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732 Nr. 11. „STAHL UND EISEN.“ November 1886. Die Reform des Patentwesens. Das Patentwesen hat nach dem Erlafs des deutschen Patentgesetzes für unsere Industrie eine aufserordentliche Bedeutung erlangt; anderer seits sind im Verlaufe der Zeit Mängel hervor getreten, welche auf Bestimmungen des Gesetzes und auf eine ungenügende Ausführung desselben zurückgeführt werden. Dieselben haben zu viel fachen Klagen und Beschwerden Veranlassung gegeben, so dafs die verbündeten Regierungen sich entschlossen haben, eine Enquete zu veran stalten , um zu erkennen, ob und in welcher Weise das Gesetz bezw. das Verfahren zur Aus führung desselben zu ändern ist. Für diese Enquete sind vom Bundesrath 22 Fragen aufge stellt worden, welche den Mitgliedern des Ver eins deutscher Eisen- und Stahl-Industrieller von der Gentralleitung des Vereins unterbreitet worden sind, und welche auch im Sept.-Heft. d. Ztschr. abge druckt wurden. Bei dem grofsen Interesse, welches dieser Gegenstand jetzt in allen industriellen Kreisen hervorruft, glauben wir den Intentionen unserer ge ehrten Leser gemäfs zu handeln, wenn wir die Ver handlungen zum Abdruck bringen, welche im Aus schüsse des Central - Verbands deutscher Indu strieller am 19. September d. J. in Berlin über das Patentwesen geführt worden sind. Wir machen besonders darauf aufmerksam, dafs die Verhandlungen sich hauptsächlich um den Antrag des Hrn. Commerzienrath Eugen Langen in Köln drehten, welcher eine wesentliche Aende- rung des jetzigen Verfahrens dahin herbeiführen will, dafs die Ertheilung eines Patents von dem Nachweis abhängig gemacht werden soll, dafs die Erfindung in gewerblich anwendbarer Weise ausgeführt ist. Correferent Herr Oberbürgermeister Andre (Chemnitz): Meine Herren, ich möchte Ihnen zunächst einen Ueberblick über den Stand der Frage geben, die uns gegenwärtig beschäftigt, damit man später nach gewonnenem Ueberblick um so sicherer in die Einzelheiten eintreten kann. Wie Ihnen bekannt, ist von Seiten des Pa tentamtes eine Beihe von Fragen aufgestellt. Wollten wir uns von vornherein an diese Fragen halten, so würden wir nach der Meinung des Hrn. Referenten, Commerzienrath Langen, und auch nach meiner Ansicht einige Fragen, die wesentlich principieller Natur sind, zu sehr in den Hintergrund drängen. Wir halten es daher für zweckmäfsiger, einige Fragen vorher zu erledigen und dann erst die Fragen des Patentamtes in der Reihenfolge, wie sie gestellt sind, zu behandeln. Die erste und hauptsächlichste Frage ist die Principienfrage, die von Hrn. Commerzienrath Langen in Köln angeregt ist. Sie wissen Alle, m. H., dafs ein ganz wesentlicher Punkt bei dem Patentwesen der Umstand ist, dafs eine grofse Anzahl von Patenten nachgesucht wird, und dafs bei der Beurtheilung dieser Pa tente die Schwierigkeit theils in der grofsen Menge, theils aber auch in der Differenz zwischen dem Gedanken und der Ausführung liegt Wenn man einen Gedanken von etwas abstracter Natur vor sich hat, kann man zweifelhaft sein, ob derselbe patentfähig ist; für den Erfinder handelt es sich meistens darum, diesen Gedanken in seiner möglichsten Allgemeinheit patentiren zu lassen, um gegen jede Ausnutzung der Erfindung gesichert zu sein. An diese beiden Dinge — Zahl der Patente und Verhältnifs des Gedankens zur Ausführung — schliefst sich die Auffassung des Hrn. Commerzienrath Langen an. Der selbe ist nämlich der Ansicht, dafs das vorlie gende Patentgesetz nach der Rücksicht einer Aenderung bedürfe, dafs die Körperlichkeit der Erfindung einen noch schärferen Ausdruck fände, als es im gegenwärtigen Patentgesetz geschieht. Hr. Commerzienrath Langen wünscht eine Bestimmung aufgenommen zu sehen, welche be sagt, dafs die Erfindung körperlich ausgeführt und vorgelegt werden mufs, bevor sie überhaupt patentirt werden kann. Das ist ein Zusatz zu dem Begriff »Erfindung«; in dem Begriffe selbst ist bis zu einem gewissen Grade die concrete Darstellung des »Gedankens« enthalten. Von einer Aenderung des Patentgesetzes nach dieser Richtung hin verspricht sich Hr. Commerzien rath Langen einmal eine ganz wesentliche Ein schränkung der Patentanmeldungen, also eine Erleichterung der Arbeit, zweitens aber auch eine weit sachlichere Prüfung der Patente, weil die concreten Erfindungen in viel gröfserer Anschau lichkeit vorliegen müfsten, als das bei der blofsen Beschreibung der Fall sein kann. Ganz entgegengesetzt zu dieser Auffassung besteht auf manchen Seiten die Meinung, dafs noch viel zu wenig patentirt wird, und dafs die Auffassung, dafs der Gedanke schon in eine ge wisse körperliche Form gekleidet sein müsse, noch mehr zu beschränken sei, dafs dadurch in das Recht des Erfinders eingegriffen werde. Obwohl die grofse Masse der Ingenieure wohl zur Zeit mit dem Vorprüfungssystem einverstan den ist, geht doch die Ansicht eines Theils dahin, es möchte das Vorprüfungssystem über haupt abgeschafft und dem Einzelnen überlassen werden, seine Erfindung nach Art des französi schen Verfahrens und des Verfahrens, wie es praktisch in England besteht, ohne weiteres an zumelden, so dafs auf jede Anmeldung ein Pa tent ertheilt werden mufs und dieses Patent dann in seiner Gültigkeit bei den ordentlichen