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448 Nr. 7. STAHL UND EISEN.“ Juli 1887. Mehrverbrauch an Wärme ein, wie die am Fufse der Seite mitgetheilte Formel* erkennen läfst; bei Erhitzung über 723° hinaus bis zu 1000° war der Wärmebedarf wieder geringer als innerhalb jener angegebenen Temperatur**. Bei der Behandlung von Kupfer in der näm lichen Weise war eine derartige plötzliche Aen- derung des für bestimmte Temperatursteigerungen erforderlichen Wärmeverbrauchs nicht zu ent decken. Pionchon schliefst aus seinen Be obachtungen , dafs innerhalb jener kritischen Temperatur — 660 bis 723° — eine moleculare Aenderung eintrete, zu welcher Wärme ver braucht werde. Den scheinbaren Widerspruch in den An gaben Brinells und Pionchons — ersterer be obachtete, wie erwähnt, den Vorgang nur beim kohlenstoffreicheren schmiedbaren Eisen und schrieb die Ursache einer Aenderung in der Form des Kohlenstoffgehalts zu — veranlafsle Osmond (dessen Untersuchungen über die For men des Kohlenstoffs im Stahle bereits im vorigen Jahrgange von »Stahl und Eisen« Seite 374 besprochen wurden), die Unter suchungen mit Eisen- und Stahlsorten von ver schiedener Zusammensetzung durch Glühen und Erkaltenlassen in einer Stickstoffatmosphäre unter genauer Messung der Temperaturen zu wiederholen***. Die von ihm erlangten Er gebnisse sind im wesentlichen folgende: Flufseisen mit 0,16 % Kohle, auf 1200° erhitzt, liefs bei allmählicher Abkühlung eine dreimalige Verzögerung der Temperaturabnahme erkennen: zuerst zwischen den Temperaturen von 863 bis 820° und zwar am deutlichsten zwischen 845 bis 839°; sodann bei 775 bis 736° (am deutlichsten zwischen 763 und 749°); endlich, jedoch nur mit Hülfe eines Chrono graphen deutlich erkennbar, zwischen 693 bis 669°. Osmond schreibt die ersten beiden Ver zögerungen den stattfindenden molecularen Aen- derungen des Eisens zu und berechnet die hier durch beim Abkühlen frei werdende, beim Er wärmen verbrauchte Wärme zu 5,1 Wärme einheiten (Pionchon fand 5,3 Wärmeeinheiten), während er die unbedeutende, zwischen 693 und 669° eintretende Verzögerung der Abkühlung auf die eintretende Umwandlung des Kohlenstoffs zurück führt, dessen geringe Menge in dem vorliegenden Falle die Undeutlichkeit der Erscheinung erkläre. Beim Abkühlen von Stahl mit 0,57 % Kohlenstoff trat statt der beim weichen Flufs eisen beobachteten ersten beiden Verzögerungen erst in einer Temperatur von 736 bis 690° eine Verzögerung der Abkühlung ein; dann sank das * Formel: qo = 0,57803 t - 0,001435987 t 2 + 0,000001195 t 3 . ** Formel: qö = 0,218 t — 39. *** Gomptes rendus, t. Gill p. 743 und 1135, t. GIV p. 985. Thermometer gleichmäfsig auf 675°, stieg von hier aus plötzlich wieder auf 681° und setzte nunmehr gleichmäfsig seine Bewegung nach unten fort. Die erste Verzögerung ist nach Osmonds Ansicht auch hier durch die moleculare Aenderung des Eisens, die zweite, weit deutlicher als beim kohlenstoffarmen Flufseisen auftretende und in eine Wiedererwärmung sich umwandelnde Verzögerung durch die Aenderung des Kohlen stoffs hervorgerufen. Wurde der Stahl, während seine Temperatur bei der Abkühlung bis auf jenes zwischen den beiden kritischen Punkten — 736 und 675° — liegende Mafs gesunken war, plötzlich in kaltem Wasser abgelöscht, so ergab die chemische Untersuchung den Kohlenstoff in der Form der Härtungskohle, obgleich der Stahl noch vollständig gut feilbar war; ein Ablöschen bei höherer Temperatur als 736° rief erst die eigentliche Stahlhärtung hervor, und Osmond glaubt in diesem Umstande eine Bestätigung der von ihm in seiner früheren Arbeit* bereits aus gesprochenen Ansicht zu finden, dafs die Här tung des Stahles durch eine bestimmte Molecular- form des Eisens bedingt sei, welche, in höherer Temperatur entstehend, sich bei plötzlicher Ab kühlung nicht wieder vollständig in die gewöhn liche Form umwandele, sofern das Eisen kohlen stoffhaltig ist. Ein Ablöschen des Stahls in niedrigerer Temperatur als 675° blieb überhaupt ohne Erfolg. Bei der Wiedererliitzung des Stahls fielen die beiden Vorgänge zusammen und verriethen sich durch eine Verzögerung in dem Steigen des Thermometers zwischen 719 und 747°. Stahl mit 1,25 % Kohlenstoff zeigte auch beim Abkühlen beide Vorgänge, die moleculare Aenderung des Eisens und die Umwandlung des Kohlenstoffs, vereinigt, und zwar traten dieselben bei einer Temperatur von 694° ein, wo das fallende Thermometer plötzlich wieder auf 704° stieg. Bei der Erhitzung des Stahls liefs sich eine Verzögerung zwischen 723° und 743° wahrnehmen. Osmond schliefst aus diesen Beobachtungen, dafs mit der Zunahme des Kohlenstoffgehalts im schmiedbaren Eisen die Temperatur, wo die Form des Kohlenstoffs sich ändert, höher, die Temperatur, wo die moleculare Aenderung des Eisens stattfindet, dagegen niedriger werde und dafs demgemäfs beide Temperaturen zusammen fallen , sobald ein gewisses Mafs des Kohlen- stoffgehalts — nach den erwähnten Versuchen 0,57 % — erreicht sei**. Beim plötzlichen Ablöschen des glühenden * Vergl. »Stahl und Eisen« 1886, S. 377. ** Diese Theorie steht jedoch nicht im Einklänge mit den oben mitgetheilten Beobachtungen Pionchons. Derselbe fand—wieerwähnt—auch im chemisch reinen Eisen schon in den Temperaturen von 660 bis 723° einen Mehrverbrauch an Wärme beim Erhitzen.