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410 Nr. 6. „STAHL UND EISEN.“ Juni 1887. sollen unter die vorstehende Bestimmung nicht fallen. Der Bundesrath soll befugt sein, je nach der Art gewisser Betriebe, die regelmäfsige Ar beitszeit in denselben herabzusetzen oder zu verlängern. Derartige Beschlüsse des Bundesraths sind dem nächstfolgenden Reichstage vorzulegen und aufser Kraft zu setzen, wenn der Reichstag dies verlangt. Für den Fall der Ablehnung dieses Antrages hat der Abgeordnete Hitze einen andern Antrag — Nr. 23 der Drucksachen des Reichstags — eingebracht, durch welchen die Arbeitszeit in Textilfabriken nach Mafsgabe eines elf stündigen Normalarbeitstages geregelt werden soll. Dieser, auch in Form eines Gesetzentwurfes ein gebrachte Antrag enthält 6 Paragraphen, welche die zulässigen Ausnahmen von der Regel fest stellen. Diese Anträge wurden in der 9. Sitzung des Reichstages am 16. März d. Js. von dem An tragsteller begründet, und wir dürfen um so mehr berechtigt sein, diesen Ausführungen zu folgen, da der Hauptredner der nationalliberalen Partei sich veranlafst sah, dem Abgeordneten Hitze für seine Begründung besonders zu danken und dessen Sachkenntnifs als bekannt voraus zusetzen. Zunächst bemerken wir, dafs in allen bis herigen, den vorliegenden Zweck verfolgenden Anträgen weder der Ausdruck „Normal-“ noch „Maximalarbeitstag“ vorkommt. Der An tragsteller braucht in seiner Rede ausschliefslich den letztbezeichneten Ausdruck und folgt darin dem Vorgänge der Socialdemokraten. Die For derung einer gesetzlichen Feststellung der Ar beitszeit für erwachsene Personen ist überhaupt von der Socialdemokratie ausgegangen ; sie wurde im deutschen Reichstag zuerst von Fritzsche, Bebel und Genossen in der 3. Legislaturperiode 1. Session 1877 — Nr. 92 der Drucksachen — gestellt, von der Gentrumspartei secundirt und allmählich haben sich andere Parteien in dieser Beziehung der Socialdemokratie angeschlossen. Nach dem Wortlaut der Anträge ist ein Unterschied zwischen Normal- und Maximal- arbeitstag nicht zu erkennen. Es hiefs zuerst: „Gesellen, Geholfen, Fabrik- und gewerbliche Lohnarbeiter dürfen beim Betrieb der . . . An lagen täglich nicht länger als 10 Stunden . . . beschäftigt werden. “ Der in der 6. Legislaturperiode 11. Session 1885/86 von Auer und Genossen ein gebrachte Antrag — Nr. 10 der Drucksachen — lautet ähnlich: „Die Arbeitszeit für alle .... beschäftigten .... Arbeiter und Hülfspersonen darf .... täglich höchstens 10 Stunden .... währen.“ In dem nunmehr vorliegenden Antrag Hitze heifst es: „Die Dauer der regeimäfsigen Arbeit eines Tages darf nicht mehr als 11 Stunden betragen.“ Von den Socialdemokraten wurde bei der umfangreichen Agitation, welche mit dieser For derung getrieben wurde, bis zu den Verhand lungen im Jahre 1885 fast ausschliefslich die Bezeichnung „Normalarbeitstag“ gebraucht. Die Substituirung der letzteren durch den Aus druck „Maximalarbeitstag“ soll augenscheinlich weiteren agitatorischen Zwecken dienen. Bebel hatte 1877 geäufsert, dafs die Feststellung des Normalarbeitstages eine wesentliche Verminde rung der Kämpfe um die Arbeitszeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitern herbeiführen werde, „indem, wenn der gesetzliche Normalarbeitstag erst feststeht, die Streitigkeiten über die Arbeits zeit so gut wie beseitigt sind.“ Diese friedlichere Auffassung mag den späteren, mehr extremen Anschauungen nicht mehr ent sprochen haben ; daher erklärte der Socialdemo krat Gr i 11 e n b erger 1885, dafs, um die Lebens haltung der Arbeiter zu bessern, endlich der gesetzliche Maximal arbeitstag eingeführt werden müfste, denn ein Nor mal arbeitstag werde „nur durchführbar sein in einem ausgebildeten socia- listischen Gemeinwesen“. Es ist unschwer zu erkennen, dafs der Ausdruck „Max im al arbeits tag“ gewählt worden ist, um der möglicherweise friedlicheren Bedeutung des Normalarbeitstages entgegenzuwirken ; denn der gesetzlich festgestellte Max im al arbeitstag würde der Agitation die Handhabe bieten, unter Berufung auf die staat liche Institution, unausgesetzte Streitigkeiten um die Arbeitszeit anzufachen. Von Arbeitern, welche in Betrieben mit ge ringerer als 11 stündiger Arbeitszeit beschäftigt werden, wird Einspruch gegen die Einführung eines N o rma 1 arbeitstages erhoben; sie be fürchten , dafs dieselbe die Verlängerung der Arbeitszeit auf die normalen 11 Stunden zur Folge haben könnte. In unseren Ausführungen schliefsen wir uns der Ausdrucksweise des Antragstellers, Abge ordneten Hitze, an. Derselbe ist der Ansicht, dafs das Ziel, die Einführung eines gesetzlichen Arbeitstages, auf zwei Wegen erreicht werden kann: einmal durch generelle gesetzliche Regelung, indem zugleich den Verwaltungsbehörden und dem Bundesrath das Recht gegeben wird, für einzelne Industrieen die Arbeitszeit zu verlängern, für andere zu ver kürzen; oder auf dem Wege der Special ge- setzgebung. Den ersten Weg haben die Schweiz und Oesterreich beschritten. Von den Gründen, welche gegen den Maxi malarbeitstag angeführt werden, hebt der Antrag steller zunächst hervor, dafs das Bedürfnifs einer gesetzlichen Regelung in Abrede gestellt, andererseits die Möglichkeit der Durch führung bezweifelt werde. Das Bedürfnifs soll durch die Jahres berichte der Fabrikinspectoren für das