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Juni 1887. Jahr 1885 hinreichend klargelegt sein, da die selben , wie der Antragsteller behauptet, er schreckende Zustände enthüllen. Diese Behauptung wurde bereits in den wei teren Verhandlungen im Reichstage als durchaus unzutreffend bezeichnet und auch wir müssen dieselbe als den Thatsachen nicht entsprechend zurückweisen. Infolge übereinstimmender Anordnung sämmt- licher Regierungen haben alle Aufsichtsbeamten ihre Aufmerksamkeit der in den verschiedenen Industriezweigen zur Zeit üblichen täglichen Ar beitszeit zugewendet und darüber meistens in eingehender Weise berichtet. Das Ergebnifs wird in der amtlichen Ausgabe der Berichte dahin zusammengefafst, dafs nach Ermittelung der wirklichen Arbeitszeit, d. h. nach Abzug der Pausen, in der Mehrzahl der Betriebe ohne Nachtarbeit eine elf- bis höchstens zwölfstündige Arbeitszeit wohl die Regel bildet, doch sei auch vielfach nur eine zehnstündige und selbst noch kürzere Arbeitszeit üblich, während andererseits auch erheblich längere Arbeitsleistungen verlangt werden. Dieses Gesammturtheil erscheint bei Prüfung der Einzelberichte durchaus wahrheitsgetreu. Selbst in der Textilindustrie, welche der Antrag steller, wie sein Eventualantrag beweist, bezüg lich Länge der Arbeitszeit besonders nothleidend erachtet, findet im Durchschnitt ein Mifsbrauch der Arbeitskräfte nicht statt. Beispielsweise wird in den Textilfabriken in den Aufsichts bezirken Magdeburg, Erfurt und Hannover 11 Stunden, in Minden — Münster 11 bis 118/4 Stunden gearbeitet. Der Fabrikinspector des Regierungsbezirks Düsseldorf, welchem Näher stehende Parteilichkeit für den Arbeitgeber nicht zutrauen werden, berichtet, dafs in den Spinne reien 12 stündige Arbeitszeit die Regel bildet. In dem Aufsichtsbezirk Ober - Bayern, Nieder- Bayern, Schwaben und Neuburg, in welchem die Textilfabriken hervorragend entwickelt sind, ist in der gröfseren Hälfte der Betriebe mit über 30 000 Arbeitern eine mehr als 11 stündige, in 600 Betrieben mit 18 000 Arbeitern eine weniger als 11 stündige und nur in 300 Betrieben mit rund 5000 Arbeitern eine mehr als 12 stün dige Arbeitszeit üblich. Im Königreiche Würt temberg gleicht im allgemeinen die Arbeitszeit derjenigen in anderen industriellen Provinzen und Bezirken. Bezüglich der Textilindustrie im Reg.-Bez. Aachen bemerkt der Aufsichtsbeamte, dafs diese Beschäftigung dem Arbeiter keine An strengung zumuthet, die ein halbwegs kräftiger Mensch nicht mit Leichtigkeit vollführen könnte, so dafs die meistens übliche Arbeitszeit von elf bis elfeinhalb Stunden im Winter und von zwölf bis zwölfeinhalb Nr. 6. 411 Stunden im Sommer ohne Nachtheil über standen wird. Aehnliche Bemerkungen, oder dafs erheblich längere und mit Anstrengungen verbundene Arbeitstage von den Arbeitern ge wünscht werden, finden sich in den Berichten mehrfach. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, die Be richte der Fabrikinspectoren hier eingehender zu recapituliren. Unerwähnt dürfen wir allerdings nicht lassen, dafs auch höchst beklagenswerthe Ausschreitungen vorkommen, wie beispielsweise in dem Aufsichtsbezirk Ober-Pfalz, Regensburg und Ober-Franken in den Anstalten zum Schleifen und Poliren des Spiegelglases und, wenn auch in viel geringerem Mafse, in einzelnen Bezirken der Textilindustrie in dem Königreich Sachsen und der Provinz Schlesien. Im übrigen kommen längere Arbeitszeiten hauptsächlich in den mit der Landwirthschaft verbundenen Betrieben, in übermäfsiger Weise aber beim Handwerk und ganz besonders in der Hausindustrie vor. Die Fälle unbillig langer Arbeitszeiten in der Industrie werden freilich von den Vertretern des Maximalarbeitstages ungemein aufgebauscht, um an ihnen das Bedürfnifs nachzuweisen; dieser Nachweis ist aber durchaus hinfällig den aus amtlichen Ermittelungen hervorgegangenen That sachen gegenüber, dafs eine elf- bis höchstens zwölfstündige Arbeitszeit die Regel bildet und dafs vielfach kürzere Arbeitszeiten üblich sind. Auch von anderen Gesichtspunkten aus mufs das Bedürfnifs für die gesetzliche Feststellung eines Maximalarbeitstages entschieden bestritten werden. Die Arbeitszeit in der Industrie ist mehr und mehr auf das von den Berichten als erträglich anerkannte Mafs zurückgeführt worden, weil die übermäfsige Ausnutzung der Arbeitskräfte immer allgemeinere Mifsbilligung in der öffent lichen Meinung, ganz besonders bei der grofsen Mehrzahl der Industriellen selbst, findet. Die Verbände der Arbeitgeber lediglich zur Einschrän kung der Arbeitszeit, auf welche der Antragsteller selbst hinweist, legen Zeugnifs ab für das Vor handensein einer Strömung in der bezeichneten Richtung, die wohl in directem Zusammenhang steht mit dem Fortschreiten der Cultur auf allen Gebieten des intellectuellen und wirthschaftlichen Lebens. Diese Bewegung kann eher gehemmt als gefördert werden durch gewaltsame Eingriffe, die, wie wir zeigen werden, mit Sicherheit Mifs- stände im Gefolge haben müssen, von denen leicht eine mächtigere Gegenströmung, ein Rück schritt der Cultur, erzeugt werden kann. Wir bestreiten auch die Möglichkeit der Durchführung. Der Antragsteller beruft sich auf die Schwaz und Oesterreich, welche den Weg der gene rellen gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit gewählt haben, und auf England, welches die Specialgesetzgebung vorgezogen hat. Aber „STAHL UND EISEN.“