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878 Nr. 12. STAHL UND EISEN.“ December 1887. ziehen sich der directen Einwirkung des Unter nehmers, nicht aber die Arbeitslöhne. Diese kann er besonders in Zeiten ungünstiger Con- juncturen bis zu einem gewissen Grad beliebig herabsetzen und, wenn die Selbsterhaltung in Frage steht, wird er gezwungen sein, die ihm durch das Verbot der Sonntagsarbeit zugefügten Nachtheile durch Minderung der Löhne auszu gleichen. Die indirecten Einbufsen, welche dem Arbeiterstande drohen, dürfen daher dem directen, durch Verbot der Sonntagsarbeit herbeigeführten Verlust am Tagelohn voranzustellen sein.“ „Es bedarf keiner Begründung, dafs in demselben Mafse, in dem die wirthschaftliche Lage des Unternehmers dauernd in schwierige Verhältnisse geräth, diejenige des Arbeiters in Mitleidenschaft gezogen wird,“ bemerkt der Verein deutscher Eisenhültenleute und in gleichem Sinne sprechen sich mehrere Gewerbevereine aus. Nach der Ansicht der Handelskammer Köln würden die Arbeiter solcher Betriebe, welche in folge des Verbots eingestellt werden müfsten, die Arbeitsgelegenheit verlieren, in anderen würde der Unternehmer auf Kostenersparnifs sehen und genöthigt sein, die Arbeitslöhne möglichst herab zudrücken, keineswegs aber wäre er imstande, eine Erhöhung eintreten zu lassen. „Ausgeschlossen bleibt,“ so äufsert sich die Handelskammer Gott bus, „dafs etwa die Arbeiter, welche einen Ausfall an Arbeitsstunden erleiden, durch eine Erhöhung des Lohns schadlos gehalten werden würden; hier zu ist die Industrie absolut nicht in der Lage.“ Eine Steigerung des Lohnsatzes durch das Verbot wäre auch nach dem Urtheil der Handels kammer Heidenheim (Württemberg) nicht in Aus sicht zu nehmen: „Wohl würde dasselbe bei manchen Unternehmungen die Nothwendigkeit einer Erhöhung der Zahl der Arbeiter herbei führen, bei anderen aber eine Verminderung der Production oder selbst ein gänzliches Aufgeben derselben und damit ein Ueberflüssigwerden von Arbeitskräften, während jetzt schon ein auf die Lohnsätze drückender Ueberflufs von gewöhn lichen Arbeitskräften, zum Theil auch von tech nisch geschulten Arbeitern, vorhanden ist und eine Lohnerhöhung für besonders qualificirte Ar beiter bei denjenigen Unternehmungen, welche die Zahl der Arbeiter dieser Kategorie infolge des Verbots der Sonntagsarbeit zu verstärken genöthigt wären, nicht allein an den durch die Concurrenz gedrückten Waarenpreisen, sondern auch an dem Mehraufwande der Unternehmer für die Nach zucht solcher Arbeiter ein nicht zu überwinden des Hindernifs finden würde.“ Nach der Ansicht der Handelskammer Pforz heim würde im allgemeinen durch den Wegfall der Sonntagsarbeit keine erhebliche Lohnminde rung, aber auch keine Steigerung der Löhne ein treten: „Verminderte Leistungsfähigkeit bedeutet verminderte Nachfrage, eine Lohnsteigerung aber ist nur möglich, wenn die Producte gesucht und des halb auch preissteigerungsfähig sind.“ „Arbeits minderung zieht Lohnminderung und somit nur Nachtheile nach sich, von der Gelegenheit zum Bummeln ganz abgesehen.“ (Arbeiterbildungs verein Mannheim.) Dafs diese Lohnminderung durch anderweitige Vortheile ausgeglichen werden könnte, wird vom Verein deutscher Eisenhüttenleute, vom Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirthschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen, sowie von mehreren Handelskammern und Kranken kassen bestritten. Der zweitgenannte Verein äufsert sich hierüber folgendermafsen: „Dafs diese vor aussichtlichen Nachtheile durch andere Vortheile aufgewogen werden könnten, wagen wir nicht zu behaupten. Bei Einschränkung der Sonntags arbeit auf das von uns bezeichnete Mafs, also bei strenger Verhütung jeder ohne Noth vorge nommenen Sonntagsarbeit, ist die Annahme ge rechtfertigt, dafs den Arbeitern vollkommen aus reichende Zeit zur Feier und Heiligung des Sonn tags, sowie zur Ruhe gegeben wird. Welche Vortheile aus einem gänzlichen Verbot der Sonntags arbeit hervorgehen könnten, um die drohenden materiellen Nachtheile auszugleichen, ist nicht ersichtlich.“ „Den Arbeitern würde,“ bemerkt die Handelskammer Darmstadt, „die Möglichkeit genommen, sich einen Nebenverdienst zu sichern und damit zur Besserung ihrer Lage beizutragen.“ Der Vorstand der Krankenkasse für den Land kreis Erfurt theilt im gleichen Sinne den folgen den Fall mit: „Ein dem Kassenvorstand ange höriger Fabrikbesitzer beschäftigte unter Anderen einen Arbeiter, welcher durch unverschuldetes Unglück (Krankheiten in der Familie) in Schulden gerathen war und nicht wufste, wie er sich von denselben retten solle. Da er ein ordent licher und thätiger Mann war, so ergab er sich nicht, wie viele Andere, dem Trünke, um die Sorge zu betäuben, sondern er trug seinem Ar beitgeber sein Leid mit der Bitte vor, ob es nicht möglich sei, ihm einen Nebenverdienst zu ver schaffen ; sein wöchentlicher Arbeitslohn reiche gerade für ihn und seine Familie hin und übrig bleibe ihm dabei nichts: er wolle gern arbeiten. Der Arbeitgeber wies ihm für die Sonntagvor mittage eine Arbeit an, bei welcher jener bei seinem Fleifs 1,50 •46 verdiente, und da er, wie gesagt, ein nüchterner und strebsamer Mann war, so gelang es ihm, sich durch diesen Sonntags verdienst allmählich von den drückenden Schul den zu befreien.“ Eine Hülfskasse in Hessen führt an: „Die Arbeiter haben meistentheils sehr zahlreiche Familien und, wenige besser situirte ausgenom men, arbeiten dieselben recht gern an Sonntagen, da jeder Nebenverdienst sehr erwünscht ist. Bei gänzlicher Aufhebung der Sonntagsarbeit wird manches anders werden.“ Vielfach wird ferner