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450 Nr. 7. „STAHL UND EISEN.“ Juli 1887. liehe Beschaffenheit jener Kohlenstoffformen, ins besondere der bei langsamer Erkaltung ent stehenden sogenannten Gement- oder Glühkohle noch Meinungsverschiedenheiten obwalten. Einige halten sie für selbständig ausgeschiedenen Kohlen stoff; Andere glauben hier eine bestimmte chemische Verbindung nach Atomverhältnissen zwischen Eisen und Kohlenstoff entdeckt zu haben; noch Andere — zu denen ich selbst gehöre — sind der Meinung, dafs aus der im glühenden Zustande gleichmäfsigen Legirung — gegenseitigen Lösung — von Eisen und Kohlen stoff bei allmählicher Abkühlung eine kohlenstoff reiche Legirung, deren quantitative Zusammen setzung aber nicht immer genau dieselbe zu sein braucht, sich von der nunmehr den Grund- bestandtheil des langsam abgekühlten Stahls bildenden kohlenstoffarmen Legirung sondere. Bisher war man allgemein der Ansicht, dafs der Härtungsprocefs eine unmittelbare Folge sei jener durch die plötzliche Abkühlung bewirkten Be hinderung des Zerfallens der im hellglühenden Zustande gleichartigen Eisenkohlenstofflegirung; Osmond bestreitet die Richtigkeit dieser Anschau ung und schreibt, wie oben erläutert, dem Kohlenstoffgehalte nur einen mittelbaren Einflufs beim Härten zu. Jedenfalls bedarf es noch fernerer Aufklärung, ehe der innere Vorgang beim Härten des Stahls uns vollständig durchsichtig vor Augen liegt. Auch zwischen Osmonds und Pionchons Be obachtungen bleibt noch, wie schon erwähnt, ein Widerspruch bestehen. Einstweilen sei es gestattet, darauf hinzuweisen, dafs man ganz ähnliche Erscheinungen, wie sie von Osmond, Brinell und Anderen beim erkaltenden Stahle beobachtet wurden, bereits früher auch bei anderen Legirungen wahrgenommen hat, ein Umstand, welcher als ein fernerer Beweis für die von mir bereits vielfach vertretene Ansicht dienen kann, dafs das kohlenstoffhaltige Eisen keineswegs, wie man früher gewöhnlich anzu nehmen geneigt war, als ein seiner chemischen Beschaffenheit nach ganz absonderliches Erzeug- nifs dasteht, sondern nichts anderes ist als eine Legirung der beiden Körper, deren ganzes Ver halten sich vollständig den Gesetzen anpafst, welche für das Verhalten der Legirungen im allgemeinen mafsgebend sind. Schon im Jahre 1847 machte Person auf einen derartigen Vor gang aufmerksam, welcher beim Abkühlen der d’Arcetschen Legirung (aus 8 Theilen Wismuth, 5 Theilen Blei, 3 Theilen Zinn bestehend und bei 96° G. erstarrend) bemerkbar wird*. Die betreffenden Miltheilungen scheinen mir bedeutungs voll genug zu sein, um hier im kurzen Auszuge wiedergegeben zu werden. * C. C. Person, Sur la chaleur specifique anomale de certains alliages et sur leur rchauffement spontan aprs la solidification. Comptes rendus t. XXV p. 444. Person benutzte für seine Versuche ein Glasfläschchen (une arnpoule), in welches das geschmolzene Metall eingegossen wurde; ein hineingestecktes , in das Metall eintauchendes Thermometer diente zum Messen der Temperatur. Er beschreibt nun den Vorgang folgendermafsen : „Nehmen wir an, dafs das Fläschchen 150 g „der d’Arcetschen Legirung enthält, so gebraucht „das Thermometer, welches bei 130° (während „die Legirung flüssig war) in 5 bis 6 Secunden „1° fiel, um von 96° auf 94° zu fallen, mehr „als 400 Secunden. Offenbar wird innerhalb „dieses Abschnittes die gebundene Schmelzwärme „frei. Ist die Erstarrung beendet, so nimmt „das Thermometer seinen regehnäfsigen Gang „wieder auf, indem es binnen 10 oder 12 Se- „cunden um 1° fällt, bis es auf 57° angelangt „ist. Alsdann steht es plötzlich still und steigt „sogar um 1 bis 2°; gleichzeitig wird das „Fläschchen durch eine beträchtliche Ausdehnung „der ganzen Masse zersprengt und diese Aus- „dehnung bleibt auch nach dem Erkalten be- „stehen, so dafs das vorher fest eingegossene „Thermometer vollständig frei wird. Es findet „demnach in jener Temperatur von 56 bis 58° „eine Aenderung in der Constitution der Le- ngirung unter Freiwerden von Wärme statt.“ Durch besondere Messungen fand Person, dafs jene freiwerdende Wärme 3 Wärme-Einheiten beträgt. Er erwähnt dann bezüglich der be sprochenen Legirung noch folgendes: „Wenn man die geschmolzene Legirung „plötzlich durch Eintauchen in Wasser abkühlt „und sie dann herausnimmt, so erhitzt sie sich „mitunter nach einigen Augenblicken in einem „Mafse, dafs sie nicht mehr mit den Fingern „sich anfassen läfst. Die plötzliche Abkühlung „halte hier jene Aenderung der Constitution „verhindert; aber es tritt ein Zeitpunkt ein, wo „die Anordnung der Molecüle sich nicht mehr „mit der niedrigen Temperatur verträgt. Eine „plötzliche Umlagerung tritt ein und eben der „rasche Verlauf derselben erklärt die starke Er- „hitzung, welche die Temperatur der Legirung „bis auf 70° steigern kann.“ Liegt hier — insbesondere hinsichtlich des Verhaltens beim langsamen Abkühlen — nicht eine deutliche Uebereinstimmung mit dem von Osmond und den genannten anderen Forschern beobachteten Erscheinungen beim langsamen Ab kühlen des Stahls vor? Es ist mir sehr wahr scheinlich, dafs zahlreiche andere Legirungen — ich glaube sogar die meisten — bei genauer Be obachtung mit Vorrichtungen, wie sie Osmond zur Verfügung standen, ein ähnliches Verhalten erkennen lassen würden. Besonders lehrreich dürfte es sein, das Verhalten der Zinnbronzen, dieser dem Stahle in so mancher Beziehung ähnlichen Legirungen, einer solchen Prüfung zu unterziehen.