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Ueber die Stahlerzeugung aus phosphorreichen Seeerzen zu Wärtsilä in Finnland. Vortrag des Bergingenieurs Tigerstedt im finnischen technischen Vereine zu Helsingfors, übertragen von Dr. Leo. (Hierzu die Zeichnungen auf Blatt XXII.) Lange Zeit hindurch liefsen die grofsartigen Fortschritte, die während der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der Eisenindustrie im Auslande gemacht wurden, unser Land so ziemlich unbe rührt. Der letzte Fortschritt hierzulande bis in die jüngste Zeit war vor ein paar Jahren die Einführung des Puddelprocesses — eines Pro- cesses, der sich in der That für Finnland be sonders zu eignen scheint. Obwohl indessen dieser Procefs hier an vielen Stellen zu besonders hoher Vervollkommnung gebracht ist, die in Wahrheit unsere einheimischen Arbeiter ehrt, so ist es gleichwohl klar, dafs derselbe länger ebenso wenig hier, als im Auslande, mit denjenigen den Wettbewerb auszuhalten vermag, die Eisen und Stahl im geschmolzenen Zustande oder soge nanntes Flufsmetall herstellen. Aber zur Flufs- eisenerzeugung überzugehen, war nicht so leicht, als dies aussehen konnte für den Theil der finni schen Eisenindustrie, der auf die einheimischen Rohmaterialien beschränkt ist, die hierbei in Frage kommen. So lange man nur über saure Ma terialien zur Ausfütterung von Convertern und Oefen zu verfügen hatte, wär nicht daran zu denken, denn nennenswerthe Quantitäten phos phorfreier Seeerze standen nicht zur Verfügung und das saure Futter stand der Beseitigung des Phosphor? im Wege, verursachte sogar, dafs der Phosphorgehalt im fertigen Producte procentual gröfser war, als im Rohmateriale. Als man im Auslande die Converter mit basischem Materiale auszufüttern lernte, da schien ein neuer Tag an zubrechen für die finnische Eisenindustrie. Bald hörte man jedoch Sachkenner behaupten, dafs für den basischen Bessemerprocefs der Phosphor gehalt des finnischen Roheisens aus Seeerzen zu klein sei, da er selten 1,5 % übersteigt und der Thomasprocefs, bei dem gerade der Phosphor das Brennmaterial ausmacht, durch dessen Ver brennung das Material flüssig erhalten wird, 2,5 bis 3,0 % davon erfordert. Wäre es nun auch einerseits nicht unmöglich, den Mangel an Phosphor durch eine gröfsere Zufuhr an Silicium wettzumachen, so stand der Einführung des Converterbetriebes in Finnland der Umstand hindernd im Wege, dafs derselbe mit einer Wassererzeugung unzertrennbar ver bunden ist. Zu derselben fehlen aber in Finn land, wo man von den Seeerzen und Holzkohlen abhängig ist, die Grundlagen, indem beide um das Doppelte und mehr vertheuert würden, sobald die Production eine bestimmte Grenze über schreitet. Man sieht somit, dafs der einzige Procefs, der dem finnischen Hüttenmanne übrig bleibt, nothwendigerweise der Martinprocefs ist. Der Nachbar Finnlands, Schweden, hat ihn be reits lange adoptirt, und die Menge der Martin öfen, die zur Zeit dort im Feuer stehen, beweist sattsam, wie passend der Procefs für die ein schlägigen Verhältnisse ist! Seine Vorzüge sind: geringes Anlagekapital, Verwendbarkeit jedweden Brennmaterials — alte Sägespäne, Torf u. s. w. — Regulirbarkeit des Processes nach Belieben während des Arbeitsverlaufs und Erreichbarkeit einer genaueren chemischen Zusammensetzung des Productes und einer besseren Qualität, An wendbarkeit der Abfälle an Schrott und Roheisen, wie überhaupt von Materialien von nahezu will kürlicher Beschaffenheit. Letzteres gilt jedoch nicht vom sauren Processe, bei dem nur absolut phosphorfreie Materialien Verwendung finden dürfen. Es war deshalb erst dann ein Procefs gefunden, der allen Anforderungen der auf Seeerze basirten finnischen Eisenindustrie Genüge leistete, als es geglückt war, in Frankreich, in Belgien und ganz besonders in Petersburg Martinöfen mit I basischen Materialien zuzustellen. Indessen be steht annoch eine Schwierigkeit, die freilich nicht dem Matinprocesse selbst eigen, trotzdem aber doch von wesentlicher Natur ist: der Martin procefs erfordert als Material Schrott, um ökonomisch betrieben werden zu können, nament lich in Finnland, wo Bergerze fehlen, die sich zum sogenannten Erzprocesse eignen. Wo sollte man aber in diesem ausgedehnten Lande zu er träglichen Preisen soviel Schrott ansammeln und anschaffen, dafs ein regulärer Ofenbetrieb damit ermöglicht würde? In Rücksicht hierauf hat wohl selten eine Erfindung zu einem günstigeren Zeitpunkte ge macht werden können, als die der Husgafvel- sehen Stücköfen*, und mit berechtigtem Stolz kann der Finne constatiren, dafs die Ehre, einen Procefs erfunden zu haben, der sich speciell für die finnischen Verhältnisse eignet, ganz und gar finnischen Männern gehört. Es mag gestattet sein, hier vor dem technischen Forum des Landes * Vgl D. R.-P. Nr. 37 178.