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kunst und des Schiefspulvers — da war auch eine Periode steigender Intelligenz und steigenden Wohlstandes in den europäischen Culturländern vorhanden. Es begann in Italien, in Deutschland und Frankreich eine Epoche hoher Kunstent wicklung und Blüthe, die sich noch mehr steigerte, als durch die weiteren Entdeckungen des Seewegs nach Ostindien und Amerikas neue Länder mit ihren unbekannten Producten auf den hiesigen Markt kamen. Damals haben wir auch in den europäischen Culturländern eine Periode hohen wirthschaftlichen Wohlstandes und Reichthums gehabt, wenn auch nicht ent fernt so, wie dies heute der Fall ist. Man hört zwar häufig, Deutschland wäre jetzt noch nicht so reich, wie vor dem dreifsigjährigen Kriege. Diesen Satz halte ich in seiner Allgemeinheit für durchaus unrichtig. Etwas Wahres ist aber daran. Wir sind vielleicht noch nicht wieder so reich in dem äufseren und inneren Schmuck des Hauses, welcher auf einem künstlerisch aus gebildeten Handwerke, auf Goldschmiedekunst, Tischler- und Steinmetzarbeit beruht, aber an wirklichem volkswirthschaftlichen Vermögen, an eigentlichen Productivmitteln und Erzeugnissen sind wir unendlich viel reicher; denn worin soll denn der grofse Reichthum im Mittelalter, im 16. Jahrhundert, ja selbst bei den alten Griechen und Römern, worin soll er denn be standen haben? Was bildet denn den Reich thum eines Landes und der Bevölkerung? Doch nicht die Summe des baaren Geldes, denn dieses ist blofs Girculationsmiltel für den Güter austausch. Auch nicht der Hausrath und Schmuck in den Häusern der besser situirten Minderheit! Nein, der Reichthum eines Landes besteht zunächst in dem Grund und Boden, so dann in den Häusern der grofsen Massen, in den grofsen Waarenvorräthen, vor Allem in guten Communicationsmitteln und am meisten in der Intelligenz der Bevölkerung. Vergleichen wir aber diese Momente miteinander, wo ver möchten wir im Mittelalter — Grund und Bo den ist ja nicht mehr geworden und ich glaube auch nicht, dafs wir mehr Vieh besitzen, denn damals hatten wir mehr Weide-, heute mehr Stallwirthschaft — wo vermöchten wir, frage ich,' in der Vergangenheit nur ein Object zu finden, was sich im Werthe gleichstellen könnte dem grofsen, direct und indirect so rentablen Vermögensobject unserer Eisenbahnen, die allein für Deutschland einen Werth von ca. 9 Milliarden darstellen. Das ist aber ein reines Plus gegen damals. Diesem Plus könnte ich noch eine Menge anderer Factoren anreihen, die, zwar nicht jeder für sich allein, wohl aber in ihrer Gesammtheit, nicht minder erheblich sind. Einen Gegenwerth irgend welcher Art hiergegen kann aber die Vergangenheit nicht aufstellen. Darum dürfen wir auch nach der Periode angestreng tester Arbeit und Ersparnifsbildung für die ganze Nation nunmehr eine noch mehr zur Geltung kommende Periode relativ freieren Lebensgenusses, einer höheren Kunstentwicklung und Kunstblüthe, von der Zukunft erwarten, wenn uns die Seg nungen des Friedens erhalten bleiben. Ich glaube auch nicht, dafs es unter diesen Verhältnissen richtig sein würde, jeder Bewegung absolut und unbedingt entgegenzutreten, welche die Vortheile dieser Entwicklung auch den breiten Massen der Bevölkerung in immer höherem Grade und also noch mehr zu gute kommen lassen will, als dies schon jetzt unleugbar in hohem Grade der Fall ist. Ich glaube, dafs aus den von mir geschilderten Verhältnissen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit eine relative Befreiung un serer arbeitenden Klassen von dem Zwange einer übermäfsigen Anspannung ihrer Kräfte folgen wird. Es würde freilich thöricht und vermessen sein, im Wege einer speciellen staatlichen Zwangs gesetzgebung einen achtstündigen Normalarbeits tag einführen zu wollen. Im Wege der Zwangs gesetzgebung läfst sich auf diesem Gebiete wenig oder gar nichts machen. Man läuft dabei stets Gefahr, dafs man wie in den Betten des seligen Prokrustes auf der einen Seite den Körper aus recken und auf der andern Seite gesunde Theile abtrennen mufs. Ich halte es aber für richtig und wahrscheinlich, dafs die im allgemeinen frei gewordene Arbeitskraft auch darin ihren Aus druck findet, dafs sich allmählich von selbst die Arbeitszeit etwas beschränkt, weil es nicht mehr nothwendig sein wird, so anstrengend zu arbeiten, um das absolute und dringende Bedürfnifs der Allgemeinheit zu befriedigen. Beiläufig bemerkt, würde ich bei der grofsen Menge allmählich frei werdender Arbeitskraft keine Verbesserung der Lage unserer arbeitenden Klasse darin finden, wenn man, wie so oft verlangt wird, plötzlich die Präsenzstärke unserer stehenden Heere etwa auf die Hälfte herabsetzen wollte. Wir beklagen zwar alle die Höhe der unvermeidlichen Militär ausgaben und würden gerne einen Theil derselben für andere Wohlfahrtszwecke verfügbar sehen; nichtsdestoweniger würde es zunächst eine Ver schärfung unserer gegenwärtigen wirthschaftlichen Krisis zur Folge haben, wenn in der gegenwär tigen Uebergangsperiode plötzlich 200000 Paare kräftiger Arme mehr arbeitsuchend auf den Markt gebracht würden. Arbeitsnoth einerseits und Ueberproduction andererseits würde dadurch zu nächst nur wachsen! Aus diesen allgemeinen Grundzügen unserer heutigen Productionsverhält- nisse folgt aber weiter, dafs der Einzelne den selben ziemlich machtlos gegenüber dasteht. Bei der complicirten Lage unseres heutigen Welt marktes ist der Einzelne gar nicht imstande, die allgemeinen Bedingungen der Production und des Absatzes für seinen Artikel genau zu übersehen. Er übersieht dieselben vielleicht für sich, aber