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„der Weg der generellen Regelung führt schneller zum Ziele,“ sagte der Antragsteller, „und so haben wir in erster Reihe auch allgemein den elfstündigen Arbeitstag, wie er in der Schweiz besteht, beantragt.“ Diese Berufung ist un glücklich ; denn in der Schweiz hat die vor 10 Jahren eingeführte generelle Regelung durch aus noch nicht zu dem erwünschten Ziele geführt. Treffend wird die allgemeine Sachlage in der Schweiz von dem Professor der National- Oekonomie, Gustav Cohn, dargelegt. Derselbe sagt: „In politischer Beziehung ging es — in bezug auf das in Rede stehende Gesetz — wie es öfters gegangen ist und gehen wird, zumal im demokratischen Gemeinwesen. Je mehr sich die Sache im allgemeinen, im Programme, in der schönen Idee darstellte, um so gröfser war die Begeisterung; je näher sie auf den Leib des- alltäglichen Lebens rückte, je handgreiflicher sie wurde, um so kühler und spröder wurde man. Die revidirte Bundesverfassung vom Jahre 1874, welche in ihrem Art. 34 sagt: „Der Bund ist befugt, einheitliche Bestimmungen über die Ver wendung von Kindern in den Fabriken und über die Dauer der Arbeit erwachsener Personen in denselben aufzustellen“, war mit grofser Mehrheit vom Volke angenommen worden. Das nur drei Jahre später erlassene Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken rief nicht nur in den Räthen der Bundesversammlung eine starke principielle Controverse hervor, auch in der Volksabstimmung errang es nur mühselig eine kleine Majorität. Aber vollends der dritte Act, die Durchführung im wirklichen Leben, die Besiegung des Widerstandes der betheiligten (wahren oder vermeintlichen) Interessen, die Ueberwindung des historisch wurzelnden cantona- len Widerstandes gegen das eidgenössische Gesetz, dessen Verwirklichung in der Hauptsache auf den guten Willen der cantonalen und localen Behörden angewiesen war, welches nicht wagen durfte, einen Bundesverwaltungsapparat einzu führen und nur schüchtern eine ständige Bundes- Fabrikinspection dem herkömmlichen Behörden wesen der Cantone zumuthen konnte — dieser dritte Act hat noch lange nicht seinen ver söhnenden Schlufs erreicht und ist erst noch durch schwere Hindernisse hindurch zu Ende zu spielen.“ Dafür, dafs dies Ende auch jetzt noch nicht erreicht ist, dafs das Gesetz mit Hülfe der unum gänglich nothwendigen Ausnahme-Bestim mungen umgangen undillusorisch wird, sprechen zahlreiche Beweise. , In Oesterreich ist die gesetzliche Bestim mung bezüglich des 11 stündigen Normalarbeits- lages erst am 11. Juni 1885 in Kraft getreten. Die Bedeutung, welche diese generelle Regelung nach Mafsgabe der weitgehenden Ausnahmemög- lichkeitenim günstigsten Falle gewinnen könnte, kann den Antragsteller nicht berechtigen, sich auf den Vorgang Oesterreichs zu berufen. England hat an dem Grundsatz festgehalten, dafs der Staat sich in die Arbeitsverträge er wachsener Männer nicht zu mischen habe, weil diese imstande sind, für sich selbst zu sorgen; für dieselben ist daher niemals eine Maximal arbeitszeit festgesetzt worden. Die Bestimmungen, welche die Beschäftigung der Kinder, jugendlicher Personen und Arbeiterinnen einschränken, verbunden mit der Wirksamkeit der Gewerkvereine, haben jedoch zu einem 10 stün digen Maximalarbeitslage in 5 Wochentagen und zu einer verkürzten Arbeitszeit von 6 bis 61/2 Stunden an den Sonnabenden geführt. Die von den Gewerkvereinen selbst zugestandene Maximal- arbeits'zeit ist für verschiedene Industrieen ver schieden , und es haben sich die Führer der Arbeiter bisher sehr gehütet, diese Ungleichheiten beseitigen zu wollen. Der von dem Antragsteller bezeichnete, nach seiner Ansicht in England beschrittene und in gleicher Weise zum Ziele führende zweite Weg der Specialgesetzgebung kann demgemäfs nur indirect zur Kürzung der Arbeitszeit er wachsener Männer führen. Bei der in England viel weiter als in Deutschland verbreiteten Be schäftigung von Kindern — diese dürfen vom 10. Jahre ab in Fabriken arbeiten — mufste die Einschränkung der für dieselben zulässigen Arbeitszeit die Betriebe dergestalt beeinflussen, dafs die Arbeitszeit überhaupt auf jenes Mafs zurückgeführt wurde. In Deutschland würde demgemäfs der im Sinne des Antrag stellers liegende Weg der Specialgesetz gebung seine Wirksamkeit versagen, je mehr die Bestrebungen zur Geltung ge langen sollten, Kinder und auch Frauen von der Fabrikarbeil auszuschliefsen. Uebersehen darf aber nicht werden, dafs die ganze Bewegung und deren Erfolg sich in einer Zeit vollzog, in der die Industrie Englands den Industrieen aller anderen Länder weit überlegen war, den Weltmarkt fast ohne Concurrenz vollkommen beherrschte und demgemäfs aufserordentlich prospe- rirte. Damals wurde auch in England, wie jetzt in Deutschland von den Socialdemokraten, die gesetzliche Einführung der Zehnstunden- Arbeit von Einzelnen erstrebt und der berühmte Macaulay verstieg sich in Vertheidigung dieses Gesetzes zu folgendem Ausspruch: „Niemals werde ich glauben, dafs das, was eine Bevölkerung stärker, gesunder, weiser und besser macht, sie schliefslich ärmer machen kann. Ihr versucht uns zu schrecken, indem ihr uns erzählt, dafs in einigen deutschen Fabriken die jungen Leute siebenzehn Stunden