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674 Nr. 10. October 1886. STAHL UND EISEN. Ueber einige Uebelstände in unserm gegenwärtigen V erdingungs wesen. Fünf Jahre sind verflossen, seitdem in dieser Zeitschrift von hochgeschätzter Seite auf einige Mifsstände in dem in Deutschland üblichen Ver dingungswesen hingewiesen wurde.* Namentlich wurde damals die bei uns eingebürgerte Praxis, die Ergebnisse von öffentlichen und beschränkten Submissionen durch Zeitungen bekannt zu machen, als unzweckmäfsig bezeichnet und die unzweifel haft geschädigte Lage hervorgehoben, in welcher sich dadurch unsere heimische Industrie gegen über ihren Mitbewerbern aus anderen Ländern, z. B. England, befindet, woselbst von den Re gierungsorganen keinerlei Auskunft über die ein gegangenen Angebote ertheilt wird. Ein weiteres schwerwiegendes Bedenken wurde an derselben Stelle auch darin gefunden, dafs die Veröffent lichung der Verdingungsergebnisse viele Fabrican ten verführe, bei ihrer Offertstellung sich weniger auf eingehende Berechnungen zu stützen, als vielmehr die letztveröffentlichten Preise als Anhalt zu nehmen, ein Umstand, der einerseits zu dem Erfolg geführt hat, dafs die auf diese Art in leichtsinnigster Weise abgegebenen Preise als mafsgebende Marktpreise angesehen werden und andererseits der Fabricant dazu gedrängt werde, durch qualitative Minderleistung den zu niedrig gestellten Preis auszugleichen. In einem zweiten Artikel wurde die Zer fahrenheit und Unvollkommenheit der Vorschriften verschiedener Eisenbahndirectionen in Deutschland beleuchtet und die im gegenseitigen Interesse der Producenten und Consumenlen dringliche Nothwendigkeit einer einheitlichen Regelung der selben dargethan. Wenn wir uns nun heute fragen, sind seit jener Zeit die gewünschten Aenderungen einge treten? besitzen wir jetzt in Deutschland ein allgemein eingeführtes, zweckmäfsiges Verdin gungsverfahren , welches die Interessen beider Parteien gleichmäfsig wahrt? so müssen wir diese Fragen leider mit »Nein« beantworten. Das Ver fahren, die Lieferungen auf dem Verdingungswege zu vergeben, hat zwar an Umfang seit damals erheblich gewonnen, indem nicht nur die öffent lichen Verwaltungen sich desselben in der weitaus gröfseren Mehrzahl bedienen, sondern auch Private anfangen, auf demselben Wege ihre Verträge ab- zuschliefsen, aber es haben auch gleichzeitig vielfach, durch äufsere Verhältnisse begünstigt, Mifsstände der bedenklichsten und schwer wiegendsten Art Platz gegriffen. Wir haben nicht nur zu beklagen, dafs unter den bestehenden * 1881, Seite 105 u. 220. Verdingungsvorschriften grofse Verschiedenheit herrscht, sondern auch die meisten unter ihnen an grofser Unvollkommenheit leiden. Um Mifsverständnissen vorzubeugen, wollen wir uns mit der Erklärung beeilen, dafs obige Sätze selbstverständlich nur auf allgemeine Gültigkeit Anspruch machen; wir freuen uns, feststellen zu können, dafs unser Verdingungs wesen nach einer bestimmten Richtung auch erhebliche Verbesserungen erfahren hat. Wir haben hierbei die, dank dem thatkräftigen Ein greifen des preufsischen Ministers für öffentliche Arbeiten, schnell erfolgte einheitliche Regelung der Bedingungen der ihm unterstellten Eisenbahn directionen im Auge. Wir wollen an dieser Stelle keinen alten Streit über die Zweckmäfsig- keit einzelner, speciell technischer Vorschriften auffrischen, indem wir vertrauen, dafs die mit der Zeit fortschreitende Erkenntnifs auch die diesbezüglichen Meinungsverschiedenheiten zu einer Einigung führen wird, wir wollen vielmehr rückhaltlos das hohe Verdienst anerkennen, wel ches sich unser Herr Arbeitsminister bei den ihm unterstellten Verwaltungen auf dem Gebiete des Verdingungswesens bereits erworben hat. Leider ist dies aber auch, von vereinzelten Fällen untergeordneter Bedeutung abgesehen, der einzige Lichtpunkt, den unser Auge in der Ver worrenheit der zahllosen in unserm lieben Vater lande üblichen Submissionsverfahren trifft. 'Es mufs vielmehr constatirt werden, dafs im Laufe der jüngsten Jahre, offenbar begünstigt durch die schlechte Geschäftslage, die vorhandenen Uebel stände eher schlimmer geworden sind. Und so ist es denn nicht zu verwundern, wenn die An gelegenheit in wirthschaftlichen und technischen Corporationen zur Sprache gebracht wird. Eine der bedeutsamsten Kundgebungen dieser Art ist eine Eingabe, welche der mittelrheinische Fa bricanten-Verein im Juli d. J. an den Fürsten Bismarck gerichtet hat. Dieselbe hatte folgenden Wortlaut: Ew. Durchlaucht gestatten wir uns in aller Ehrerbietung das Nachstehende vorzutragen. Für die Industrie ist kaum irgend eine Frage von gröfserer und einschneidenderer Bedeutung als die des Submissionswesens. Der weitaus gröfste Theil der Arbeits- und Lieferungsverträge wird auf dem Wege der Submission vergeben. In erster Linie ist dies bei allen Staatsbehörden, sodann bei Provinzial behörden, Städten, Eisenbahnen und in neuerer Zeit auch bei Privaten der Fall. Von dieser Ueberzeugung durchdrungen, hat der Mittel-