Volltext Seite (XML)
Juni 1887. „STAHL UND EISEN.“ Nr. 6. 419 Seitdem sind Jahre verstrichen, und es hat sich die vollständige Wirkungslosigkeit auch dieses Zolles auf den Marktpreis herausgestellt. Wir vermögen zur Zeit von einer weiteren Erhöhung dieses Zolles ebensowenig preisschützende Wir kung zu erwarten wie von dem jetzigen Satz und wir würden eine Erhöhung sogar für einen doppelten Fehlgriff halten, weil eine solche der Regierung eine aufserordentliche Finanzquelle er- schliefsen würde, die von vornherein nicht beab sichtigt war, sich im Jahre 1880 bei 10 •46 pro Tonne auf etwa 13 Millionen Mark belief, zur Zeit infolge der Verdreifachung des Zolles be reits auf 30 Millionen gestiegen ist und sich offenbar bei weiterer Erhöhung des Zolles aber mals entsprechend steigern würde. Wer aber die Natur und die Zähigkeit preufsischer und deutscher Finanzmänner auch nur oberfläch lich kennt, wird zugeben, dafs ein solcher ebenso wenig wie die selige Danae geneigt sein wird, einen so reichen, ihm plötzlich und ohne sein Zuthun von so unerwarteter Seite her zuströmenden goldenen Regen ohne Compensation wieder ver schwinden zu machen.. Ein solcher Verzicht des Fiscus aber ist nöthig, wenn der ursprünglich beabsichtigte, durch zolltechnische Unzulänglich keiten verunglückte Versuch, einen Zollschutz für Getreide herzustellen, realisirt werden soll. Das Reichsschatzamt aber ist zur Zeit an der Auf rechterhaltung der jetzigen Sachlage schon mit 30 Millionen im Jahr interessirt, es ist nicht richtig, dafs diejenigen, die eine Reform derselben wollen, dieses Interesse von 30 auf 50 oder 60 Millionen Mark zu steigern beantragen! Man mufs sich aufserdem gegenüber dieser derzeitigen Sachlage, bevor man mit dem Vorschlag einer abermaligen Zollerhöhung vorgelit, doch zunächst die Frage vorlegen: „Wie kommt es denn, dafs der Zoll beim Getreide bislang nicht protectionistisch wirkt, der doch bei Textilfab ricaten, Eisen waaren etc. etc. seine schützende Wirkung nicht ver sagt?“ Wir finden die Erklärung dieser sonder baren Erscheinung lediglich in dem Umstande, dafs die Gesetzgebung resp. Verwaltung in der Gewährung von Zollrückvergütung bei Ausfuhr von Mehl einen sehr folgenreichen Schritt zu weit gegangen ist. Principiell bildet die Rückgewährung des Ein gangszolls auf Rohproducte oder Halbfabricate beim Export daraus gefertigter Fabricate für uns von jeher eine selbstverständliche Voraussetzung und Vorbedingung einer jeden gedeihlichen Schutz zollpolitik, und wird, zolltechnisch richtig be handelt, die Wirkung des Zolls nicht beein trächtigen. 4 Der Schritt, der hier zu weit gethan worden ist, besteht darin, dafs man bei Getreideimporten einer- und Mehlexporten andererseits den Nach weis der Identität gänzlich hat fallen lassen und den Zoll zurückgewährt, so wie der Nachweis des Exportes einer entsprechenden Quan tität Mehl erbracht wird, gleichviel, ob dasselbe wirklich aus importirtem oder aus einheimischem Getreide gemahlen war. Würde der Nachweis der Identität festgehalten worden sein, so würden die Mühlen nur für dasjenige ausländische Ge treide Zollbefreiung gehabt haben, welches sie wirklich für das Ausland gemahlen hätten; mit der Verzichtleistung auf die Identität kommen neue Elemente von sehr verschiedener Wirkung hinzu. Um gutes backfähiges Weizenmehl z. B. her zustellen, wird in den meisten Jahren dem harten und geringwerlhigeren deutschen Weizen der kleberreichere südrussische, ungarische, ameri kanische, indische etc. Weizen zugesetzt, Qualität der Jahresernte und Preis bestimmen die Höhe des Procentsalzes der Beimischung. In den letzten Jahren genügte ein Fünftel fremden Zusatzes zum deutschen Landweizen, um ein auf dem inter nationalen Markte concurrenzfähiges Mehl herzu stellen. Ein Mühlenetablissement nahe an der Zollgrenze führt nun z. B. 1000 Sack (= 100 Tonnen) fremden Weizens mit Vorbehalt der Wiederausfuhr von Mehl ein, kauft 800 Sack einheimischen Weizens hinzu, mischt letzteren mit 200 Sack des importirten, führt das daraus ermahlene Mehl gegen volle Steuerrückvergütung (von beiläufig 3000 •6) ins Ausland und hat auf diese Weise die noch vorhandenen 800 Sack ausländischen Qualitätsweizen zollfrei für die Verwendung im Inland. Mit diesem zollfreien Weizen drückt es den Preis des einheimischen Weizens bis unter den internationalen, indem es sagt: „dieser vorzügliche Qualitätsweizen kostet mich 160 •46 pro Tonne, es kann mir nicht einfallen, hier für den geringwerthigeren Land weizen mehr oder auch nur ebensoviel zu zahlen, ich gebe nur 150 •6". Auf diese Weise steht der deutsche Weizen nicht nur trotz, sondern gerade wegen des Zollschutzes von 3 •6 unter dem fremden, ja der jetzige höhere Zoll drückt im Gegentheil stärker, als es der geringere vor 1885 vermochte, denn wenn bei einem Zollschutz von 10 6 pro Tonne unter Anwendung obiger Manipulation der Speculant, der vier Fünftel des ausländischen Getreides zollfrei im Lande behält, seinem Concurrenten im Binnenland, der (wegen der doppelten Fracht des Getreides von der Grenze und des Mehls nach derselben) jenes Ge schäft nicht machen kann, um 8 46 pro Tonne also 800 •6 pro 1000 Sack vor war, so kommt derselbe jetzt bei Verdreifachung des Zolls auch um das Dreifache, also 2400 •6, vor. Deshalb freuen sich zur Zeit, wie wir aus guter Quelle wissen, die Müller an der Ostsee sehr über die Agitation für Erhöhung der Getreide- zolle. Sic hoffen nach deren Einführung mit ihrem