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Juli 1887. „STAHL UNI) EISEN.“ Nr. 7. 495 1875, bei 37 Millionen Spindeln, nicht mehr als 115 391 Männer. Anders steht es mit der Zahl der jugendlichen Arbeiter. Die Zahl der beschäftigten Kinder ist mit der wachsenden Gefahr der Handelsstockungen von 14 993 in 1850 auf 66 900 in 1875 gestiegen. Aehnlich soll es sich in England mit der expor- tirenden Flachs- und Kammgarnindustrie verhalten. Lobren fragt nun, was geschehen wäre, wenn England die Kinderarbeit verboten und die Arbeitszeit der jugendlichen Personen — wie es jetzt in Deutschland die Socialdemokraten erstreben — wesentlich beschränkt haben würde, und antwortet: Es hätten in der Ba um wollen In dustrie allein 190 000 jugendliche Ar beiter durch selbständige Männer und Frauen ersetzt werden müssen und bei der ersten schweren Krisis würde die gröfste Industrie der Welt in Trümmer gefallen sein. L obren versichert, dafs Niemand mehr wie er dieses Resultat (die umfangreiche Beschäftigung von Kindern und Frauen) bedauere, „da aber Hunger und Bettelei ein härteres Loos als Arbeit und Ordnung sei, es aber nicht in menschlicher Macht liege, Armuth und Elend aus der Welt zu schaffen, so müsse man die Kinder- und Frauenarbeit mit dem Auge des Nationalökonomen ansehen, so müsse man die Gesa mm tinteressen des Volkes abwägen, wenn man untersuchen will, wie England dazu gekommen sei, seine gewaltigeBaumwollen-Industrie diesen schwachen Händen anzuvertrauen.“ Lohren bezeichnete denn auch, mit Rück sicht auf die ausländische Goncurrenz und die damals von Deutschland verfolgte Zoll- und Handelspolitik , schon die bestehenden Be schränkungen als zu weitgehend, und eine Fort entwicklung der Gewerbeordnung in dem bis dahin verfolgten, lediglich von Humanitätsrück- sichten vorgezeichneten Wege als eine, den Unter gang der deutschen Industrie, mindestens der Tex tilindustrie nothwendig herbeiführende Mafsregel. Soweit gehen wir in unseren Be fürchtungen und Anforderungen nicht; wir wissen auch, dafs der Abgeordnete Lohren, namentlich mit Rücksicht auf die im Deutschen Reich geänderte Wirthschaftspolitik, seine da maligen Ansichten und Urtheile wesentlich modi- ficirt hat. Aber wir verweisen darauf, dafs bis her noch nicht der Versuch gemacht worden ist, den Nachweis zu führen, dafs die gegenwärtige Gesetzgebung in der vorliegenden Sache unzu reichendsei, oder gar schädlich wirke. Wir sind vielmehr, nach manchen neueren Er fahrungen, überzeugt, dafs eine Aenderung im Sinne des Antragstellers zum Nachtheil für die zu schützenden Personen, wie für die Arbeiterbevölkerung im allge meinen ausschlagen würde. Zunächst constatiren wir, dafs die Beschäf tigung von Kindern in Deutschland verhältnifs- mäfsig gering ist; dieselbe betrug nach den Be richten der Fabrikinspectoren 1882 rund 14 600 1883 „ 18 400 1884 „ 18 895 Der Bericht pro 1885 enthält diese Statistik nicht. Die Gesammtzahl der jugendlichen Arbeiter ein- schliefslich der Kinder stellt sich pro 1883 wie folgt: 143 805 1882 123 543 1883 mehr 20 262 Die Zunahme pro 1883 ist nur scheinbar. Zur Erklärung wird in dem Jahresbericht pro 1883 Seite 693 gesagt: „Nach den aus den einzelnen Bezirken er sichtlichen Angaben ist diese erhebliche Zunahme (aller jugendlichen Arbeiter um rund 20 000 gegen das Vorjahr) nicht lediglich auf eine thatsächliche Vermehrung der jugendlichen Ar beitskräfte, sondern vielmehr und über wiegend darauf zurückzuführen, dafs die für 1883 dieserhalb bewirkten statistischen Erhebungen mit gröfster Zuverlässigkeit und Vollständigkeit haben vorgenommen werden können.“ Von den in Deutschland 1884 in Fabriken arbeitenden Kindern wurden in dem industrie reichen Sachsen allein 8666, in der Textilin dustrie dieses Landes 4651, in derjenigen ganz Deutschlands 6906 beschäftigt. Hieraus ist er sichtlich, dafs eine plötzliche Beseitigung der Kinderarbeit ungemein schwer in die bestehenden Verhältnisse eingreifen würde. Auch für die Zweifel, welche der Zweck- mäfsigkeit des allgemeinen Ausschlusses der Kinderarbeit entgegengehalten werden, sprechen neuere Thatsachen. Gefahren liegen namentlich in Bezirken vor, in denen sich Gelegenheit zur Beschäftigung der Kinder in der Hausindustrie bietet. So berichtet der Gewerberath im Reg.- Bez. Düsseldorf: „Die ungesetzliche Kinderbeschäftigung in den Fabriken ist nahezu beseitigt. In der Hausindustrie, auf welche sich die Arbeitsbestimmungen der Gewerbeordnung nicht erstrecken, findet dagegen ein Mifsbrauch der Kinder zu gewerblichen Ar beiten in ausgedehntem Mafse statt und es wäre der ernsten Erwägung werth, ob demselben nicht gesetzgeberisch entgegenzutreten ist, da es klar zu Tage liegt, dafs der Schulzwang und die den selben regelnden Bestimmungen nicht ausreichen, um die Kinder vor Ueberarbeitung und Sichthum zu schützen. Gleiches gilt für die in der Hausin dustrie beschäftigten jungen Leute und Mädchen.“