Volltext Seite (XML)
Ueber ein beachtenswerthes Verhalten des Eisens und Stahls. Von A. Ledebur. Es ist bekannt, dafs die specifische Wärme des Eisens, ebenso wie die anderer Körper, mit der Temperatur steigt und bei 1000° G. an nähernd doppelt so grofs ist als bei Null Grad. Weniger allgemein bekannt ist es jedoch, dafs diese Zunahme der specifischen Wärme des Eisens beim Erhitzen nicht ganz gleichmäfsig mit der Temperatur Schritt hält. Erwärmt man ein Eisen- oder Stahlstück gleichmäfsig, so tritt ein Zeitpunkt ein, wo dessen Temperatur lang samer als bisher steigt, bis bei fernerer Wärme zufuhr jener kritische Punkt überschritten ist; läfst man das stärker erhitzte Eisenstück abkühlen, so zeigt sich bei jener nämlichen Temperatur ein Stillstand in der Temperaturabnahme oder sogar eine plötzliche Wiedererwärmung. Es wird also bei der Erhitzung des Eisens innerhalb jener Temperatur offenbar Wärme verbraucht, um moleculare oder chemische oder beide Aen- derungen zugleich hervorzubringen; und die gleiche Wärmemenge wird frei, wenn bei der Abkühlung des stärker erhitzten Eisens jener Punkt wieder erreicht ist. Ueber diesen Vorgang sind in den letzten Jahren von verschiedenen Naturforschern Unter suchungen angestellt worden, deren Ergebnisse auch für den Eisenhüttenmann nicht ohne In teresse sein dürften. Schon im Jahre 1869 beobachtete Gore, dafs, wenn man einen hellglühenden Eisendraht allmählicher Abkühlung überläfst, die mit der Abkühlung verbundene Verkürzung seiner Längen abmessung nicht gleichmäfsig verläuft, sondern dafs sehr bald nach dem Beginne der Abkühlung eine plötzliche Wiederverlängerung eintritt. Pro fessor Barrett ergänzte 1873 durch fernere Untersuchungen diese Beobachtung dahin, dafs bei der Erhitzung eines kalten Drahtes eine plötzliche Verkürzung desselben in der nämlichen Temperatur wahrzunehmen sei, wo bei der Ab kühlung'jene Verlängerung eintritt; sowie ferner hin, dafs jene Verlängerung Hand in Hand gehe mit einer plötzlichen, selbstthätigen Wiedererhitzung des abkühlenden Drahtes, welche für das Auge durch das stärkere Erglühen des vorher nur noch dunkel rothglühenden Drahtes besonders deutlich erkennbar werde, wenn man den Ver such in einem dunklen Raume ausführe*. Später, im Jahre 1884, prüfte J. A. Brinell diesen Vorgang, wie es scheint, ohne mit den * Philosophical Magazine, series IV, vol. 46 (1873), p. 472. früheren Arbeiten Gores und Barretts bekannt zu sein*. Er fand, dafs, wenn man einen Stahlstab an dein einen Ende erhitzt und dann allmählich abkühlen läfst, plötzlich auf der Grenze zwischen dem vorher nicht erhitzt gewesenen und dem noch rothglühenden Theile ein hellerer Fleck erscheint, welcher sich ver- gröfsert und über die ganze Oberfläche des glühenden Theiles ausdehnt, worauf dann die Abkühlung in gewöhnlicher Weise verläuft. Den Grund dieser Erscheinung glaubt Brinell in dem Freiwerden von Wärme suchen zu müssen, welches die Folge sei des Uebergangs der soge nannten Härtungskohle in Gementkohle; und der Umstand, dafs die Erscheinung sich nicht zeigte, wenn er weiches Flufseisen in der nämlichen Weise behandelte, spricht für die Richtigkeit seiner Anschauung. Auch Professor Barrett hebt in seiner oben erwähnten Abhandlung hervor, dafs Stahldraht deutlicher als weicher Eisendraht die plötzliche Verlängerung beim Abkühlen er kennen liefse, spricht aber bei der Beschreibung des Erglühens allerdings nur von Eisendraht. In sehr wissenschaftlicher Weise untersuchte Pionchon im vorigen Jahre den Wärmeverbrauch zur Erhitzung des Eisens auf bestimmte Tem peraturen , indem er mit Hülfe genauer Instru mente die betreffenden Temperaturen und die bei denselben vom Eisen aufgenommenen Wärme mengen ermittelte**; und es ergiebt sich aus seinen Untersuchungen, dafs doch auch beim weichen, ja selbst beim chemisch reinen, durch Glühen von Eisenoxydul im Wasserstoffstrome erzeugten Eisen in einer bestimmten Temperatur ein plötzlicher Mehrverbrauch von Wärme beim Erhitzen — zweifellos also auch ein Freiwerden von Wärme beim Abkühlen aus höherer Tem peratur — zu bemerken ist. Er benutzte weiches Schmiedeisen, später auch, wie erwähnt, reinen Eisenschwamm , für seine Versuche. Während in den Temperaturen zwischen Null bis 660° G. die Menge der vom Eisen aufge nommenen Wärme gleichmäfsig mit der Tempe ratur stieg***, trat plötzlich innerhalb der Tem peraturen von 660 bis 723° jener erhebliche * Die betreffende, zuerst in den Jernkontorets annaler veröffentlichte Abhandlung ist ihrem vollen Umfange nach in deutscher Uebersetzung in »Stahl und Eisen« 1885, Seite 611 wiedergegeben. ** Gompt.es rendus, t. GII p. 1454. *** Pionchon giebt für die Berechnung der inner halb der angegebenen Temperaturen aufgenommenen Wärme die Formel: q0= 0,11012t 4- 0,00002533333 12 + 0,00000005466664 H.