Banausier wie Krupp und Dreyse, sondern auch die Männer mit der unzureichenden rea listischen Allgemeinbildung und den rothen Streifen an den Hosen, die Moltke, Blumenthal u. dergl., nicht ganz unerheblich geholfen. Und wenn heute die Technik die Alpen durchbohrt, Ströme und Meeresarme überbrückt und unter tunnelt, den Schall der menschlichen Stimme auf Hunderte von Kilometern fortpflanzt, die Granaten auf Meilen schleudert und ihr Einschlagen durch Stahlpanzer von Qualitäten und Dimensionen parirt, wie man sie vor 20 Jahren noch nicht träumte, wenn heute die englische, amerikanische und belgische Industrie über die Goncurrenz der deutschen klagen und schreien, wenn wir nicht . nur von der politischen Abhängigkeit von Oester reich, Rufsland und Frankreich, sondern auch von der wirthschaftlichen Ausbeutung durch I England, Belgien und Frankreich uns emancipirt haben in den letzten 27 Jahren, so haben dazu viele glückliche Umstände, das Zusammenwirken grofser und selten veranlagter Männer in erster Linie beigetragen, und es hat ja Gott sei Dank unser ganzes Volk Seine Schuldigkeit mit Glück und Begeisterung gethan. Wir sind weit ent fernt, den deutschen Universitäten ihren Antheil an dem gewaltigen Fortschritt unseres Volkes schmälern oder bemäkeln zu wollen, wenn der selbe vielleicht auch weniger ersichtlich in den Vordergrund tritt. Dahingegen glauben wir aus sprechen zu dürfen, dafs die Entwicklung, die unser Volk und Land unter der glorreichen Regie rung unseres Kaisers genommen, zu einem so her vorragenden Theile auf Rechnung unseres Offizier standes, unserer Ingenieure und Techniker, also gerade derjenigen Stände zu setzen ist, die fast ausschlieslich auf der Basis einer realistischen Schulbildung stehen, dafs kein anderer Stand das Recht hat, sich über diese Berufsklassen irgend erhaben zu dünken und ihre Bildung als der seinigen nicht ebenbürtig zu mifsachten. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, und Ehre, dem Ehre gebührt! Ihre Ehre aber wird diesen Ständen geweigert, ihre Früchte werden nicht anerkannt, so lange die Universitäten sich weigern, die Abiturienten der Realgymnasien denen der Humangymnasien gleichzustellen. Des halb ist es die höchste Zeit, dafs man an ent scheidender Stelle von dem bald dreifsigjährigen non liquet endlich übergeht zum „Zopf ab!“ Die Männer, die seit 50 Jahren und länger aus realistischen Lehranstalten, Kadettenhäusern, Real- und Ingenieurschulen der verschiedenen Faons hervorgegangen sind, haben ein gutes Recht erworben, dafs die Nation die Beschrän kung von diesen Anstalten nehme, die eine anders geartete Zeit und die noch unzureichende Gestal tung denselben bislang aufgezwungen. Die Anstalten aber bedürfen der Beseitigung dieser drückenden Schranken, wenn sie nicht verkümmern sollen. Sie werden uns dann nicht mehr Stu denten liefern wie jetzt, aber bessere Abiturienten, die keine Proletarier zu werden brauchen, sondern ihren Beruf nach innerem Drang wählen und sich ganz sicher ebenso zahlreich dem freien Erwerbsleben zuwenden werden, wie dem Staats dienst. Dazu aber gehört die Anerkennung der Eben bürtigkeit ihrer Bildung mit der der Humangymna sien. Diese ist nur durch Freigebung aller Facultäts- studien an das Realgymnasium zu ermöglichen. Also nochmals: Zopf ab !