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den Führern der Socialdemokratie, deren ganze Existenz auf der Unzufriedenheit und Verbitterung der Arbeiter beruht. Sie wissen sehr gut, dafs die übertriebenen, auf Erweiterung der Arbeiter- schutzgesetzgebung gerichteten Forderungen, mit telbar durch Schädigung der Unternehmer, in vielen Beziehungen aber auch unmittelbar, den Erwerb der Arbeiter herabdrücken und dieselben unzufriedener machen müssen ; daher geht ihnen keine Forderung in der bezeichneten Richtung weit genug. Der besseren Einsicht der verbündeten Re gierungen und der Uneinigkeit der Parteien im Reichstage ist es zu danken gewesen, dafs die weitgehenden Forderungen bisher nicht Gesetzes kraft erlangt haben; die Beunruhigung der ge werblichen Thätigkeit hat aber nicht aufgehört. Auch in der laufenden Session des Reichstages sind die bekannten, mit der Praxis so wenig in Uebereinstimmung zu bringenden Anträge wieder eingebracht worden und die Haltung der Parteien bei der ersten Lesung am IG. März d. J. läfst die Annahme derselben möglich erscheinen. Dieser Umstand hat das Directorium des Central verbandes deutscher Industrieller veranlafst, eine Denkschrift, in welcher die be treffenden Verhältnisse klar und objectiv dar gelegt werden, an die Mitglieder des Reichstages mit der Bitte um vorurtheilslose Prüfung zu senden. In dieser Beziehung sagt das Direc torium : „Eine solche — vorurtheilslose Prüfung — würden wir als selbstverständlich ansehen, wenn nicht fast alltäglich in Reden und Schriften Engherzigkeit, Selbst- und Gewinnsucht als die Beweggründe für die Stellung der Arbeitgeber, nicht nur zur Frage der Schutzgesetzgebung, sondern für ihr ganzes Verhalten den Arbeitern gegenüber, bezeichnet würden. Freilich besteht .der Centralverband deutscher Industrieller aus Vereinen der Arbeitgeber und einzelnen Unter nehmern ; daraus folgt aber, dafs der Centralverband bei dieser Frage nicht allein beiheiligt, sondern auch berechtigt ist, für seine Mitglieder eine her vorragende Sachkenntnifs in Anspruch zu nehmen, welche denselben befähigt, die Tragweite einzelner Mafsregeln in vollem Umfange auch für das Interesse der Arbeiter zu übersehen.“ „Der Central verband ist sich hierbei voll kommen bewufst, dafs die Erreichung des ihm gesteckten grofsen Zweckes — die Beförde rn ng und Wahrung na tiona 1 er Arbei t — nur bei einer nach jeder Richtung möglichst günstig gestalteten Lage der Arbeiterbevölkerung zu erzielen ist.“ „Den zur äufsersten Schärfe zugespitzten Wettbewerb im Innern, und mehr noch auf dem Weltmarkt, wird keine Industrie bestehen können mit Arbeitern, die in ihren berechtigten Interessen zurückgedrängt und vernachlässigt werden. An- VI.7 dererseits aber werden diese Interessen der er forderlichen Pflege und Förderung entbehren, wird sich die Gesammtlage der Arbeiter sicher verschlechtern müssen, wenn dem Arbeitgeber die Bedingungen für eine erspriefsliche Thätigkeit rücksichtslos gestört oder entzogen werden.“ „Bei einer Vergleichung der Gesetzgebung anderer Staaten mufs stets im Auge behalten werden, dafs manche anscheinend weitergehende Bestimmungen derselben meistens nur auf dem Papier stehen, gewissermafsen nur einen deco- rativen Charakter haben, während in Deutschland ein gegebenes Gesetz auch voll und ganz aus geführt wird.“ „Im ganzen halten wir die in Deutschland zum Schutz der Arbeiter bestehenden Gesetze für ausreichend, erkennen jedoch an, dafs in einzelnen Beziehungen Uebelstände zu beseitigen sind. Dies kann aber besser, als durch generelle gesetzliche Mafsregeln, auf dem Wege der Ver ordnung geschehen, weil dadurch den einzelnen Verhältnissen Rechnung getragen und vermieden werden kann, durch schroffe Generalisirung gerade die Interessen des Arbeiterstandes zu schädigen.“ Bei dem grofsen Interesse, welches die ge- sammte Industrie an der in Rede stehenden Frage hat, bringen wir die hauptsächlichsten Theile der Denkschrift nachstehend zur Kenntnifs unserer Leser. Dieselben werden bei aufmerk samer Prüfung erkennen, dafs der Centralverband durchaus bereit ist, die Hand zur Abstellung wirklicher Mifsstände zu bieten, dafs er aber mit aller Entschiedenheit Mafsregeln bekämpft, durch welche mittelbar oder unmittelbar die Erwerbsverhältnisse der Arbeiter ungünstig be- einflufst werden. Wegen Mangel an Raum müssen wir darauf verzichten, die umfangreichen Anmerkungen hier wiederzugeben, in denen ein reiches Material bezüglich der historischen Entwicklung der Frage, der Gesetzgebung in den anderen Industriestaaten und ein Theil der Be weisführung auch in bezug auf die in der Denk schrift gemachten Behauptungen enthalten ist. Die Denkschrift beschäftigt sich zunächst mit dem Maximalarbeitstag. Der Abgeordnete Hitze hat beantragt — Nr. 22 der Drucksachen des Reichstages 7. Le gislaturperiode 1. Session 1887 — die ver- fassungsmäfsige Zustimmung einem Gesetz-Ent würfe zu ertheilen, durch welchen bestimmt wird, dafs die Dauer der regehnäfsigen Arbeit eines Tages nicht mehr als elf Stunden, an den Vorabenden von Sonn- und Festtagen nicht mehr als 10 Stunden, betragen darf. Arbeiten, welche der eigentlichen Fabrication als Hülfsarbeiten vor- oder nachgehen müssen und von Arbeitern oder unverheiratheten Ar beiterinnen über 16 Jahre verrichtet werden, 5