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(raud un MDllem. Jn der Sauptstrasze eines der industriellen Vor» orte Jlns steht ein von Arbeitern viel besuchtes Saus mit der lochenden Schildesaufschrift: »3ur schwie ligen Saust«, Specereihandel und Schenkwirthschaft von peter Johann Schreibold. Der Jnhaber war einst Setzer bei der radikalen Teuen Rheinischen eitung ge- wesen, welche Errungenschaft des gesegneten Jahres 1848 behanntlich zeitweise roth gedrucht erschien, hatte dort mit hervorragenden Demohraten und Socialisten ver- hehrt, begeistert bereit rundstze eingesogen, and} einige unbedeutende Verfolgungen erlitten und dadurc techt wohlfeil ben Ruf eines politischen Dulders er» worben. Tac allerlei Schichsalen und Jrrfahrten ent» fngte et dem bisherigen Sandrerke, pachtete und kaufte ipter fein jetziges Anwesen, bas jedoc keineswegs schuldenfrei, sondern ziemlich belastet fein foll. Voller Stol3 blichte Schreibold auf feine früheren Chaten und Zehanntschaften. mTanche kräftige Schlag- Winter und geistreiche Redensarten blieben ihm zeit- lebens geläufig, bie bei guten elegenheiten, mit dem tiefen Brusttone innigster lleberzeugung vorgebracht, fetten ben beabsichtigten Einruck verfehlten. Wirthe finb ftets volhsthmliche Eeute, namentlic wenn mit einem fo tüchtigen mundwerke begabt, wie der ehe- »tätige Setzer, dessen Ansehen und Einflus in ben um zufriedenen Greifen bet 2trbeiterbcvöllterung allmhlic fehr wuchsen. Seste Xeziehungen zu ben Shrern ber focialdemokratischen Partei verschafften selbst ihm gang unerwartet einen Sit3 im Reichsfage, wie wir, unserer wahrhaftigen eschichte vorgreifend, gleich hier bc» tichten wollen. Die erftc (beige im eigenen Sause spielte übrigens keineswegs Serr, sondern Srau Schreibold, eine Dame von entschiedener Chathkraft, redseliger unge und ge» fürstetet robheit. Da fie bie fdauptlas bes e- ichftes trug, konnte bet Mann feinen Eiebhabereien ntachgehen, fügte sich deshalb ohne Murren in bie untergeoronete Stellung. 2ndererfeits 30g et bie will» kommene Jundschaft zahlreicher Sreunde und Anhn- get herbei, bie aber bezglic Sorgens keinerlei Vor» rechte genoffen, denn 2nschreiben liebte bie scharfe Rechnerin bes Kaufes nicht. Die ©eburt bes dritten und letzten Jindes verhn- bete ber glchliche Vater im Cglichen Anzeiger also: »Cin weiger Sclave geboren, bies ben Stutfangcrn U1 TTachricht!", wollte auc auf kirchliche Caufe ver» 2icten und dem Jnaben bie Hamen Karl Marr Ea falle geben, sties aber auf unberwindlichen WDider- tan feiner Stau. »Xist bu toll?" fragte fie, „als gute Jatholikin wffc ic meine Jinder taufen mit christlichen Hamen vnb Pathen, ohne beine Seiden und Juden. Den £a» falle streichen wir, [affen ben Karl bestehen, denn mein grubet heist fo, und ndern ben marp in narkus; ö as war, wie ic aus dem Communionunterrichte mic nttinne, cin Evangelist, ber heilige Jar aber ein Hommer Jaiser, ber im mnster 311 Alachen begraben 169t. Jch bin als junges mdchen nac dort 311 ben ligthümern genallfahrtet. Wenn bu aufs Standes- emt gehst, so sage auc dem Serrn Pastor gleich 2e- l^cib wegen ber Caufe." Durc weise Weiber wird bas Saus erbauet; eine liarrin aber zerbricht es mit ihrem hun. Spr. Sal. 12, 1. Das letztere erschien dem Steigeist doc etwas peinlich, weshalb bie Dchnerin entschied : „Dann soll unfere Aelteste hingehen, bie ift für ihre Jahre ge- witzigt genug." Das Kind machte feine Sache gut und erhielt vom geistlichen Serrn ein buntes Zildchen, bie heilige er traub darstellend, bereit Hamen es führte. Alus ber Jleinen würbe ein 2achfisch, aus dem Zachfisc ein Jngferlein. Die untersetzte, runbe, frische Dirne mugte im Haushalt und Schenhzimmer tüchtige flfe leisten. Das letztere entsprach ganz ihrem eschmache, fie hrte sic gern Srulein nennen, tändelte und schwtzte mit ben sten nach Serzenslust. Stets wohnten einzelne Jostgnger im SSause, meist gut gestellte Arbeiter ber benachbarten MTaschinenbauanstalt, unter Anderen ba» mals cin weitläufiger Vetter Dilhelm Werner, ge» schichter Schlosser und ein hübscher, feiner Junge, bet rauds unst halb gewann, ohne das bie Eltern ein ernstes Verl}ältnig zwischen beiben ahnten. Sastnacht, bas beliebte Volksfeft ber heiligen Stabt, war wieber einmal gekommen und warf feine Wellen fogat bis nach ben äugeren Vorftäbten. raud durfte am Rosenmontag in Begleitung von TTachbarsleuten zur 2esichtigung bes grofzen mashenzuges nach Jüdin pilgern, mugte aber zeitig zurchkehren. ©ar gern hätte fie am letzten (Carnevalstage einen ber vielen JHaskenbällc besucht, von denen man ihr fo manches erzhlt, aber ihre ©eftrenge schlug bie Erlaubnis rund- weg ab. Willem ärgerte sich barüber nicht minder wie Eraud. Scibe zettelten eine Derschwrung an und nahmen zur Eist ihre uflucht. Die Allte liebte ge» legentlic Albends ein Schlcklein, nickte bann halb in ihrem Sorgenstuhl ein und beachtete nach dem Er wad?en kaum mehr bie Umgebung, sondern wankte schlaftrunken nach dem Sette. Die Cochter meinte, cs fei nicht jeden Cag Saftnacht, holte bie rothe Slasche mit dem beliebten fügen 2lnisette nebft selbit- gebackenen »MTutzen« herbei und schenkte tapfer ein, fo bag ber mutter halb bie Alugen zufielen, eilte bann in ihre ©iebelftube, bie fie mit ber ins Vertrauen ge» zogenen verwandten ehülfin theilte, legte Sruber ßermanns Turnerhleidung, Stiefel, THüge, ben frönen von ihrer eigenen Sand geflickten rtel an, warf ihren Regenmantel um und schlpfte vorsichtig zur Thr hinaus, wo Willem ihrer längft harrte. Der gute Junge wollte recht fein erscheinen, ver» langte deshalb in einem IHaskcn» Ceihgefchäft einen Don Juan»AInzug. (Eine verschossene blausammtne Sose nebft zeisiggrünem Stack mit tellergroszen ©las» knöpfen würben ihm angeboten. Jüopffchüttelnb bc» zweifelte er, ob bas bie richtige ©ewanbung fei. „Jc kann versichern Sic auf Ehre," rief bic Cröblcrin, „ber Saron von Dongschuang hat gehabt niemals am Eeibe eine stattlichere Sos, ziehen Sie an bic Zur und 's Srchle, alle MTdchen werben nach» laufen Jhnen, schner ßerr." Willem konnte sich jebod? dazu nicht entschlieszen, wählte dagegen eine bunte, schellenklingende fans wurstentracht mit Harrcnmüge und armslanger Pritsche. Am Siele angekommen, legte ©raub ben Tantel ab und trat erwartungsvoll am Arme ihres Kitters in ben hellen, grofzen Saal. „Donnerwetter! Wie an» gegoffen figt dir bas eug, aber für eine Dame ift's