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December 1887. STAHL UND EISEN. "Nr. 12. 865 Berufsarbeitern in der Regel erst nach längerer Arbeitsthätigkeit eintreten. Um jedoch auch den jenigen Fällen Rechnung zu tragen, in welchen ausnahmsweise die Erwerbsunfähigkeit schon nach kurzer Arbeitsthätigkeit eingetreten ist, wird aus nahmsweise die Rente auch vor Ablauf der Wartezeit gewährt werden müssen, wenn die In validität nachweislich aus Anlafs der Berufsarbeit ungewöhnlich frühe eingetreten ist; ebenso wird nachgelassen werden können, dafs ein Theil der Rente auch solchen Personen, welche aus anderen Gründen vor Erfüllung der Wartezeit erwerbsun fähig werden, gewährt werden darf, sofern Billig keitsgründe vorliegen. Hiernach empfiehlt es sich, die Dauer der Wartezeit bei der Altersrente auf 30 Jahre, bei der Invalidenrente, vorbehaltlich solcher Ausnahmefälle, auf 5 Jahre zu bemessen. Während der Uebergangszeit wird, um das Ge setz auch bezüglich der Altersrente alsbald prak tisch werden zu lassen, nicht der Nachweis von Beiträgen, sondern nur der Nachweis wirklicher Arbeit während derselben Anzahl von Jahren, welche die regelmäfsige Wartezeit für die Invali denrente bilden, zu fordern sein. Dagegen er scheinen besondere Uebergangsbestimmungen für die Invalidenrente nicht durchaus erforderlich, weil die letztere nach den Vorschlägen der Grund züge schon nach einjähriger Beitragsleistung ent weder voll gewährt werden mufs (sofern nämlich die Erwerbsunfähigkeit Folge einer Berufskrank heit ist), oder in anderen Fällen doch wenigstens zur Hälfte gewährt werden darf (Ziffer 9). Die Kosten einer solchen Regelung sind für den Jahresdurchschnitt überschläglich auf 156 Mil lionen Mark veranschlagt, woran das Reich, der Arbeitgeber und der Arbeiter mit je einem Drittel zu betheiligen sein dürften. Ohne Reichszuschufs wird die Alters- und Invalidenversicherung nicht durchzu führen sein. Werden die Kosten an nähernd jene Höhe erreichen, so entfällt auf den Kopf der Versicherten im Durchschnitt ein Ge- sammtbeitrag von jährlich 1346 oder bei 300 Arbeitstagen ein Betrag von weniger als täglich 5 Pfennigen, ausschliefslich der Verwaltungskosten. Bei Drittelung dieses Betrages würde also sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeiter im Durchschnitt kaum 2 Pfennige für den Arbeitstag zu entrichten haben. Bei diesen Rechnungen ist zur gröfseren Sicher heit im Zweifelsfalle stets das Ungünstigere zu Grunde gelegt worden. Thatsächlich werden sich aber die Gesammtkosten bei den inzwischen in Angriff genommenen eingehenderen Rechnungen voraussichtlich niedriger stellen, zumal bei der bisherigen überschläglichen Veranschlagung die zahlreichen land- und forstwirthschaftlichen Ar beiter derselben Invaliditätsgefahr und Alters- gruppirung unterstellt worden sind, wie die in dustriellen Arbeiter, obwohl bei jenen die Ver hältnisse wesentlich günstiger liegen. Legi man die Gesammtzahl der in der Be rufsstatistik nachgewiesenen Erwerbsunfähigen zu 1 Grunde und überträgt auf diese die in den Grundzügen in Aussicht genommenen Rentensätze, so würde ein Jaliresbedarf von etwa 162 Millionen Mark sich ergeben. Dieser Betrag aber ermäfsigt sich, selbst bei Berücksichtigung einer möglichen Steigerung der Zahl der Erwerbsunfähigen, auf etwa 145 Millionen Mark, wenn man die in der Berufsstatistik mit berücksichtigten, bei der In validenversicherung aber ausscheidenden Unfalls- Invaliden und die erwerbsunfähigen Selbständigen in Abzug bringt. Aber auch bei 162 Millionen Mark beträgt der Durchschnittsbeitrag eines männ lichen Arbeiters noch nicht 2 Pfennige für den Arbeitstag; und durchschnittlich zwei Pfennige für den Kopf und Arbeitstag des männlichen Ar beiters kann wohl jeder Arbeitgeber und jeder Arbeiter erschwingen.* Uebrigens werden die Beiträge innerhalb der einzelnen Berufszweige je nach der Höhe der Invaliditätsgefahr derselben verschieden hoch ausfallen, und insbesondere in der Landwirthschaft, welche eine der Gesundheit im allgemeinen zuträglichere Beschäftigung dar bietet, hinter dem Durchschnitt Zurückbleiben. Hiernach wird auch die Landwirthschaft trotz ihrer zur Zeit bedrängten Lage die neue Last tragen können, zumal dieser Belastung aus gleichend eine Erleichterung der öffentlichen Armenlast und eine Vertheilung derselben auf gröfsere leistungsfähige Verbände gegenübersteht. Als Aufbringungsmodus empfiehlt sich für den Antheil der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer das Versicherungsprincip, beziehungsweise das Prämienverfahren, d. h. die Aufbringung der aus den zu erwartenden Invaliditätsfällen voraussicht lich erwachsenden Last durch im voraus berech nete feste Prämien. Denn bei dem Umlagever fahren würden spätere Arbeiter in für sie uner schwinglicher und innerlich nicht gerechtfertigter Weise zu Gunsten der gegenwärtigen Arbeiter belastet werden. Für den Beitrag des Reichs kommt jedoch in Betracht, dafs ein Staatswesen in der Regel nur die in jedem Jahre thatsächlich erwachsen den Ausgaben deckt, ohne die Kräfte der Steuer zahler für künftige Ausgaben vorweg in Anspruch zu nehmen und den Kapitalbetrag der letzteren verzinslich anzulegen. Auch steht der Ansamm lung von jährlich etwa 52 Mill. Mark und ihrer Zinsen — woraus dann die jährlichen Zuschüsse zu den Invalidenrenten zu decken sein würden — *) An Beiträgen zur Krankenversicherung zahlt der Arbeiter 1 bis 3 Procent, der Arbeitgeber 1/2 bis 11/2 Procent des Arbeitslohns, also bei 600 • Durch- schnittslobn und 300 Arbeitstagen der Arbeiter täg lich 2 bis 6 Pfennige, der Arbeitgeber täglich 1 bis 3 Pfennige. Die Unfallversicherung belastet nach den vorErlafs des Unfallversicherungsgesetzes aufgeinachten Berechnungen in der Industrie den Arbeitgeber mit durch schnittlich l’/s Procent des Arbeitslohns, also bei glei chen Ziffern mit 21/4 Pfennig für den Kopf und Arbeitstag.