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Die Kohlen- und Eisenindustrie des südlichen Rufslands. In Band LV1-1886 des belgischen »Recueil consulaire«, weicher gemäfs Beschlufs des Königs von Belgien vom 15. November 1855 alle an das Ministerium der äufseren Angelegenheiten ge langenden Consularberichte über Handel und Industrie des Auslandes veröffentlicht, bringt der belgische Generalconsul für das südliche Rufsland, Ingenieur P. Hagemans, einen äufserst interes santen Bericht über die Kohlen- und Erz lager des Donetzbassins. Für den hohen Werth dieser Abhandlung mag wohl schon der Um stand sprechen, dafs die als Sonderabdruck im Buch handel veröffentlichte Denkschrift in kurzer Zeit vergriffen war. Diese in jeder Hinsicht werthvolle Studie mit genauen Einzelheiten scheint die rechte Stunde für ihre Veröffentlichung gefunden zu haben; durch consequent durchgeführle Zoller höhungen von Seiten Rufslands haben die Handels beziehungen Belgiens, dessen Industrie hauptsäch lich auf Ausfuhr angewiesen ist, sehr bedeutenden Eintrag gelitten. Seit 1870 hat die belgische Ausfuhrbewegung nach Rufsland wenigstens zwei Drittel ihrer früheren Bedeutung eingebüfst, und so wie die Verhältnisse heute liegen, scheint dem Weitergang dieser niedergehenden Progression kein Einhalt geboten werden zu können. Die Eisenindustrie Rufslands, durch hohe Schutzzölle, auch in vielen Fällen durch Regierungsprämien nach allen Richtungen hin begünstigt, ist anschei nend in voller Entwicklung begriffen und wird täglich unabhängiger von dem Tribute, welchen dieselbe bis heute dem Auslande zollen mufste. Unter diesen Umständen wird wohl in der Zu kunft von Seilen der belgischen Kapitalisten der von Consul Hagemans angeregte Gedanke einer theilweisen Beiheiligung an der auf blühenden Industrie Rufslands in nähere Erwägung gezogen werden müssen. Die deutsche Eisenindustrie befindet sich Rufsland gegenüber in einer ganz ähnlichen Lage wie ihr belgisches Schwestergewerbe, und liegt es demgemäfs nahe, dafs auch sie mit Rücksicht darauf, dafs bisher Rufsland als ein nicht unwichtiger Factor in dem bis heule erworbenen Absatzgebiete im Auslande gegolten hat, in Erwä gung zu ziehen hat, welche Stellung sie zu den vorhin angedeuteten Bestrebungen nehmen soll. Ein gutes Beispiel ist immer nachahmenswürdig, und wenn der rühmlichst bekannte belgische Unternehmungsgeist Interesse daran finden kann, die vorhandenen, durch Ausfulir-Einschränkung brach gelegten Kapitalien durch solide Gründung neuer Industrieen in den russischen Industriebe zirken wieder zinsbringend zu machen, so ist vielleicht Aussicht vorhanden, dafs auch von Seiten deutscher Industriellen der überhand nehmenden Ueberproduction dadurch gesteuert werden kann, dafs ein Theil der disponiblen Kapitalien einer günstigeren Verwerthung im Auslande entgegengetragen wird. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat die besprochene Abhandlung auch für Deutsch land hohen Werth, und glauben wir dessen Interessen nicht besser dienen zu können, als dieselbe, soviel wie thunlich, in extenso hier wiederzugeben. Seit dem Jahre 1870 , in dem Belgien nach Rufsland für die ansehnliche Summe von 22080 000 Fr. belgische Producte überführte, ist die Werth- zitier der Ausfuhr nach dem Zarenreich in I steter Abnahme begriffen. 1875 war die obige Summe schon auf 18 420 000 Fr. gefallen; fünf Jahre später war dieselbe bis auf 13 220000 Fr. zusammengeschmolzen. 1883 betrug sie noch 8 082 000 Fr. und im Jahre 1884 nur mehr 7 939000 Fr. In einem Zeitraum von fünfzehn Jahren hatte also die Ausfuhr belgischer Waaren nach Rufsland zwei Drittel ihrer Bedeutung ein gebüfst. In der Liste der Länder, in welchen heute Belgien für seine Erzeugnisse Absatz findet, nimmt Rufsland nur mehr den vierzehnten Rang ein, wogegen cs noch im Jahre 1870 den fünften Rang behauptete, und sich unmittelbar Frank reich, England, dem Zollvereinsgebiet und den Niederlanden anschlofs. Eine Besserung dieser Lage, welche einerseits durch die beharrliche Erhöhung der Schutzzölle, andererseits durch den Fortschritt der russischen Industrie geschaffen wurde, wird wohl für lange Zeit nicht zu erwarten sein. Die Schutzzollnerischen Neigungen der Regierung des Zaren lassen in dieser Hinsicht keinen Zweifel aufkommen. Die fortgesetzt steigende Zolltarifzunahme bildet schon heute einen Schlagbaum, welchen wohl verwegene Kaufleute, den Wünschen eines grofsen Theiles der Kundschaft in bezug auf Credit mit längerer Frist nachkommend , darunter englische und deutsche Mitbewerber, zu überschreiten vermögen ; der von Natur aus zur Vorsicht und Klugheit geneigte belgische Kaufmann schreckt vor diesem Hindernifs zurück und läfst sich nicht leicht da zu verleiten, mit hohem Wagnifs verbundene Geschäfte zu übernehmen. Ueberhaupt lassen sich die Ansprüche der russischen Einfuhragenten, welche in den meisten Fällen einen Credit von sechs Monaten und oft noch auf längere Fristen begehren, nicht leicht mit den Sitten der belgischen Handelswelt vereinbaren. Uebrigens mag auch die Zeit nicht mehr